H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

Читать онлайн.
Название H. G. Wells – Gesammelte Werke
Автор произведения Herbert George Wells
Жанр Языкознание
Серия Gesammelte Werke bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783962813628



Скачать книгу

von dem ar­men Ogil­vy.

      Nach dem Früh­stück ent­schloss ich mich, statt zu ar­bei­ten, einen Gang zur Wei­de zu ma­chen. Un­ter der Ei­sen­bahn­brücke traf ich eine Grup­pe von Sol­da­ten — Pio­nie­re, wie ich glau­be, Leu­te mit klei­nen run­den Müt­zen, schmut­zi­gen of­fe­nen ro­ten Ja­cken, die ihre blau­en Hem­den se­hen lie­ßen, in dunklen Ho­sen und Stie­feln, die bis zur Wade reich­ten. Sie sag­ten mir, dass nie­mand über den Kanal dür­fe; und als ich mei­nen Blick die Stra­ße ent­lang auf die Brücke rich­te­te, sah ich dort einen Mann des Car­di­gan-Re­gi­ments Wa­che ste­hen. Mit die­sen Sol­da­ten sprach ich eine Zeit lang; ich er­zähl­te ih­nen von mei­ner Be­geg­nung mit den Mars­leu­ten am vo­ri­gen Abend. Kei­ner von ih­nen hat­te die Mars­leu­te ge­se­hen, und sie mach­ten sich nur ganz un­kla­re Vor­stel­lun­gen von ih­nen. So kam es, dass sie mich mit Fra­gen be­stürm­ten. Sie er­zähl­ten mir, dass sie nicht wuss­ten, wer das Ein­grei­fen der Trup­pen ver­an­lasst hät­te; sie ver­mu­te­ten, dass bei der be­rit­te­nen Gar­de eine Aus­ein­an­der­set­zung statt­ge­fun­den habe. Der ge­wöhn­li­che Pio­ni­er ist bei Wei­tem ge­bil­de­ter als der ge­mei­ne Sol­dat, und sie be­spra­chen die son­der­ba­ren Be­din­gun­gen des vor­aus­sicht­li­chen Kamp­fes mit ziem­lich viel Scharf­sinn. Ich schil­der­te ih­nen den Hit­ze­strahl, und sie fin­gen nun an, sich un­ter­ein­an­der dar­über aus­zu­spre­chen.

      »Sich un­ter Be­de­ckung her­an­krie­chen und dann auf sie los­stür­zen, sage ich«, mein­te ei­ner.

      »Hör’ auf!«,sag­te ein an­de­rer, »wozu taugt denn eine Be­de­ckung bei die­ser Hit­ze? Höchs­tens zu Spä­nen, um dich bes­ser zu bra­ten. Aber was wir zu tun ha­ben, ist so nahe her­an­rücken, als das Ter­rain es er­laubt und dann einen Gra­ben zie­hen.«

      »Kuckuck mit dei­nen Grä­ben! Du brauchst im­mer Grä­ben. Du hät­test sol­len als Ka­nin­chen zur Welt kom­men, Snip­py.«

      »Ha­ben sie also wirk­lich kei­nen Na­cken?«, frag­te mich plötz­lich ein drit­ter, ein klei­ner, dunk­ler, nach­denk­li­cher Mann, der eine Pfei­fe rauch­te.

      Ich wie­der­hol­te mei­ne Be­schrei­bung.

      »Ok­to­pus­se«, sag­te er, »das ist’s, was ich sie nen­ne, da spricht man von Men­schen­fi­schern — dies­mal heißt es Fi­sche be­kämp­fen!«

      »Es ist kein Mord, sol­che Bes­ti­en um­zu­brin­gen«, sag­te der ers­te Spre­cher.

      »Wa­rum die­se ver­fluch­ten Ker­le nicht zu­sam­men­schie­ßen und ein Ende mit ih­nen ma­chen?«, mein­te der klei­ne Dun­kel­haa­ri­ge. »Ihr könnt nicht wis­sen, was sie noch an­stel­len.«

      »Wo sind dann dei­ne Bom­ben?«, höhn­te der ers­te. »Dazu ist nicht mehr Zeit. Macht einen Über­fall – das ist mein Plan – und macht ihn so­fort.«

      In die­ser Wei­se be­spra­chen sie den Fall. Nach ei­ner Wei­le ver­ließ ich sie und ging zum Bahn­hof, um mir so viel Mor­gen­blät­ter als mög­lich zu ver­schaf­fen.

      Doch will ich den Le­ser mit ei­ner Be­schrei­bung des lan­gen Mor­gens und des noch län­ge­ren Nach­mit­tags nicht er­mü­den. Es ge­lang mir nicht, auch nur einen Blick auf die Wei­de zu wer­fen, denn selbst die Kirchtür­me von Hor­sell und Chob­ham wa­ren in den Hän­den der mi­li­tä­ri­schen Be­hör­den. Die Sol­da­ten, an die ich mich wen­de­te, wuss­ten nicht das Ge­rings­te. Die Of­fi­zie­re wa­ren eben­so ge­heim­nis­voll wie ge­schäf­tig. Die Leu­te in der Stadt fühl­ten sich, wie ich sah, voll­kom­men si­cher bei der An­we­sen­heit des Mi­li­tärs. Da­mals erst hör­te ich von Mars­hall, dem Ta­bak­händ­ler, dass sein Sohn sich un­ter den To­ten auf der Wei­de be­fand. Die Sol­da­ten hat­ten die Be­woh­ner der Vor­städ­te von Hor­sell ge­nö­tigt, ihre Häu­ser zu schlie­ßen und zu ver­las­sen.

      Sehr er­mü­det kehr­te ich etwa um zwei Uhr zum Ga­bel­früh­stück nach Hau­se zu­rück, denn, wie schon er­wähnt, war der Tag er­drückend heiß; um mich et­was zu er­fri­schen, nahm ich nach­mit­tags ein kal­tes Bad. Um halb fünf un­ge­fähr, ging ich zum Bahn­hof, um mir ein Abend­blatt zu kau­fen, denn die Mor­gen­blät­ter hat­ten nur sehr un­zu­läng­li­che Be­rich­te von der Er­mor­dung Stents, Hen­der­sons, Ogil­vys und der an­de­ren ent­hal­ten. Auch sonst stand we­nig dar­in, das ich nicht schon wuss­te. Die Mars­leu­te lie­ßen nicht einen Zol­les Brei­te von sich se­hen. Sie schie­nen in ih­rer Gru­be sehr ge­schäf­tig zu sein; man ver­nahm ein un­aus­ge­setz­tes Häm­mern und sah fast un­un­ter­bro­chen Rauch­säu­len auf­stei­gen. Sie wa­ren au­gen­schein­lich be­schäf­tigt, sich für einen Kampf in Be­reit­schaft zu set­zen. »Er­neu­er­te Ver­su­che wur­den ge­macht, eine Ver­stän­di­gung zu er­zie­len, doch ohne Er­folg«, das war eine ste­reo­ty­pe Wen­dung der Blät­ter. Ein Pio­ni­er er­zähl­te mir, dass der An­nä­he­rungs­ver­such durch einen Mann ge­sch­ah, der in ei­ner Gru­be ste­hend, an ei­ner lan­gen Stan­ge eine Fah­ne schwenk­te. Die Mars­leu­te schenk­ten sol­chen Maß­re­geln eine eben so große Be­ach­tung, wie wir etwa dem Brül­len ei­ner Kuh.

      Ich muss ge­ste­hen, dass mich der An­blick al­ler die­ser Aus­rüs­tun­gen und Vor­be­rei­tun­gen aufs Äu­ßers­te er­reg­te. Mei­ne Ein­bil­dungs­kraft wur­de krie­ge­risch und be­sieg­te die Ein­dring­lin­ge auf dut­zen­der­lei her­vor­ra­gen­de Wei­se. Ein Rest mei­ner Schul­kna­ben­träu­me von Schlacht und Hel­den­tum wach­te wie­der in mir auf. Dies­mal aber schi­en es mir kein ehr­li­cher Kampf zu sein. So hilf­los er­schie­nen jene mir in ih­rer Gru­be.

      Um drei Uhr etwa hör­te man von Chert­sey oder Add­le­sto­ne her in ab­ge­mes­se­nen Zwi­schen­räu­men die ers­ten Ka­no­nen­schüs­se. Ich er­fuhr, dass da zu­erst das glim­men­de Fich­ten­ge­hölz, in das der zwei­te Zy­lin­der ein­ge­fal­len war, be­schos­sen wur­de; man hoff­te, das Rohr zu zer­stö­ren, be­vor es sich öff­ne­te. In­des­sen dau­er­te es bis un­ge­fähr fünf Uhr, ehe ein Feld­ge­schütz Chob­ham er­reich­te, um ge­gen die ers­te Ab­tei­lung der Mars­leu­te ge­rich­tet zu wer­den.

      Um sechs Uhr abends, als ich mit mei­ner Frau im Gar­ten­haus beim Tee saß und eif­rig den Kampf be­sprach, der uns be­vor­stand, hör­te ich ge­dämpf­ten Don­ner von der Wei­de her dröh­nen, und un­mit­tel­bar dar­auf ein über­aus hef­ti­ges Ge­schütz­feu­er. In blitz­ar­ti­ger Fol­ge hör­te ich ein furcht­ba­res pras­seln­des Kra­chen, das den Bo­den er­schüt­ter­te. Auf den Ra­sen­platz hin­aus­stür­zend, sah ich, wie die Wip­fel der Bäu­me bei der ori­en­ta­li­schen Schu­le in rau­chen­den ro­ten Flam­men stan­den und der Turm der klei­nen Kir­che da­ne­ben ein­stürz­te. Die Kup­pel der Mo­schee war ver­schwun­den, und der Dach­stuhl der Schu­le sah aus, als hät­te ihn ein Hun­dert­ton­ner be­schos­sen. Ei­ner un­se­rer Schorn­stei­ne zer­barst, wie von ei­ner Bom­be ge­trof­fen; er saus­te her­ab, sei­ne Haupt­mas­se kam über die Dach­zie­gel her­ab­ge­pol­tert und bil­de­te einen Hau­fen ro­ter Trüm­mer auf dem Blu­men­beet vor dem Fens­ter mei­nes Stu­dier­zim­mers.

      Ich und mei­ne Frau blie­ben wie be­täubt ste­hen. Dann wur­de es mir klar, dass der Kamm des May­bu­ry-Hü­gels im Be­reich des Hit­ze­strahls der Mars­leu­te sein müs­se, jetzt, da das Schul­ge­bäu­de aus dem Wege ge­räumt war.

      Da fass­te ich mei­ne Frau am Arm und ohne wei­te­re Über­le­gung stürz­te ich mit ihr auf die Stra­ße hin­aus. Dann hol­te ich das Dienst­mäd­chen, und ver­sprach ihr, selbst den Kof­fer, nach dem sie jam­mer­te, her­ab­zu­brin­gen.