Der Sohn des Apothekers. Ulrich Hefner

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Название Der Sohn des Apothekers
Автор произведения Ulrich Hefner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839265260



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konnten Fasern an der Kleidung des Opfers festgestellt werden, die derzeit analysiert werden. Man erhofft sich davon Rückschlüsse auf das Fahrzeug, in dem das Mädchen saß, bevor es auf die Straße gestoßen wurde. Außerdem mutmaßen die zuständigen Kollegen, dass das Mädchen sich im benachbarten Dänemark aufgehalten hat. Es gibt da eine dänische Rockergruppe in Padborg, die sich Black Lions nennt. Padborg ist nicht weit von der Grenze entfernt. Die Gruppe wurde vor ein paar Tagen ausgehoben, weil sie in Drogenhandel und Prostitution verstrickt ist. Sie hielten zwei Frauen aus Litauen gefangen, die sie zur Prostitution zwangen. Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang. Aber das ist nur eine vage Spur.«

      »Gut, im Grunde genommen stehen wir also am Anfang. Ich denke, ich werde mich erst einmal mit den Akten befassen.«

      Der Kriminaloberrat druckste ein wenig herum. »Wissen Sie, normalerweise koordinieren wir Vermisstenfahndungen und unterstützen die Kollegen vor Ort bei ihrer Arbeit«, holte er aus. »Aber diesmal müssen wir unsere Arbeitsweise ein klein wenig ändern. Deswegen bin ich froh, dass Sie uns unterstützen, denn Sie sind ein Mann der Praxis und können unserer Abteilung mit neuen Impulsen helfen. Wir werden diesmal die Ermittlungen leiten.«

      »Sie meinen, wir führen die Ermittlungen, wenn ich Sie richtig verstehe.«

      Engel zog die Stirn kraus. »Auf uns lastet ein immenser Druck«, sagte er zögerlich. »Nicht nur die Presse sitzt uns im Nacken, auch die Mutter der noch immer verschwundenen Melanie Reubold hat sich an uns gewandt. Wir brauchen dringend Ergebnisse, und die polizeiliche Praxis, das gebe ich offen zu, ist nicht gerade unsere Paradedisziplin. Wir sind in erster Linie Service- und Koordinierungsstelle. Der Direktor erwartet, dass wir uns mit dem Fall intensiv auseinandersetzen. Er hat uns freie Hand gegeben. Ich könnte noch weitere Männer …«

      Trevisan hob beschwichtigend die Hände. »Ich denke, ich lese mich erst einmal in die Akten ein.«

      »Gut. Sobald Sie wissen, welchen Kräfteansatz wir benötigen, melden Sie sich bei mir«, entgegnete der Kriminaloberrat. »Trevisan, ich verlasse mich in dieser Sache voll auf Ihre Fachkenntnisse. Sie leiten diese Untersuchung und wenn Sie etwas brauchen, dann sagen Sie einfach Bescheid.«

      *

      Als Justin Belfort nach einer unruhigen Nacht und einem kargen Frühstück den Klosterkrug verließ, schien dieser Ort noch immer vom Leben ausgegrenzt zu sein. Auf dem weitläufigen Kirchplatz war trotz des blauen und strahlenden Himmels keine Menschenseele unterwegs. Noch nicht einmal die nahe Hauptstraße war befahren, und dabei war es die kürzeste Verbindung zwischen Neustadt und Mardorf.

      Die Aufnahmen, die er gestern am Bannsee gemacht hatte, waren bereits an die Redaktion übermittelt. Aus den Polizeiakten wusste er, wo genau damals die Fahrräder der beiden Mädchen aufgefunden worden waren. Gute Kontakte zur Justiz und zur Polizei waren oftmals unbezahlbar. Ein Landwirt, der zu Waldarbeiten den engen Feldweg vom See in Richtung des Campingplatzes gefahren war, hatte die Räder entdeckt. Justin hatte sich die Adresse des Mannes notiert. Mit ihm wollte er heute als Erstes sprechen. Sein Gehöft lag am Ende des Wiesenweges, bevor aus dem schmalen, doch zumindest asphaltierten Weg eine mit Splitt aufgeschüttete Holperpiste wurde. Tjaden hieß der Mann und telefonisch hatte er sich mehrfach verleugnen lassen. Doch das war Justin Belfort gewohnt. Er wusste, wenn er etwas erreichen wollte, dann blieb ihm nicht viel anderes übrig, als bei den Leuten aufzutauchen und nicht mehr zu weichen, ehe er alles erfahren hatte, was er wissen musste.

      Er holte seinen Schlüssel aus der Hosentasche, doch noch bevor er seinen Wagen aufgeschlossen hatte, heulte der Motor eines anderen Autos auf. Ein Streifenwagen bremste unmittelbar neben ihm. Ein uniformierter Beamter, Mitte fünfzig vielleicht und mit graumelierten Haaren, stieg aus. Der Polizist war alleine unterwegs.

      »Guten Morgen, der Herr«, grüßte der Beamte. »Ich dürfte wohl einmal Ihre Papiere sehen.«

      »Habe ich etwas angestellt?«, fragte Justin Belfort.

      »Das weiß ich erst, wenn ich weiß, wer Sie sind.«

      Justin Belfort holte seine Geldbörse aus der Hosentasche und entnahm seinen Personalausweis.

      Der Beamte überflog den Ausweis und wies auf den Wagen. »Das ist Ihr Fahrzeug?«

      Justin Belfort nickte.

      »Dann haben Sie bestimmt auch einen Fahrzeugschein.«

      »Sicher.« Justin öffnete die Wagentür und zog das Dokument hinter der Sonnenblende hervor.

      Der Polizist musterte es und trat vor den Wagen, um das Kennzeichen im Schein mit dem des Fahrzeuges zu vergleichen.

      »Hier steht Direkt Medien GmbH, Hannover«, sagte der Beamte spitz. »Ich dachte, das ist Ihr Wagen, aber Ihren Namen kann ich hier weit und breit nicht finden.«

      »Das ist ein Dienstwagen, der mir zugeteilt ist. Ich arbeite für die Firma.«

      »Und was tun Sie hier, Herr Belfort, wenn ich fragen darf?«

      Justin Belfort steckte den Personalausweis wieder ein, den ihm der Polizist reichte. »Ich arbeite.«

      »Gehört es zu Ihrer Arbeit, dass Sie hier herumstreunen und alles fotografieren, was Ihnen vor die Linse kommt? Eine sonderbare Arbeit, finden Sie nicht?«

      »Hören Sie, Herr Kommissar…«

      »Oberkommissar, bitte.«

      »Okay, hören Sie, ich bin Journalist und recherchiere für ein Magazin. Ich mache nur meine Arbeit. Ich habe niemanden belästigt und auch niemanden fotografiert. Außerdem ist hier sowieso keine Menschenseele unterwegs. Also, das ist doch nicht verboten, oder?«

      Unbeeindruckt umrundete der Polizist den Wagen, dessen Schmutzanhaftungen nicht zu übersehen waren. »Sie waren am See. Was wollen Sie hier?«

      »Es geht um die verschwundenen Mädchen«, erklärte Justin Belfort. »Sie haben doch sicherlich gehört, dass eins von denen wieder aufgetaucht ist. Ich will eine Geschichte über ungelöste Kriminalfälle in Niedersachsen schreiben.«

      »Da waren schon viele hier«, antwortete der Polizeibeamte. »Erst in den letzten Tagen trieben sich Ihre Kollegen im Ort herum, walzten alles nieder und hatten keinerlei Respekt vor fremdem Eigentum und vor der Natur.«

      »Ich habe niemandem etwas getan.«

      Der Polizist wies auf den schmutzigen Wagen. »Sie sind den Wiesenweg entlang bis zum See gefahren.«

      »Und wenn schon«, antwortete Justin trotzig.

      »Hinter dem Grubhof von Bauer Tjaden steht ein Sperrschild, aber das interessiert euch von der Presse ja nicht. Genauso wenig wie das Wohlergehen der Menschen hier in diesem Ort. Die Leute hier haben schon genug gelitten. Jeder x-beliebige Schreiberling meint, eine Story hier zu finden und den Ort durch den Dreck ziehen zu müssen. Hören Sie, hier wohnen anständige Bürger und Steuerzahler, die nichts anderes wollen als ihre Ruhe und Frieden. Sie wollen keine Artikel über ›den Ort des Grauens am Steinhuder Meer‹ lesen, wie es einer Ihrer Kollegen einmal in einem Artikel schrieb.«

      »Was wollen Sie eigentlich von mir?«, fragte Justin Belfort unwirsch.

      Der Polizist trat auf ihn zu. Auge in Auge blieb er vor ihm stehen. »Ich will, dass Sie die Leute und das Dorf hier in Ruhe lassen. Alles, was es zu dem Fall zu sagen gibt, können Sie der Presseerklärung der Inspektion in Garbsen entnehmen. Und außerdem will ich, dass Sie von hier verschwinden. Ich werde ein Auge auf Sie haben und für jeden Fehler, den Sie machen, werde ich Sie zur Rechenschaft ziehen. Schon der geringste Parkverstoß reicht aus. Und jetzt fangen wir gleich einmal an.«

      »Was denn?«

      Der Polizist trat hinter den Wagen und wies auf das verschmutzte Kennzeichen. »Nur damit wir uns verstehen, das kostet zehn Euro. Zahlen Sie gleich oder soll ich eine Verwarnung ausschreiben?«

      Zähneknirschend zog Justin Belfort erneut seine Geldbörse hervor und reichte dem Polizisten einen Zehn-Euro-Schein.

      »Ich weiß nicht, wie viel Geld Ihnen Ihr Käseblatt an Spesen mitgegeben hat,