Название | „… Gesetz und Freiheit ohne Gewalt“: „Die höchste Form der Ordnung“ |
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Автор произведения | Richard A. Huthmacher |
Жанр | Историческая литература |
Серия | |
Издательство | Историческая литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783959637664 |
Was also haben alle Anarchisten miteinander gemein?
Sie wollen eine freie Gesellschaft ohne Herrschaft des Menschen über den Menschen.
Sie wollen, dass die Menschen selbstbestimmt die Art und Weise ihres Zusammenlebens regeln; freie Vereinbarungen und gegenseitige Solidarität sollen Gesetze und die Konkurrenz aller mit allen ersetzen.
Sie wollen, dass der autoritäre Zentralismus gegenwärtiger Gesellschaften durch den Föderalismus zukünftiger anarchistischer Formen des Zusammenlebens ersetzt wird.
Sie, die Anarchisten, wollen eine dezentrale Vernetzung kleiner Einheiten. Anstelle immer gigantischerer, Länder und Kontinente übergreifender Formen gesellschaftlicher und ökonomischer Organisation.
Sie wollen eine Vielzahl wie Vielfalt parallel existierender gesellschaftlicher Zusammenschlüsse anstelle eines einzigen verbindlichen Staatskonstruktes.
Sie wollen nichts anderes als gleiche Rechte und Pflichten für alle Menschen.
Zur Verwirklichung benannter anarchistischer Vorstellungen müsste der Staat als Institution und autoritäres Herrschafts-Prinzip weichen.
Dafür müssten die „tragenden Säulen“ des (autoritären) Staates wie Polizei und Militär, wie Justiz und repressive Verwaltungsstrukturen, wie Kirche und Staats-Ideologie, wie pädagogische Indoktrination im Sinne des je herrschenden Systems weichen. Dafür müsste auch die kapitalistische Wirtschaftsform, die den Reichtum weniger durch die Ausbeutung der Masse ermöglicht, weichen.
(Anmerkung: Der Einfluss der Kirche auf Gesellschaft und Staat – welcher, der Einfluss, nicht zuletzt auf ihrem, der Kirche, schier unermesslichen Reichtum gründet – wird heutigentags oft unterschätzt; deshalb führte ich auch diesbezüglich einen Briefwechsel mit meiner ermordeten Frau: Der werte Leser sei in diesem Kontext auf den Anhang zu vorliegendem Buch sowie auf Band 3 der Werkausgabe verwiesen, welcher, letzterer, sich mit dem Verbrecher Martin Luther und seinem verhängnisvollen Einfluss auf die abendländische Gesellschaft und Geschichte befasst.)
Derart (wie zuvor und im Folgenden beschrieben) sind – grosso modo – die gesellschaftliche Utopie der Anarchisten. In deren Vorstellung Anarchie die moralisch höchste Form der Ordnung verkörpert – deshalb, weil Vorschriften, Regeln und Begrenzungen in freiwilliger Übereinkunft gesetzt und nicht durch pure Macht oktroyiert werden.
Folgerichtig versuch(t)en – namentlich in den letzten zweihundert Jahren – ganze Generationen von Systemlingen (wie Politiker und Pfaffen, Literaten und sonstige Affen, nicht zuletzt sogenannte Wissenschaftler) alles nur Erdenkliche, um den Anarchismus als gesellschaftstheoretisch philosophisches Konstrukt und auch als konkrete politische Bewegung zu diskreditieren.
Noch heute definiert der Duden Anarchie als „Zustand der Gesetzlosigkeit …, [als] Chaos in rechtlicher, politischer, wirtschaftlicher [und] gesellschaftlicher Hinsicht“ – durch solche Indoktrination soll suggeriert werden, dass die Verwirklichung anarchistischer Ideen jede Gesellschaft ins Chaos stürze.
Jedoch (wie angeführt zuvor): Gemäß Kant ist Anarchie „Gesetz und Freiheit ohne Gewalt“, „Gesetz und Gewalt ohne Freiheit“ indes sind nichts anderes als Despotie.
In eben diesem Sinne konstatierte (der Anarchist) Elisée Reclus zu Recht: „Anarchie ist die höchste Form der Ordnung.“
Gleichwohl – vornehmlich wegen der negativen Konnotation der Begrifflichkeit „Anarchie“ – geben sich diejenigen, die eine herrschaftsfreie Gesellschaft anstreben, die unterschiedlichsten Namen; sie nennen sich „Föderalisten“ („Abschaffung des Staates, seiner Grenzen und seines Apparates, Ersetzung durch neue Strukturen auf der Basis gleichberechtigter Kommunen und Räte, die sich dezentral [föderal] organisieren“), sie nennen sich „Kollektivisten“ (Befürworter einer Gesellschaftsordnung auf der Grundlage von Gemeinschaftlichkeit), „Mutualisten“ (Mutualismus: „genossenschaftliche Ordnung auf dem Prinzip der gegenseitigen Hilfe und Solidarität“) oder „Syndikalisten“ (Anarcho-Syndikalisten: Anarchisten auf gewerkschaftlicher Basis); bisweilen sprechen sie auch von „Akratie“ statt von Anarchie oder bezeichnen sich als „Libertäre“ bzw. als libertär:
Zudem drängt sich der Verdacht auf, dass die Idee der Anarchie verwässert werden soll, auf dass niemand mehr – und „Otto Normalverbraucher“ schon gar nicht – ihre Inhalte kennt und einen Bezug zu seinem eigenen Leben herstellen kann: Deceptio dolusque suprema lex – Tarnen und Täuschen gehört zum Geschäft.
Nichtsdestotrotz sind viele Menschen „Anarchisten“ – auch wenn ihnen dieser Umstand nicht bewusst wird.
Denn sie hinterfragen, was ihnen nicht einsichtig erscheint, weigern sich zu glauben, was sie nicht verstehen, sind nicht bereit, etwas zu tun, nur weil „man“ es befiehlt.
„Der Widerstand gegen Herrschaft zieht sich ... als stetiger Strang durch die Geschichte von Individuen und Gruppen: mal als listige Spaßvögel, mal als rebellierende Aufrührer, mal als aufmüpfige Querdenker …
Taten und Figuren sind in Märchen, Liedern und Legenden überliefert, und in aller Welt erfreuen sich die... Aktionen der Kleinen gegen die Mächtigen der ungeteilten Sympathie des Publikums. Aktionen, deren Zielscheibe die Autorität und deren Wesen Freiheit und Gerechtigkeit sind.“
Jedenfalls: Von entscheidender Bedeutung ist für Anarchisten das Verständnis von Freiheit – ihnen genügen keine Teilfreiheiten wie den (Wirtschafts-)Liberalen die Freiheit des Handels, den Patrioten die Freiheit des Vaterlandes oder den Aufklärern die Freiheit des Geistes, vielmehr ist Freiheit für sie unteilbar und all-umfassend, betrifft ebenso das alltägliche Leben der Menschen wie deren globale Organisation.
Freiheit ist für Anarchisten mit sozialer Gerechtigkeit verbunden; es gibt keine Anarchie ohne Gerechtigkeit: „Freiheit ohne Sozialismus ist Privilegientum und Ungerechtigkeit – und Sozialismus ohne Freiheit ist Sklaverei und Brutalität.“ So, zutreffend, Bakunin.
Folgerichtig wurde die Begrifflichkeit vom „sozialen Anarchismus“ geprägt („Arten des Anarchismus: … sozialer Anarchismus, für den kleine menschliche Gemeinschaften [Familie, Dorf, Kleinbetrieb, Arbeiterzellen] ohne starre Regeln und Zwang harmonisch kooperieren [Tolstoi, Bakunin, Anarchosyndikalisten]“).
Anarchisten kämpfen nicht nur gegen, sondern sie kämpfen auch und insbesondere für (konstruktives libertäres Element): beispielsweise kämpfen sie gegen Rüstung und für den Frieden, gegen Atomkraftwerke sowie Umweltzerstörung und für Ökologie, gegen Behördensumpf, Polizeiwillkür und Justizarroganz sowie für ein Verwaltungssystem, das den Menschen dient, nicht umgekehrt.
Dadurch gebiert (staatliche) Unterdrückung nicht Gewalt, sondern Lösungsansätze und neue Denk- und Lebensmodelle.
Auch wenn im historischen Kontext einige anarchistische Strömungen, namentlich zu Ende des 19. Jhd., ihre Zuflucht in Gewalt gegen die Repression, die sie selbst erfuhren, suchten: Die Zahl der Pazifisten im Kampf der Anarchisten gegen ihre Unterdrückung ist ungleich größer als die Zahl derer, die Gleiches mit Gleichem und Gewalt mit Gewalt vergelten (wollten oder wollen).
Zudem sollte man nicht alle für Anarchisten halten, die mit der schwarzen Fahne wedeln oder oder in schwarzer Montur auf alles einprügeln, was nicht ihrer Gesinnung oder der des Verfassungsschutzes ist: Viele von denen segeln unter falscher Flagge. Wie einst die Piraten.
Vielmehr ist der Anarchismus ein fort- und immerwährendes Experiment, ein „Basar der Vielfalt“, aus dem sich ein jeder, indes nicht nach Belieben bedienen kann. Denn Anarchismus ist ebenso vielfältig wie in keiner Weise willkürlich.
Mithin ist der Anarchismus kein (definiertes und definitives) Ziel, sondern ein Zustand sozialen Zusammenlebens, den die, welche sich gesellschaftlich organisieren, immer wieder wie immer wieder neu bestimmen müssen; er ist nicht die marxsche Utopie einer klassenlosen Gesellschaft, sondern ein ständiges Suchen, Versuchen, Wagen und Ausprobieren.