Название | H. G. Wells – Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Herbert George Wells |
Жанр | Языкознание |
Серия | Gesammelte Werke bei Null Papier |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783962813628 |
»Aber sind Sie Ihrer Sache auch ganz sicher? … Nehmen wir zum Beispiel einen Spiegel an … Sinnestäuschungen lassen sich so leicht hervorbringen. Ich weiß nicht, ob Sie jemals einen wirklich guten Taschenspieler gesehen haben –«
»Ich will nicht widerstreiten«, sagte Mr. Cuss. »Über diesen Punkt haben wir mehr als genug disputiert, dächte ich. Aber hier haben wir jetzt die Bücher … Ah! dies zum Beispiel halte ich für Griechisch! Wenigstens sind es griechische Buchstaben.«
Er deutete auf die Mitte der Seite. Mr. Bunting errötete leicht, beugte sich nieder und machte sich scheinbar an seiner Brille zu schaffen. Mit dem Griechisch des kleinen Mannes war es nicht weit her, und doch war er fest überzeugt, dass jedes Mitglied der Gemeinde an seine Kenntnis griechischer und hebräischer Urtexte glaubte. Und jetzt – sollte er beichten? Sollte er flunkern? Plötzlich fühlte er etwas Fremdes an seinem Halse. Er suchte den Kopf zu bewegen und traf ein starres Hindernis.
Er empfand einen eigentümlichen Schmerz – den Griff einer schweren, muskulösen Hand, welche sein Kinn mit unwiderstehlicher Gewalt auf den Tisch niederdrückte. »Rührt euch nicht, ihr kleinen Kerle«, flüsterte eine Stimme, »sonst schlage ich euch beiden die Schädel ein!«
Er blickte Mr. Cuss an, dessen Gesicht sich dicht neben dem seinigen befand, und sah in dessen Mienen den Widerschein seiner eigenen angstvollen Bestürzung.
»Es tut mir leid, dass ich so grob mit Ihnen umspringen muss«, sagte die Stimme. »Aber es geht nicht anders.«
»Seit wann ist es erlaubt, in den privaten Aufzeichnungen eines Forschers herumzustöbern?«, fuhr die Stimme fort und zwei Köpfe berührten gleichzeitig die Tischplatte und vier Reihen Zähne schlugen laut aneinander.
»Seit wann dringt man in die Privatzimmer eines unglücklichen Menschen ein?« Und der Stoß wiederholte sich.
»Wo hat man meine Kleider hingetan?«
»Hören Sie«, fuhr die Stimme weiter fort, »die Fenster sind geschlossen und den Schlüssel habe ich von der Tür abgezogen. Ich bin ein ziemlich starker Mensch und habe die Feuerzange bei der Hand – überdies bin ich unsichtbar. Es ist zweifellos, dass ich Sie beide erschlagen und selbst ganz leicht entwischen könnte, wenn das meine Absicht wäre – begreifen Sie das? Gut! Wenn ich Sie verschone, wollen Sie mir versprechen, keine Dummheiten zu machen und zu tun, was ich verlange?«
Der Pfarrer und der Doktor sahen einander an, und der letztere verzog das Gesicht. »Ja«, sagte Mr. Bunting, und der Doktor wiederholte: »ja«. Dann ließ der Druck auf ihren Nacken nach, der Doktor und der Pfarrer richteten sich mit hochroten Gesichtern auf und schüttelten die Köpfe.
»Bitte, bleiben Sie sitzen«, sagte der Unsichtbare. »Sehen Sie, hier ist die Feuerzange.«
»Als ich in dieses Zimmer kam«, fuhr er fort, nachdem er seinen beiden Gästen die Feuerzange unter die Nase gehalten hatte, »war ich nicht darauf gefasst, jemanden darin zu finden. Hingegen erwartete ich, außer meinen Aufzeichnungen auch meine Kleider zu sehen. Wo sind sie? Nein – stehen Sie nicht auf. Ich sehe, dass sie fort sind. Nun sind die Tage zwar warm genug, dass ein unsichtbarer Mensch nackt herumgehen kann, die Nächte jedoch sind ziemlich kühl. Ich brauche Kleider – und andere notwendige Dinge. Auch diese drei Bücher muss ich wieder haben.«
12. Kapitel – Der Unsichtbare verliert die Geduld
Um eines sehr peinlichen Grundes willen, der sehr bald erklärt werden soll, muss die Erzählung bei diesem Punkt abbrechen. Während sich all das im Gastzimmer begab und Mr. Huxter beobachtete, wie Mr. Marvel ans Tor gelehnt seine Pfeife schmauchte, besprachen ein Dutzend Schritte entfernt Hall und Teddy Henfrey in verworren bestürzter Weise das große Ereignis von Iping.
Plötzlich kam ein heftiger Schlag gegen die Gastzimmertür, ein gellender Schrei, und dann – tiefe Stille.
»Hallo!«, rief Teddy Henfrey.
»Hallo!«, tönte es zurück.
Es dauerte stets lange, bevor Hall etwas begriff, dann aber war er stets seiner Sache gewiss. »Da ist was nicht in Ordnung«, sagte er, kam hinter dem Schanktisch hervor und näherte sich der Gastzimmertür.
Gespannt horchend taten er und Teddy einige Schritte vorwärts. Sie ließen die Augen herumschweifen. »Da ist was nicht in Ordnung«, wiederholte Hall, und Henfrey nickte beistimmend. Sie spürten einen unangenehmen Chemikaliengeruch in der Luft und vernahmen das Gemurmel eines eilig und mit unterdrückter Stimme geführten Gesprächs.
»Fehlt Ihnen etwas?«, fragte Hall, an die Tür klopfend.
Das Geräusch verstummte plötzlich, einen Augenblick blieb alles still, dann wurde das Gespräch im Flüsterton wieder aufgenommen; dann hörte man den Ausruf: »Nein, nein, nur das nicht!« Eine plötzliche Bewegung folgte, das Umstürzen eines Stuhles und ein kurzer Kampf. Dann wieder tiefe Stille.
»Was zum Henker!«, sagte Henfrey halblaut.
»Fehlt – Ihnen – etwas?«, fragte Hall mit lauter Stimme.
»Ga–ar nichts. Bitte – stö–ren Sie uns nicht!«, kamen die Worte des Pfarrers merkwürdig stoßweise zurück.
»Komisch!«, sagte Mr. Henfrey.
»Komisch!«, wiederholte Mr. Hall.
»›Stören Sie uns nicht‹ rief er doch«, sagte Henfrey.
»Ja, das hörte ich auch«, versetzte Hall.
Sie lauschten weiter. Das Gespräch wurde schnell und halblaut fortgeführt. »Ich kann nicht!«, rief Mr. Bunting mit erhobener Stimme. »Ich sage Ihnen, Herr, ich will nicht!«
»Was war das?«, fragte Henfrey.
»Er will nicht, sagte er«, versetzte Hall. »Er hat doch nicht zu uns gesprochen, was?«
»Schändlich!«, sagte Mr. Bunting drinnen.
»Schändlich!«, sagte Mr. Henfrey. »Ich hörte es ganz deutlich.«
»Wer spricht jetzt?«, fragte der andere.
»Mr. Cuss, glaube ich«, erwiderte Hall. »Hörst du etwas?«
Die beiden schwiegen. Von drinnen ertönten unbestimmte und verworrene Töne.
»Das klingt, wie wenn man das Tischtuch herumwerfen würde«, sagte Hall.
Mrs. Hall erschien hinter dem Schanktisch.