Der Sohn des Apothekers. Ulrich Hefner

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Название Der Sohn des Apothekers
Автор произведения Ulrich Hefner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839265260



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verschiedene Gefängnisse verteilt«, berichtete Sina. »Drei sitzen im Staatsgefängnis von Horsens, zwei in Ringe und der Haupttäter im Sicherheitstrakt von Nyborg, das ist am anderen Ende von Dänemark.«

      »Im Staatsgefängnis, sagst du?«, fragte Justin. »Weißt du, wer die Ermittlungen führt?«

      Sina blätterte ihren Notizblock um. »Die Reichspolizei ist da federführend. Ein Chefinspektor Mats Brandstrup ist der Ermittlungsführer und ein Polizeimeister Will Viksom taucht in den Akten auf. Die Polizei in Esbjerg ist daran nicht beteiligt. Für die regionale Polizei ist die Sache wohl zu heiß und die Fäden werden direkt in Kopenhagen gezogen. Man befürchtet Aktionen, es gibt offenbar noch weitere Splittergruppen, die über ganz Dänemark verstreut sind.«

      Justin schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Verdammt, die Reichspolizei, da kommen wir nicht ran. In Esbjerg kenne ich jemanden, der bei der zuständigen Stelle für den Bezirk Syd- or Sonderjyllands arbeitet. Aber bei der Reichspolizei beißt man sich die Zähne aus, da wird es gleich politisch. Hast du sonst noch was für mich?«

      Sina erhob sich und trat von hinten an Justin heran. Sanft streichelte sie ihm über das blonde, wellige Haar. »Wenn du brav bist.«

      Justin ergriff ihre Hand und schob sie beiseite. »Sina, wir sollten Arbeit und Privatleben trennen.«

      »Was soll man trennen?«, fragte eine dunkle Frauenstimme. Justin fuhr zusammen und Sina zog blitzschnell ihre Hand zurück. Monika Keppler, die Chefredakteurin, hatte den Raum betreten.

      »Die Verbrecher«, antwortete Justin, während Sina sich abwandte und zu ihrem Platz zurückkehrte. »Die Rocker. Sie sitzen in unterschiedlichen Gefängnissen und die Reichspolizei leitet die Untersuchung.«

      Monika Keppler, die scherzhaft von der Belegschaft der Redaktion Alices Schwester genannt wurde, in Anlehnung an Alice Schwarzer, verzog ihre Mundwinkel. »Da haben wir keine Chance«, sagte sie mit ihrer tiefen, maskulinen Stimme.

      »Ich habe noch die Adresse, wo die Mädchen festgehalten wurden«, berichtete Sina kleinlaut. »Lejvejen 5 in Padborg, das ist ein altes Gehöft und steht nun leer.«

      Justin erhob sich. »Immerhin etwas. Ich fahre morgen hin.«

      »Du bleibst!«, befahl Monika Keppler. »Du kümmerst dich weiter um dieses Dorf. Nina und Henry übernehmen Padborg. Sie sollen ein paar Nachbarn fragen und ein paar Bilder machen. Mehr ist in Dänemark sowieso nicht zu holen. Aber ich will, dass du mit diesem debilen Jungen Kontakt aufnimmst und ein paar schöne Fotos machst. Ich habe deine Notizen gelesen und halte die Aussage dieses Apothekers für sehr wichtig. Das mit dem Behördenirrtum sollte der Kern der Reportage werden, meinst du nicht auch, Justin?«

      Justin zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht.«

      Monika Keppler lächelte. »Deswegen habt ihr mich«, sagte sie, ehe sie sich umwandte und den Raum verließ.

      »Verdammte Scheiße«, fluchte Justin. »Das ist meine Geschichte!«

      Sina lächelte. »Jetzt wohl nicht mehr«, sagte sie schnippisch.

      9

      Montag

      Trevisan hatte versucht, am Sonntag auszuspannen, doch es war ihm nur leidlich gelungen. Das Schicksal der beiden verschwundenen Mädchen und das Gespräch mit Robert Reubold am gestrigen Samstag hatten ihn zu sehr beschäftigt. Er hatte an Paulas Entführung vor über einem Jahr gedacht und daran, dass er sie quasi in letzter Sekunde aus den Fängen eines Wahnsinnigen retten konnte, der ihren Tod bereits beschlossen hatte. Was, wenn er damals zu spät gekommen wäre? Wäre er wie Robert Reubold geworden, wäre auch ihm das Leben angesichts dieses schweren Schicksalsschlags entglitten?

      Er hatte die Notizen hervorgeholt, die er sich mit nach Hause genommen hatte. Zwei Theorien standen im Raum und er musste sich endlich darüber klar werden, in welche Richtung er die Ermittlungen vorantreiben wollte. Für die Entführung und die Verschleppung nach Dänemark sprachen das Auftauchen von Tanja Sommerlath bei Flensburg, die Aussage zweier Zeugen, die einen VW-Bus mit dänischem Kennzeichen kurz vor dem Verschwinden der Mädchen in der Nähe von Tennweide gesehen hatten und natürlich die Festnahme der Rockerbande unweit von Padborg und die Befreiung zweier junger osteuropäischer Frauen, die auf dem Anwesen der Bande gefangen gehalten worden waren. Hatten sie die Mädchen entführt, nach Dänemark verschleppt, süchtig gemacht und als Sexsklavinnen gehalten? Und hatten sie Tanja aus dem Wagen geworfen, um sie loszuwerden?

      Wo war Melanie Reubold geblieben? War sie längst schon tot oder wurde sie noch immer irgendwo in Dänemark gefangen gehalten? Diese Bande hatte den Ermittlungen der dänischen Reichspolizei nach in Viborg, in Aalborg, in Varberg und in Hjörring weitere Anwesen angemietet gehabt, die gestern zeitgleich gestürmt worden waren. Außer ein paar Waffen, ein paar Pfund Cannabis und siebzig Gramm Heroin hatten die Reichspolizisten dort aber nichts gefunden. Nichts hatte auf eine weitere Entführung hingedeutet, hatte es in dem Telex geheißen, das Trevisan gestern Nachmittag auf seinem Schreibtisch vorgefunden hatte.

      Sein Gefühl sagte ihm, dass etwas an der Theorie nicht stimmte, nicht schlüssig war. Er konnte nicht sagen, was ihn an der Vorstellung einer Entführung störte, aber er vertraute dem Bauchgefühl, das ihn in all den Jahren der Ermittlungsarbeit an vorderster Front nicht im Stich gelassen hatte. Objektiv gab es nach dem derzeitigen Kenntnisstand keine vernünftigen Gründe, an der Entführung der Mädchen zu zweifeln.

      Der Fall ließ ihn den ganzen Tag nicht in Ruhe und er dachte bis spät in die Nacht darüber nach, bis ihn kurz nach Mitternacht der Schlaf übermannte.

      Am Montag um zehn Uhr betrat Trevisan die Dienststelle und ging den Flur entlang. Lisas Tür stand offen, sie saß hinter ihrem Schreibtisch.

      »Guten Morgen, wohl gut geschlafen«, begrüßte sie ihn. »Ich habe die Plakate schon in Auftrag gegeben und die Pressemeldungen sind auch rausgegangen.«

      »Das hast du sehr gut gemacht«, lobte Trevisan und schickte sich an, weiterzugehen.

      »Hanna ist heute wieder da, sie hat deine Sachen in Smiseks Büro geräumt«, beeilte sich Lisa zu sagen. Trevisan blieb stehen. Lisa erhob sich, umrundete den Schreibtisch und zeigte den Flur hinunter. »Hanna meint, dass dir Smiseks Büro zusteht und wir das Zimmer nicht leer stehen lassen sollten.«

      »Wo ist diese Hanna, die sich so viele Sorgen um mich macht?«, fragte Trevisan mürrisch.

      Lisa zeigte auf das Büro, das Trevisan die ganze Zeit über genutzt hatte und in dem zwei Arbeitsplätze eingerichtet waren. Trevisan nickte kurz. Ohne anzuklopfen trat er ein. Hanna Kowalski, die bei seiner Zuversetzung in Urlaub gewesen war und die er nur vom Hörensagen kannte, saß rittlings auf einem Stuhl und hielt eine Kaffeetasse in der Hand. Rund um den Stuhl hatte sie aufgeschlagene Aktenordner verteilt, die sie studierte. Sie kehrte Trevisan den Rücken zu.

      »Ich habe gehört, dass hier umgeräumt wurde«, bemerkte Trevisan spitz.

      Hanna Kowalski wandte sich um, und für einen Augenblick war Trevisan wie elektrisiert. Sie erhob sich und stellte ihre Tasse auf den Schreibtisch.

      »Ich dachte, das ist okay«, sagte die schlanke, großgewachsene junge Frau mit den langen, blonden Haaren und der Figur eines Fotomodells. Bei ihrem Anblick verschlug es ihm einen Moment die Sprache. Trevisan schätzte seine neue Kollegin auf Mitte dreißig.

      »Normalerweise bestimme ich selbst, wo ich arbeite«, antwortete er in deutlich entspannterem Ton.

      Hanna streifte sich eine Strähne aus der Stirn. »Engel hat mit mir gesprochen und gesagt, dass du jetzt die Abteilung leitest und bei uns bleibst. Deswegen steht dir Smiseks Büro zu. Er fand es in Ordnung, dass wir die Zimmerbelegung neu ordnen. Du bist doch nicht verärgert, oder?«

      »Dazu habe ich keine Zeit«, wechselte Trevisan das Thema. »Wir haben einen Fall zugeteilt bekommen.«

      »Ich weiß, oder glaubst du, ich suche nach neuen Kochrezepten«, antwortete Hanna Kowalski scharf und wies auf die Aktenordner. »Ich habe mich schon eingelesen. Das ist keine einfache Sache. Glaubst du, das andere Mädchen