Germanias Vermächtnis. Swen Ennullat

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Название Germanias Vermächtnis
Автор произведения Swen Ennullat
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783954626335



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schlug in Margots Oberkörper ein und riss sie abrupt von ihm weg. Als er sah, wie sie leblos zu Boden stürzte und dabei die Dahlien unter sich begrub, drehte er sich wie in Trance zu dem Schützen um. Er konnte erkennen, wie Tim die Pistole in seine Richtung schwenkte. Gelähmt vor Angst und unfähig zu reagieren, sah Torben sein Leben an seinem inneren Auge in einem Sekundenbruchteil buchstäblich vorbeiziehen: eine lachende, vielleicht achtzehnjährige Julia, seine Mutter beim Kuchenbacken, ein Schulausflug in einen Tierpark, Camping mit seinen Eltern, Freddy, sein kleiner, schwarzer Kater, den er als Siebenjähriger sein Eigen nannte, und einige Momentaufnahmen mehr.

      Zu seiner großen Überraschung brach aber nicht er getroffen zusammen, sondern Tim wurde, bevor er die Waffe erneut abfeuern konnte, regelrecht in die Ginsterhecke am Wegesrand geschleudert. Plötzlich sah Torben Levitt und Mosche vor sich und begriff, dass sie ihrer kleinen Gruppe nicht nur unentdeckt gefolgt waren, sie hatten zielgerichtet das Feuer erwidert und dadurch sein Leben erneut gerettet.

      Noch immer war er aber wie erstarrt und hatte den Eindruck, dass er das ganze Geschehen als Zuschauer und körperloses Wesen außerhalb seines Leibes verfolgte. Er sah zu, wie Mosche angerannt kam, sofort Tims Knöchel packte und den Körper aus der Hecke zog, um kurz darauf in Richtung seines Kollegen den Kopf zu schütteln. Er sah auch, wie Levitt danach seine Waffe wegsteckte, die er bis dahin noch immer im Anschlag gehabt hatte, und auf Torben zuging. Er baute sich vor ihm auf, fasste seine Schultern und fragte betont ruhig: „Torben, hören Sie mich? Sind Sie verletzt?“

      Das sorgte endlich dafür, dass der sich aus seiner Starre löste und den Kopf schüttelte. „Nein … Ich glaube nicht …“

      „Gut!“ Levitts Stimme verlor ihren angenehmen Klang. Er ließ ihn los. „Und genau für diese Fälle verlange ich von Ihnen, dass Sie eine Schutzweste tragen! Haben Sie das endlich begriffen? Das nächste Mal tun Sie das, was ich Ihnen sage! Verstanden?“

      Torben stieß zwar ein kehliges „Ja, ja“ aus, beachtete aber den Mossad-Agenten nicht weiter, sondern wandte sich Margot zu. Mosche kniete schon bei ihr und öffnete ihr Blouson. Ein sich schnell auf ihrem Bauch ausbreitender dunkelroter Fleck und ihre weiße Gesichtsfarbe ließen nichts Gutes verheißen. Als Torben ihre Hand ergriff, merkte er förmlich, wie das Leben langsam aus ihrem Körper entwich. Suchend wandte er sich an Mosche, aber dieser schüttelte nur mitfühlend mit dem Kopf. – Oh Gott, wie er dieses Kopfschütteln hasste! – Hinter sich hörte er, wie Levitt mittlerweile telefonierte und jemandem am anderen Ende der Leitung die Art der Verletzung beschrieb. Torben ahnte jedoch insgeheim längst, dass der Rettungsdienst zu spät eintreffen würde.

      Als er Margot genauer ansah, gewann er den Eindruck, als lächelte sie. Es war verrückt, aber fast schien es, als wäre sie zufrieden. Ihre Lippen formten offenbar Wörter und er rückte näher an sie heran, um sie zu hören. Als er sie immer noch nicht verstehen konnte, beugte er seinen Kopf soweit über ihr Gesicht, dass sein linkes Ohr schon fast ihren Mund berührte. Erst jetzt vernahm er ihre leise, zerbrechliche Stimme. „ … alles gut mein Junge … bin bei Hilde … bester Ort zu … will auch hier …“

      Das Sprechen zog ihr noch schneller die Kraft aus dem Körper. Torben gestand sich ein, dass dies wahrscheinlich die letzten Augenblicke in Margots Leben waren, und ob nun Angehörige des Ordens oder nicht, sie sollte friedvoll einschlafen, einen würdigen Tod finden. Er legte ihr die Hand auf die Brust und hielt sie gleichzeitig fest. „Alles ist gut! Ich werde dafür sorgen, dass Sie auch hier beerdigt werden, sodass Sie neben Hilde liegen. Sie werden für immer zusammen sein.“

      Als Margot das hörte, schloss sie kurz ihre Augen und deutete ein Nicken an, als Zeichen, dass sie verstand.

      Ihr Gesicht wirkte zunehmend fahler, aber plötzlich bewegte sie erneut ihre Lippen. Torben versuchte abermals, die Wörter zu verstehen, aber es waren nur noch wenige Silben, die sie ihm als Vermächtnis hinterließ, bevor sie in das nächste Leben hinüberglitt.

      „Was hat Sie noch zu dir gesagt?“ Julia sprach in normaler Lautstärke mit Torben, aber im Vergleich zu der brüchigen Stimme der sterbenden Margot wirkte sie unglaublich laut.

      Levitt hatte der Polizei eine abgewandelte Version des Geschehens erzählt und Torbens Anwesenheit gar nicht erwähnt. Demnach hatten die beiden Mossad-Agenten, als sie die Gräber einiger jüdischer Verwandter besuchten, zufällig den Mord an Margot beobachtet und sich entschlossen, den Täter zu stellen, wobei dieser aber aufgrund seiner Gegenwehr von ihnen erschossen wurde. Der Mitschnitt des Notrufs und die vagen Aussagen einiger anderer Besucher des Friedhofs, denen Torben nicht weiter aufgefallen war, unterstützten diese Darstellung. Ihre diplomatische Immunität sollte – falls alles nach Plan verlief – im Weiteren dafür sorgen, dass die Agenten nicht festgehalten würden.

      Torben und Julia hatten indessen an der Haltestelle in der Nähe des Friedhofs den erstbesten Linienbus bestiegen, mit dem sie einen Taxistand erreichten. Mit einem der dort wartenden Wagen kehrten sie in das Hamburger Hotel zurück, wo sie jetzt dem Eintreffen ihrer Begleiter entgegensahen. Noch während der Fahrt hatte Torben Julia in groben Zügen über den Inhalt seines Gesprächs mit Margot in Kenntnis gesetzt, ihre letzten Worte aber bislang für sich behalten.

      „Torben, hörst du mir zu? Was hat sie dir noch gesagt?“

      „Entschuldige“, Torben ließ sich auf den Rand des durchgelegenen Bettes sinken und blickte zu Julia auf, „aber es kam gerade alles wieder hoch, der Schusswechsel, die beiden Leichen … Ich dachte wirklich für einen Moment, dass ich auch sterbe … Es war, als würde ich es gerade nochmals erleben.“

      Julia streichelte längst seine Haare und ließ sich vor ihm auf die Knie sinken. Ihre Hände umfassten seinen Nacken und zogen seinen Kopf zu ihrem. Kurz drauf spürte er ihre weichen und warmen Lippen auf den seinen. Es war kein leidenschaftlicher Kuss, sondern nur eine kurze, zärtliche Berührung, als wollte sie ihm dadurch Kraft und inneren Frieden schenken. Schon entfernte sich Julia wieder etwas von ihm und strich sich leicht verlegen eine Haarsträhne, die ihr ins Gesicht gefallen war, hinter das rechte Ohr und sagte: „Es tut mir leid! Ich bin an allem schuld!“

      Er hielt sie aber noch immer umschlungen und spürte ihren gleichmäßigen Herzschlag.

      „Das muss es nicht, so schlecht küsst du nun auch wieder nicht!“ Torben versuchte es mit seiner alten Schlagfertigkeit, obwohl die Wärme und die Geborgenheit, die ihm der Kuss gegeben hatte, für einen Moment den Schmerz in seiner Brust betäubt hatten.

      Leicht verblüfft von der Antwort löste sich Julia völlig aus seinen Armen und boxte ihn leicht in die Seite. Sie setzte sich wieder neben ihn, bevor sie antwortete: „Idiot, hör auf, den starken Mann zu spielen! Ich kenne dich gut genug, dass ich merke, wenn du mit deinen Witzen nur deine wahren Gefühle überspielen willst.“

      Torben ließ sich mit der Antwort einen Moment Zeit. „Es liegt nicht nur daran, dass wir das alles noch einmal durchleben müssen, sondern, dass wir erneut die Aufmerksamkeit des Ordens auf uns gezogen haben und nun wieder im Fokus stehen. Gut, wir haben dieses Mal mit dem Mossad einen starken Verbündeten an unserer Seite und können auch auf die Hilfe der deutschen Sicherheitsbehörden hoffen, aber der große Vorteil unserer Gegner besteht darin, dass wir sie nicht genau kennen! Sie sind und bleiben vage Schatten.“

      „Dann müssen wir sie ins Licht ziehen!“, bemerkte Julia eigensinnig.

      Trotz eines angedeuteten Nickens zweifelte Torben: „Das ist weder einfach noch ungefährlich. Ich habe dich gerade erst wiedergefunden. Ich mag gar nicht daran denken, was mit mir geschieht, falls dir etwas passiert. Die letzten Wochen stand ich bereits am Abgrund und du hast genauso nach Michaels Tod gelitten!“

      „Hör auf!“ Ihre Hand suchte die seine. „Mach dir keine Gedanken! Alles wird gut! Diesmal bestimmen wir Tempo und Richtung unserer nächsten Schritte!“

      Er küsste kurz ihre Hand und antwortete: „Ich hoffe, du hast Recht! Margot hat tatsächlich noch etwas gesagt. Es waren nur wenige Worte. Wenn ich sie richtig verstanden habe, lauteten sie: ‚Such in Quedlinburg‘.“

      „Kannst