Der Tod in Venedig / Смерть в Венеции. Книга для чтения на немецком языке. Томас Манн

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Sammetarabesken[15] über und über besetzt war. Aber diese gewichtigen und warmen Stoffe ließen die unsägliche Zartheit, Süßigkeit und Mattigkeit des Köpfchens nur noch rührender, unirdischer und lieblicher erscheinen. Ihr lichtbraunes Haar, tief im Nacken zu einem Knoten zusammengefasst, war glatt zurückgestrichen, und nur in der Nähe der rechten Schläfe fiel eine krause, lose Locke in die Stirn, unfern der Stelle, wo über der markant gezeichneter Braue ein kleines, seltsames Äderchen sich blaublaß und kränklich in der Klarheit und Makellosigkeit dieser wie durchsichtigen Stirn verzweigte. Dies blaue Äderchen über dem Auge beherrschte auf eine beunruhigende Art das ganze feine Oval des Gesichts. Es trat sichtbarer hervor, sobald die Frau zu sprechen begann, ja, sobald sie auch nur lächelte, und es gab alsdann dem Gesichtsausdruck etwas Angestrengtes, ja selbst Bedrängtes, was unbestimmte Befürchtungen erweckte. Dennoch sprach sie und lächelte. Sie sprach freimütig und freundlich mit ihrer leicht verschleierten Stimme, und sie lächelte mit ihren Augen, die ein wenig mühsam blickten, ja hie und da eine kleine Neigung zum Verschießen zeigten, und deren Winkel, zu beiden Seiten der schmalen Nasenwurzel, in tiefem Schatten lagen, soweit mit ihrem schönen, breiten Munde, der blaß war und dennoch zu leuchten schien, vielleicht, weil seine Lippen so überaus scharf und deutlich umrissen waren. Manchmal hüstelte sie. Hierbei führte sie ihr Taschentuch zum Munde und betrachtete es alsdann.

      „Hüstle nicht, Gabriele“, sagte Herr Klöterjahn. „Du weißt, dass Doktor Hinzpeter zu Hause es dir extra verboten hat, darling[16], und es ist bloß, dass man sich zusammennimmt, mein Engel. Es ist, wie gesagt, die Luftröhre“, wiederholte er. „Ich glaube wahrhaftig, es wäre die Lunge, als es losging, und kriegte, weiß Gott, einen Schreck. Aber es ist nicht die Lunge, nee, Deubel noch mal[17], auf so was lassen wir uns nicht ein, was, Gabriele? hö, hö!“

      „Zweifelsohne“, sagte Doktor Leander und funkelte sie mit seinen Brillengläsern an.

      Hierauf verlangte Herr Klöterjahn Kaffee – Kaffee und Buttersemmeln, und er hatte eine anschauliche Art, den K-Laut ganz hinten im Schlunde zu bilden und „Bottersemmaln“ zu sagen, dass jedermann Appetit bekommen musste.

      Er bekam, was er wünschte, bekam auch Zimmer für sich und seine Gattin, und man richtete sich ein.

      Übrigens übernahm Doktor Leander selbst die Behandlung, ohne Doktor Müller für den Fall in Anspruch zu nehmen.

      Die Persönlichkeit der neuen Patientin erregte ungewöhnliches Aufsehen in „Einfried“, und Herr Klöterjahn, gewohnt an solche Erfolge, nahm jede Huldigung, die man ihm darbrachte, mit Genugtuung entgegen. Der diabetische General hörte einen Augenblick zu murren auf, als er ihrer zum ersten Mal ansichtig wurde, die Herren mit den entfleischten Gesichtern lächelten und versuchten angestrengt ihre Beine zu beherrschen, wenn sie in ihre Nähe kamen, und die Magistratsrätin Spatz schloss sich ihr sofort als ältere Freundin an. Ja, sie machte Eindruck, die Frau, die Herrn Klöterjahns Namen trug! Ein Schriftsteller, der seit ein paar Wochen in „Einfried" seine Zeit verbrachte, ein befremdender Kauz, dessen Name wie der eines Edelsteins lautete, verfärbte sich geradezu, als sie auf dem Korridor an ihm vorüberging, blieb stehen und stand noch immer wie angewurzelt[18], als sie schon längst entschwunden war.

      Zwei Tage waren noch nicht vergangen, als die ganze Kurgesellschaft mit ihrer Geschichte vertraut war. Sie war aus Bremen gebürtig, was übrigens, wenn sie sprach, an gewissen liebenswürdigen Lautverzerrungen zu erkennen war, und hatte dortselbst vor zwei Jahren dem Großhändler Klöterjahn ihr Jawort fürs Leben erteilt[19]. Sie war ihm in seine Vaterstadt, dort oben am Ostseerande, gefolgt und hatte ihm vor nun etwa zehn Monaten unter ganz außergewöhnlich schweren und gefährlichen Umständen ein Kind, einen bewundernswert lebhaften und wohlgeratenen Sohn und Erben beschert. Seit diesen furchtbaren Tagen aber war sie nicht wieder zu Kräften gekommen, gesetzt, dass sie jemals bei Kräften gewesen war. Sie war kaum vom Wochenbette[20] erstanden, äußerst erschöpft, äußerst verarmt an Lebenskräften, als sie beim Husten ein wenig Blut aufgebracht hatte – oh, nicht viel, ein unbedeutendes bisschen Blut; aber es wäre doch besser überhaupt nicht zum Vorschein gekommen, und das Bedenkliche war, dass derselbe kleine unheimliche Vorfall sich nach kurzer Zeit wiederholte. Nun, es gab Mittel dagegen, und Doktor Hinzpeter, der Hausarzt, bediente sich ihrer. Vollständige Ruhe wurde geboten, Eisstückchen wurden geschluckt, Morphium wurde gegen den Hustenreiz verabfolgt und das Herz nach Möglichkeit beruhigt. Die Genesung aber wollte sich nicht einstellen, und während das Kind, Anton Klöterjahn der Jüngere, ein Prachtstück von einem Baby, mit ungeheurer Energie und Rücksichtslosigkeit seinen Platz im Leben eroberte und behauptete, schien die junge Mutter in einer sanften und stillen Glut dahinzuschwinden… Es war, wie gesagt, die Luftröhre, ein Wort, das in Doktor Hinzpeters Munde eine überraschend tröstliche, beruhigende, fast erheiternde Wirkung auf alle Gemüter ausübte. Aber obgleich es nicht die Lunge war, hatte der Doktor schließlich den Einfluss eines milderen Klimas und des Aufenthaltes in einer Kuranstalt zur Beschleunigung der Heilung als dringend wünschenswert erachtet, und der Ruf des Sanatoriums „Einfried“ und seines Leiters hatten das übrige getan.

      So verhielt es sich; und Herr Klöterjahn selbst erzählte es jedem, der Interesse dafür an den Tag legte. Er redete laut, salopp und gut gelaunt, wie ein Mann, dessen Verdauung sich in so guter Ordnung befindet wie seine Börse, mit weit ausladenden Lippenbewegungen, in der breiten und dennoch rapiden Art des Küstenbewohners vom Norden. Manch Worte schleuderte er hervor, dass jeder Laut einer kleinen Entladung glich, und lachte darüber wie über einen gelungenen Spaß.

      Er war mittelgroß, breit, stark und kurzbeinig und besaß ein volles, rotes Gesicht mit wasserblauen Augen, die von ganz hellblonden Wimpern beschattet waren, geräumigen Nüstern und feuchten Lippen. Er trug einen englischen Backenbart, war ganz englisch gekleidet und zeigte sich entzückt, eine englische Familie, Vater, Mutter und drei hübsche Kinder mit ihrer nurse[21], in „Einfried“ anzutreffen, die sich hier aufhielt, einzig und allein, weil sie nicht wusste, wo sie sich sonst aufhalten sollte, und mit der er morgens englisch frühstückte. Überhaupt liebte er es, viel und gut zu speisen und zu trinken, zeigte sich als ein wirklicher Kenner von Küche und Keller und unterhielt die Kurgesellschaft aufs anregendste von den Diners[22], die daheim in seinem Bekanntenkreise gegeben wurden, sowie mit der Schilderung gewisser auferlesener, hier unbekannter Platten. Hierbei zogen seine Augen sich mit freundlichem Ausdruck zusammen, und seine Sprache erhielt etwas Gaumiges und Nasales[23], indes leicht schmatzende Geräusche im Schlunde sie begleiteten. Dass er auch anderen irdischen Freuden nicht grundsätzlich abhold war, bewies er an jenem Abend, als ein Kurgast von „Einfried“, ein Schriftsteller von Beruf, ihn auf dem Korridor in ziemlich unerlaubter Weise mit einem Stubenmädchen scherzen sah – ein kleiner, humoristischer Vorgang, zu dem der betreffende Schriftsteller eine lächerlich angeekelte Miene machte.

      Was Herrn Klöterjahns Gattin anging, so war klar und deutlich zu beobachten, dass sie ihm von Herzen zugetan war. Sie folgte lächelnd seinen Worten und Bewegungen: nicht mit der überheblichen Nachsicht, die manche Leidenden den Gesunden entgegenbringen, sondern mit der liebenswürdigen Freude und Teilnahme gutgearteter Kranker an den zuversichtlichen Lebensäußerungen von Leuten, die in ihrer Haut sich wohl fühlen.

      Herr Klöterjahn verweilte nicht lange in „Einfried“. Er hatte seine Gattin hierher geleitet; nach Verlauf einer Woche aber, als er sie wohl aufgehoben und in guten Händen wusste, war seines Bleibens nicht länger. Pflichten von gleicher Wichtigkeit, sein blühendes Kind, sein ebenfalls blühendes Geschäft, riefen ihn in die Heimat zurück; sie zwangen ihn, abzureisen und seine Frau im Genusse der besten Pflege zurückzulassen.

4

      Spinell[24] hieß der Schriftsteller, der seit mehreren Wochen in „Einfried“ lebte, Detlev Spinell war sein Name, und sein Äußeres war wunderlich.

      Man vergegenwärtigte sich einen Brünetten am Anfang



<p>15</p>

Arabesken – растительный орнамент

<p>16</p>

darling – английский вариант немецкого Liebling – дорогая

<p>17</p>

nee, Deubel noch mal – (разг., прост.) – чёрт побери

<p>18</p>

er blieb wie angewurzelt stehen – он остановился как вкопанный

<p>19</p>

das Jawort fürs Leben erteilen – дать свое согласие на брак

<p>20</p>

Wochenbett, n – период, длящийся до восьми недель после родов

<p>21</p>

nurse – английский вариант немецкого Amme, Kindermädchen – няня

<p>22</p>

Diner, m – слово пришло из французского языка и означает званый, торжественный обед

<p>23</p>

seine Sprache erhielt etwas Gaumiges und Nasales – он говорил гортанно и немного в нос

<p>24</p>

Spinell – шпинель, кристаллический минерал, драгоценный красный или голубой камень