Название | Hätschelkind |
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Автор произведения | Wimmer Wilkenloh |
Жанр | Триллеры |
Серия | |
Издательство | Триллеры |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783839231586 |
* * *
Hajo Peters merkt, dass ihm das Blut vor Aufregung in den Kopf steigt. Er hat die Statur eines Bodybuilders, breite Schultern, die bedrohlich die Nähte des Sweat-Shirt spannen. Mit seinen klobigen Fingern blättert er die Buchseiten einer Theodor-Storm-Biographie durch, bis er auf die Abbildung eines handgeschriebenen Briefes des Dichters stößt. Er betrachtet die einzelnen Buchstaben ausgiebig und öffnet dann die zerfaserten Bänder, die zwei alte Leinendeckel zusammenhalten. Dazwischen liegt ein Stapel vergilbter Blätter Papier. Wie ein rohes Ei entnimmt der bullige Mann den obersten Bogen und beugt sich darüber. Sein Stiernacken quillt aus dem Kragen. Mit ausgebleichter Tinte steht dort in forscher Handschrift: Detlef Dintefaß. Ein Roman von Theodor Storm und klein am unteren rechten Rand: 23. Oktober 1887.
Akribisch vergleicht Peters die Schriftzüge auf dem Papierbogen mit denen, die der abgebildete Stormbrief im Buch zeigt.
Das ist doch hundertprozentig die gleiche Schrift, murmelt er vor sich hin. In den letzten Tagen hat er diese Prozedur wie unter Zwang, oft mehrmals hintereinander, immer und immer wieder durchgeführt. Nur die Echtheit der Schriftstücke würde sich für ihn auch wirklich auszahlen, darüber ist er sich im Klaren. Nicht auszudenken, wenn er wegen einer Fälschung getötet hätte.
Im Grunde ist die ganze Sache ja einfach nur so passiert, denkt er. So eine Chance konnte ich mir schließlich nicht entgehen lassen. Die Sache war einfach eine unglückliche Verstrickung von Umständen. Da kann man nichts machen. Genau genommen ist es nicht meine Schuld.
In seinem Kopf läuft ein Film ab und zwar einer, den er in- und auswendig kennt, Szene für Szene. Es ist zwar erst ein paar Tage her, aber er hat trotzdem das Gefühl alles läge schon Jahre zurück. Es durchzuckte ihn wie ein feuriger Blitz an dem besagten Abend. Er hatte kurz vor Feierabend noch in seinem Laden vorbeigeschaut. Seine Angestellte Edda Herbst war völlig aufgekratzt gewesen, plapperte ihn mit ihren Geschichten voll. Doch in dem Moment, in dem sie erzählte, sie hätte am Abend zuvor auf ihrem Dachboden eine alte Mappe mit handgeschriebenen Zetteln von Theodor Storm entdeckt, war er wie elektrisiert gewesen. Als sie dann auch noch von einem Roman sprach, wußte er, Edda war auf Gold gestoßen! Er konnte seine Gedanken nicht mehr kontrollieren. Alles drehte sich nur noch um ihren Fund und wie er an ihn herankommen könnte.
Edda, die schon einige Zeit bei ihm in der kleinen Videothek arbeitete, war seiner Meinung nach nicht besonders helle. Aber weil sie so verdammt gut aussah, hatte er sie hauptsächlich wegen der Kunden eingestellt.
Genauso wie er sie schon immer eingeschätzt hatte, stellte sich das Aushorchen ihrer Person als nicht besonders schwierig heraus. Auf die Frage, woher sie denn wüsste, dass es sich um einen Roman von Storm handelt, schaute sie ihn verwundert an und sagte dann einfach nur: »Na, ich kann schließlich lesen! Auf dem ersten Zettel steht klar und deutlich: Ein Roman von Theodor Storm.«
In der Husumer Rundschau hatte er in den letzten Jahren schon öfter Artikel über die Theorie eines gewissen Ruppert Wraage gelesen, der immer wieder seine Meinung von einem unentdeckten Roman des Dichters darlegte. Doch die bissigen Kommentare der hiesigen Experten begleiteten jede seiner Veröffentlichungen im Lokalblatt nur mit Hohn und Spott. Er selber hatte die Vorstellung von einem Roman seines Lieblingsdichters immer spannend gefunden. Und jetzt gab es diesen Roman höchstwahrscheinlich wirklich! Edda hatte offensichtlich keine Ahnung, was ihr da so unverhofft in die Hände gefallen war. Sie hatte zwar mal vor ihm damit geprahlt, dass sie über mehrere Ecken mit Storm verwandt wäre, aber das hatte sie wohl nur getan, weil er öfter während der Arbeit von Storm geschwärmt hatte. Selbst den Laden hatte er aus Vorliebe zum Dichter in einem historischen Haus angemietet. Hier im ehemaligen Schützenhaus in der Süderstraße spielte seinerzeit Storms Novelle ›Pole Poppenspäler‹. Doch diese Tatsache hatte sich in keiner Weise positiv auf das Geschäft ausgewirkt. Seit Jahren war seine Videothek, trotz der rassigen Edda als Galionsfigur, ein Schmuddelladen geblieben, der hauptsächlich durch das Pornogeschäft noch nicht in die Pleite geraten war. Er hatte das finanzielle Gekrebse endgültig dicke. Hätte er diesen Roman in seinem Besitz, da war er sich sicher, wäre seine Geldmisere garantiert für lange Zeit gelöst.
Sein endgültiger Entschluss das Manuskript zu entwenden, fiel genau um 21:30 Uhr. Edda war den ganzen Tag im Laden gewesen. Er ging also fest davon aus, dass sie über ihre Entdeckung noch mit niemand anderem gequatscht hatte. Garantiert war er der Einzige, der bis jetzt davon wusste.
Mit dem Satz: »Du weißt ja genau, wie sehr ich Storm liebe!«, begann er mit seiner Strategie und knuffte Edda dabei leicht gegen den Oberarm. »Wie wär’s, wenn ich morgen früh mit frischen Brötchen zum Frühstück komme und du zeigst mir den Roman. Das wäre echt toll von dir!«
Ein feuchter Dunst lagerte auf der Wasseroberfläche im Hafen.
Er vertieft sich in die erste Seite des Romans. Die altdeutsche Schreibweise ist nicht einfach zu entziffern. Sofort ist die Erinnerung an Edda hinter der geschwungenen Tintenschrift verschwunden.
Der wohlgekleidete Mann im dunklen Überrock stand an der Kaimauer und schaute in den Nebel hinaus. Es war so still, dass er weit hinten die kleinen Wellen an die Bordwände der Halligschiffe schwappen hörte. Eigentlich hieß er Detlef Fedder und war Sohn eines Pfennigmeisters aus Friedrichsstadt; doch alle nannten ihn nur Dintefaß (Tintenfass), weil er die Feder so trefflich gebrauchen konnte.
Ja, das ist eindeutig Storms Stil, denkt Peters bei sich. Ihm läuft unwillkürlich eine Gänsehaut über den Rücken. Als er weiterliest, flimmern vor seinen Augen schon die Schlagzeilen der Zeitungen: Roman von Theodor Storm entdeckt!
»Es bedarf wohl äußerlich der Enge, um innerlich ins Weite zu gehen. Es ist an der Zeit den ewigen Novellisten hinter sich zu lassen. Ein Meisterwerk würde ihm, dem alten Detlef Dintefaß, einfach gut zu Gesicht stehen. In seinen ernsten Augen, in welche sich seine ganze verlorene Jugend gerettet zu haben schien, lag ein plötzlicher Entschluß. Er wurde eifrig und stieß den langen Rohrstock mit dem goldenen Knauf kurz auf den Gehstein. Ein bitteres Lächeln umflog seinen Mund, während er mit Andacht auf alles schaute, was im letzten Hauch des Tages ausgebreitet lag. In der Krämergasse, die er zum Rathausmarkt hinaufging, leuchteten die Lichter aus den Fenstern ihm den Weg. Vor den Giebelhäuschen gleich an der Ecke standen granitne Pfeilersteine, die mit schweren eisernen Ketten verbunden waren. Er liebte die einfachen und sittenstrengen Menschen seiner kleinen Stadt, die jetzt sicher vor dampfendem Tee um ihre Tische saßen.«
Peters kann nicht mehr weiterlesen und legt die durch des Dichters Hand geweihten Schriftstücke wieder zwischen die Leinendeckel, verschnürt die Bänder und verstaut die Kostbarkeit – seine Kostbarkeit – wie eine heilige Reliquie wieder in der Schrankschublade. Nun heißt es weiterhin kühlen Kopf bewahren, beruhigt er sich innerlich. Es muss erst mal Gras über die Sache mit Edda wachsen.
Unwillkürlich sieht er vor seinem inneren Auge wieder, wie er heimlich die Schlaftabletten in den Kaffee fallen ließ. Wie er Eddas schlaffen Körper ins Badezimmer zog, direkt neben die Wanne. Wie er beobachtete, ob sie sich noch rührte. Wie er den Wasserhahn aufdrehte. Wie ihm die Idee kam, Edda ans Meer zu schaffen, damit man glauben würde, dass sie ertrunken war. Wie er in der Küche nach Salzpackungen stöberte und den Inhalt im Wasser auflöste. Wie er die Frau am Hosengürtel packte und sie über den viel zu hohen Wannenrand quälte, ihren Kopf dann solange unter Wasser drückte, bis keine Luftblasen mehr aus ihrem Mund aufstiegen.
2
Swensen erwacht wie immer kurz bevor der Wecker klingelt. Fünf vor halb sechs. Er kann sich auf seine innere Uhr verlassen. Vom Sturm und Regen draußen ist heute nichts mehr zu hören.
Vielleicht können wir ja endlich einen Hubschrauber einsetzen, denkt er und lässt die letzten beiden Tage noch einmal Revue passieren.
Am Samstagmittag war der Einsatzwagen im Watt vor St. Peter-Ording gewesen. Doch die Beamten konnten nichts Verdächtiges finden und auch kein Anlieger hatte etwas Ungewöhnliches gesehen. Obwohl das Wetter sich genauso mies wie am Vortag präsentierte, war er am Sonntag selbst noch einmal vor Ort gewesen. Sein Marsch durchs Watt förderte aber genauso wenige Erkenntnisse ans Licht wie der