WIE MAN RIESEN BEKÄMPFT. David Kadel

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Название WIE MAN RIESEN BEKÄMPFT
Автор произведения David Kadel
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783961224838



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mich erkennt oder anspricht, genieße ich das sehr.

      Trotzdem will ich natürlich wahrgenommen werden. Aber eben nicht um jeden Preis, sondern im besten Fall durch gute Leistungen – das ist ein Grund, warum ich mich sozusagen aktiv auf der Theater-Bühne „zur Schau stelle“.

      All das bildet allerdings nicht die Basis meiner Persönlichkeit. Wenn ich morgen meinen Beruf des Schauspielers – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr ausüben könnte, wäre das zwar schade, ich würde aber nicht daran verzweifeln oder mich wertlos fühlen. Weil ich zum Glück schon in meiner Kindheit vermittelt bekam, dass mein Wert nicht von meiner Nützlichkeit, meiner „VerWERTbarkeit“ oder Leistung abhängt.

      Dafür sorgte vor allem mein Vater, dem es sehr wichtig war, dass meine Geschwister und ich ein gesundes, gutes Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein entwickeln. Immer wieder sagte er uns, auch einfach so aus dem Nichts heraus: „Eins plus!“ Selbst mitten in Streitgesprächen. Als ich einmal vollkommen geschockt, da nur Einsen und Zweien gewohnt, mit meiner ersten schlechten Note nach Hause kam – ich glaube, einer Fünf in Englisch –, schenkte er mir eins der teuersten und modernsten Jo-Jos, die gerade auf dem Markt waren. Damit unterstrich er wieder mal, dass ich für ihn „Eins plus“ bin, und zwar als sein Sohn Samuel. Unabhängig von meinen Leistungen in der Englischarbeit.

      Mein Vater ist natürlich trotzdem menschlich und hat auch irgendwo Fehler. Aber dieser Zug an ihm, dass er immer bemüht war, mich als sein Kind wirklich bedingungslos zu lieben, der ist im Grunde „übermenschlich“, also göttlich. Und so stelle ich mir auch Gott vor: Er liebt mich, weil ich bin – mehr muss ich dazu nicht leisten oder tun.

      Die allermeisten Leute scheinen nach dem Prinzip zu leben:

      Tun – Haben – Sein.

      Das heißt, sie tun etwas: Zur Schule gehen, studieren, arbeiten, aufräumen, posten.

      Daraufhin haben sie etwas: Geld, einen Abschluss, Freunde, Follower, teure Klamotten, Style und so weiter.

      Dann erst sind sie etwas: Sie sind wer, weil sie etwas getan und erreicht haben. An ihren Errungenschaften messen sie ihren Wert. Ein Prinzip, mit dem man gut und gerne 102 Jahre lang leben und auch glücklich werden kann.

      Was aber, wenn die Freundschaft zerbricht, ein anderer den Job bekommt oder die Pubertät ihr Unwesen im Gesicht treibt?

      Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich glücklicher bin, wenn ich die gängige Reihenfolge umdrehe:

      Sein – Haben – Tun.

      Wir sind schon wertvoll, einfach weil es uns gibt. Weil wir von Gott geliebt sind. Dadurch haben wir etwas (einen herausragenden Wert) und aus dem heraus können wir etwas Wundervolles tun. Wenn das Tun aber wegfällt, sind wir am Schluss immer noch jemand Wertvolles. Wir „sind“ einfach. Das reicht, um liebenswert zu sein. Vielleicht heißt es deshalb im Englischen auch „human being“ und nicht „human doing“?!

      Dein Samuel Koch

      Samuel Koch,

      750 Jahre jünger als Berlin, Schauspieler, STEHAUFMENSCH! und Autor unter anderem des gleichnamigen Buches unterstützt mit seinem Verein Samuel Koch und Freunde e.V. seit 2019. Menschen, die andere Menschen in Notlagen zur Seite stehen und wünscht, dass diese Menschen wieder neuen Mut, Kraft und Hoffnung schöpfen können.

      #weilduwaswertbist

       Déborah Rosenkranz

      Illustration: Sarah Busam

      „Déborah, ich kann es kaum erwarten, bis ihr endlich an den Bodensee zieht. Ich denke, ich habe mich in dich verliebt!“

      Marc, der extra die zwei Stunden Fahrt auf sich genommen hat, um mir an meinem aktuellen Wohnort beim Packen zu helfen, strahlt mich an. „Hä, was hat der für ein Problem? Sieht der mich nicht? Ich bin fett, ich bin hässlich. Ich bin krank! Kann der sich nicht in eines der schönen Mädchen ohne Probleme verlieben?“ Alles in mir wollte schreien. Sich verstecken. Um sich schlagen. Und dann folgen Worte, die sich in mein Herz eingebrannt haben: „Ich will dich! Weil du was wert bist!“

      Willst du meine Geschichte hören? Sie ist eine, die mich fast das Leben gekostet hätte. Ja, ich war mit 13 etwas dicker als andere. Doch es war kein Drama für mich, denn ich hatte immer schon eine große Klappe, war eine gute Schülerin und auch sehr sportlich. Damit kompensierte ich die Aufmerksamkeit, die ich für mein Aussehen eben nicht bekam. Doch genau beim Sport sollte es passieren. Der Moment, der mein Leben für immer veränderte und mich schlussendlich fast umbrachte. Es war nur ein Satz, doch leider der Satz meines großen Schwarms, der uns im Training zusah. „Déborah, du spielst so gut Handball, doch frage ich mich, wie man mit so viel Fett überhaupt rennen kann?!“ Als hätte er ausgeholt und mir eine schallende Ohrfeige verpasst. In diesem Moment wurde mir klar, was alle wohl schon lange vor mir erkannt hatten: „Déborah ist einfach nur ein fetter Klops, der ein bisschen Handball spielen kann.“ Wie konnte ich all die Jahre glauben, dass ich es wert bin, überhaupt am Leben zu sein? Ich bin ein Fehler! Die Welt braucht mich nicht. Dieser Lüge gab ich von diesem Moment an die Macht über mein Leben. Von diesem Tag an begann ich zu hungern. Denn ich wollte weniger werden, bis nichts mehr von mir übrig war. Weniger werden, bis ich ganz verschwinde…

      Ein Jahr später hatte ich fast 30 Kilo verloren und mit ihnen auch meine Lebensfreude, meine gute Laune, meinen Sport und fast alle Freunde. Denn alles, was mit Essen zu tun hatte, vermied ich. Ich war besessen von dem Gedanken: „Du kannst nur geliebt werden, wenn du schlank, also normal, bist.“ Ich hasste das Essen. Und so schloss ich mich in meinem Zimmer ein, wurde depressiv und versuchte, abends so früh wie möglich einzuschlafen, um das Hungergefühl nicht mitzubekommen. Jedes Gespräch mit meinen Eltern endete im Streit: „Ich hasse euch“, war das einzige, was ich noch zu ihnen sagte. Mittlerweile verlor ich meine Haare büschelweise und auch meine Tage hatte ich nicht mehr, was für mich persönlich das Schlimmste war, da ich mir doch immer Kinder gewünscht hatte. Die Worte meines Arztes hallten in mir nach: „Du wirst nie Kinder bekommen können.“ Ich wollte weinen, doch mein Stolz ließ es nicht zu. Stattdessen antwortete ich: „Hauptsache, ich hab mich im Griff und bin nicht so fett wie Sie!“ Ich war fast täglich bei Ärzten und wickelte sie alle um den Finger. Als einer fragte, ob ich denn etwas an meiner Ernährung verändert hätte, lachte ich laut los. Denn mittlerweile lebte ich von maximal einem halben Apfel am Tag. Doch was mich beunruhigte, das war mein Bein. Denn ich konnte es von einem Tag auf den anderen nicht mehr bewegen. Kein Gefühl. Tot. Wieder beim Arzt, bat mich dieser, draußen zu warten. Er wollte nur mit meiner Mutter sprechen, was mich sauer machte. So schlich ich mich vor die Tür und hörte ihn in diesem Moment sagen: „Frau Rosenkranz, wir haben alles versucht. Doch an dieser Stelle geben wir ihre Tochter auf. Sie hat nur noch 3 bis 4 Wochen zu leben.“

      Schockstarre. Angst. Panik. Er hatte die Worte ausgesprochen, die ich befürchtet hatte. Denn wenn ich ehrlich bin, hatte ich es körperlich kommen sehen.

      Jetzt war eh alles zu spät. Verbotenerweise ging ich ein paar Tage später abends auf ein Konzert. Und es war der Horror. Nicht das Konzert, aber das Gefühl, mehr tot, als lebendig zu sein. Alle tanzten, nur ich, ich war so schwach geworden, dass ich kaum noch stehen konnte. Ich war so dünn geworden, dass ich meine Hände in die Hüftknochen legen konnte. Am Ende des Konzerts war ich sehr froh, als meine Freunde endlich heim wollten, doch natürlich wurde noch bei McDonald’s angehalten. Mein absoluter Albtraum. Ich glaubte ja tatsächlich, dass ich vom Einatmen der fettigen Luft dort zunehmen würde. So wartete ich draußen vor dem Eingang und der Hunger zerriss mich förmlich. Hunger nach Leben.

      Gegen ein Uhr morgens schlich ich mich endlich am Schlafzimmer meiner Eltern vorbei, um sie ja nicht zu wecken. Doch da hörte ich sie weinen. Laut. Bitterlich. Und ich hörte meine eigene Mutter sagen: „Wir können ja