Der Sohn des Apothekers. Ulrich Hefner

Читать онлайн.
Название Der Sohn des Apothekers
Автор произведения Ulrich Hefner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839265260



Скачать книгу

Wort«, antwortete Justin Belfort.

      3

      Lisa Winter hatte sich einen zweiten Stuhl herangezogen und die Beine hochgelegt. Sie blickte lustlos auf ihren Computerbildschirm, doch als Trevisan ächzend und stöhnend den Gang entlangkam, bepackt mit dem Wäschekorb voller Akten, schaute sie interessiert auf.

      »Da hat unser Teufelchen wohl etwas Ballast abgeladen und unseren Neuen mit reichlich Lesestoff eingedeckt«, bemerkte sie lakonisch. »Die Fälle der letzten hundert Jahre?«

      »Irrtum, Kollegin, das sind die Akten zu unserem neuen Fall«, entgegnete Trevisan. »Prioritätsstufe eins.«

      »Das ist ein Fall?« Sie erhob sich, umrundete ihren Schreibtisch und blieb vor dem Wäschekorb stehen.

      »Was tun Sie eigentlich gerade?«

      Lisa zuckte die Schultern. »Ich bin Lisa und ich werte Daten aus. So wie immer.«

      »Und das heißt?«

      »Ich gleiche Daten aus dem Pol-Info-System des BKA mit unserer landesweiten Vermisstendatei ab.«

      Trevisan räusperte sich. »Gut, schon Erfolg gehabt?«

      Lisa schüttelte den Kopf. »In diesem Jahr noch nicht, aber im letzten Jahr konnte ich eine unbekannte Tote aus der Leine identifizieren.«

      »Enorm«, antwortete Trevisan spöttisch »Dann wird das BKA ja noch eine Weile warten können. Wir kümmern uns ab sofort ausschließlich um diesen einen Fall. Gibt es hier so etwas wie einen Konferenzraum?«

      Lisa wies den Flur hinunter. »Wir haben einen Soko-Raum am Ende des Flures. Wir nutzen ihn als Abstellraum.«

      Trevisan bückte sich und drückte ihr zwei Ordner in die Hand. »Soko-Raum hört sich gut an.« Er wies mit dem Kopf den Flur hinunter. Lisa stapfte voraus und öffnete die Tür. Trevisan folgte ihr mit dem Wäschekorb.

      Der Raum erinnerte ihn an das Konferenzzimmer in Wilhelmshaven. Zwei große Pinnwände standen an der Stirnseite, daneben eine Tafel. In der Mitte befand sich ein langer Tisch mit heller Arbeitsfläche, umringt von Stühlen. Zehn zählte Trevisan. Mitten auf dem Tisch standen mehrere Telefone und an der Wand gegenüber der Fensterreihe hingen Karten von Deutschland, Niedersachsen und aus der Region. Es gab zwei voll ausgestattete Computertische und einen Regalschrank. Standardausstattung für Räume, in denen Sonderkommissionen arbeiteten.

      »Genau das, was wir für unsere Ermittlungen brauchen«, sagte Trevisan und platzierte den Wäschekorb auf dem Tisch. Dann nahm er Aktenordner nach Aktenordner heraus und stellte sie in den Regalschrank.

      »Um was dreht es sich eigentlich in dem Fall?«, fragte Lisa, nachdem sie Trevisan eine Weile beobachtet hatte.

      Er öffnete das Fenster, dann wies er auf einen Stuhl. Zögernd nahm Lisa Platz. Trevisan setzte sich neben sie und erzählte ihr, was er von Oberrat Engel über die verschwundenen Radfahrerinnen erfahren hatte.

      Am Ende schluckte Lisa und schaute Trevisan mit großen Augen skeptisch an. »Und wir sollen die Ermittlungen führen?«

      »Ja, genau, das werden wir in den nächsten Tagen und Wochen tun«, antwortete Trevisan bestimmt. »Und wenn wir eine Chance haben, dann werden wir den Fall auch lösen.«

      »So etwas haben wir in dieser Abteilung noch nie gemacht. Das …«

      »Wie lange bist du schon bei der Polizei?«

      Lisa lächelte verlegen. »Ich bin seit acht Jahren hier. Direkt nach der Ausbildung. Sechs Jahre Kriminaltechnische Auswertung, dann zwei Jahre beim Lagezentrum. Seit letztem Jahr hier im Dezernat.«

      »Du hast doch bestimmt schon einmal an einem Fall mitgearbeitet?«, fragte Trevisan.

      »Ich war bei der daktyloskopischen Auswertung und später dann bei der DNA. Im Lagezentrum haben wir Mails und Berichte durch das ganze Land gesteuert.«

      Trevisan legte den Kopf schräg und blickte ihr gedankenvoll ins Gesicht. »Also gut, wenn das so ist. Dann ist das eben unser erster Fall.«

      »Und wo fangen wir an?«

      Er deutete auf die Aktenordner. »Wir werden uns jetzt erst einmal in die Ermittlungsergebnisse der damaligen Sonderkommission einarbeiten. Wir sondieren das Material, legen eine Spurendatei an, sichten die Fotos und die Berichte und übertragen alles in den PC, damit wir einen schnellen Zugriff haben. Dann erstellen wir ein Tatortprofil, markieren und überprüfen die Route der beiden Mädchen und verfassen ein Schlagwortverzeichnis, für gezielte Recherchen. Wenn wir das alles eingerichtet haben, machen wir uns an die eigentliche Arbeit.«

      »Das klingt aufregend … Ich habe so etwas noch nie gemacht«, stotterte Lisa.

      »Aber ich, außerdem gibt es dazu Vorlagen.« Er schaute auf die Uhr. »Hast du heute noch etwas vor?«

      Lisa zuckte mit der Schulter.

      Trevisan erhob sich. »Das ist gut, ich ebenfalls nicht. Und richte dich in den nächsten Tagen darauf ein, dass wir ein paar Überstunden machen werden. Denn ohne wird es wohl nicht gehen, schätze ich.«

      *

      Der Grubhof von Bauer Tjaden lag am nördlichen Ende des Dorfes am Wiesenweg, der durch den angrenzenden Wald vorbei an den Mooren zum Bannsee führte. Dort hatte der Bauer damals die Fahrräder der verschollenen Mädchen aufgefunden. Justin Belfort lenkte seinen Wagen von der Straße in das weitläufige Gehöft und hielt an. Ein schwarzer Mischlingshund an der Kette vollführte lauthals bellend wilde Kapriolen vor seiner Hütte. Justin schaute sich um. Niemand war zu sehen, doch aus einer offenen Scheunentür drang das ohrenbetäubende Kreischen einer Kreissäge.

      Justin ging auf die Scheune zu, in der zwei Männer, ein junger und ein älterer, damit beschäftigt waren, Meterstücke Holz zu zersägen. Als der Jüngere, Justin schätzte ihn auf knapp zwanzig, ihn sah, gab er dem alten Mann in blauer Arbeitskluft ein Zeichen, doch der ließ sich nicht beirren. Erneut fegte das laute Jaulen der Säge über den Hof und erst, als das Holz zersägt war, schaltete der Alte sie aus und wandte sich zu Justin um.

      »Ja?«

      »Sind Sie der Besitzer dieses Hofes, Herr Tjaden?«, fragte Justin.

      »Ganz recht.« Er wandte sich seinem jungen Gehilfen zu. »Bring die Stücke in das Lager, du kannst schon den Spalter richten.«

      Der junge Mann nickte kurz und verschwand durch eine Seitentür.

      »Was wollen Sie?«, fragte Tjaden mürrisch.

      »Mein Name ist Justin Belfort, ich arbeite für das Direkt-Magazin und will mit Ihnen reden.«

      Der Mann in blauer Arbeitskluft zeigte überrascht auf die eigene Brust. »Mit mir? Warum das?«

      »Es geht um die Geschichte der verschwundenen Radfahrerinnen«, erklärte Justin. »Meinen Informationen nach haben Sie damals in der Nähe des Bannsees die Räder entdeckt.«

      »Kann schon sein.«

      »Haben Sie schon gehört, dass eines der Mädchen wieder aufgetaucht ist?« Justin holte einen Notizblock und einen Kugelschreiber aus seiner Hemdtasche.

      Tjaden zuckte mit der Schulter. »Meinetwegen.«

      Justin stutzte. »Es muss Sie doch interessieren, schließlich waren Sie damals auch irgendwie an dem Fall beteiligt.«

      Tjaden, Justin schätzte ihn auf etwa sechzig, machte einen Schritt auf ihn zu. »Hören Sie, damals tauchten reihenweise Reporter hier auf meinem Hof auf und brachten alles nur durcheinander. Jeder wollte wissen, was ich gesehen habe und ob ich etwas Verdächtiges bemerkt hätte. Sogar mitten in der Nacht klingelten sie an meiner Tür. Man kam gar nicht zur Ruhe. Und am Ende nannten die Zeitungen unseren Ort das Dorf des Grauens. Ich habe keine Lust mehr auf den Zinnober. Ich bin mit dem Trecker einfach nur einen Weg entlanggefahren, da lagen zwei Räder im Gebüsch. Ich habe den Polizisten in Mardorf Bescheid gegeben und mehr war da nicht. Ich wusste nicht einmal, dass da ein