Die Pest. Kent Heckenlively

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Название Die Pest
Автор произведения Kent Heckenlively
Жанр Эзотерика
Серия
Издательство Эзотерика
Год выпуска 0
isbn 9783962571924



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einem Land dieses Formats erstaunlich, dass viele Menschen in unserem System so furchtbar aufs Kreuz gelegt werden. Es passiert sehr leicht, am Ende eines Prozesses alles zu verlieren, eines Prozesses, der gar nicht erst hätte geführt werden sollen.“

      Es war für Burns’ Unternehmen wichtig zu entscheiden, ob ein potenzieller Kunde vertrauenswürdig war. Kautionen werden erst entlastet, wenn der Fall geklärt ist, unabhängig davon, ob das zwei Monate oder zwei Jahre dauert. Die Kaution für Mikovits betrug hunderttausend Dollar, was bedeutete, dass sie 10 Prozent dieses Geldes im Voraus aufbringen würde. Burns würde normalerweise ein Pfandrecht auf ihr Haus oder andere Immobilien als Sicherheit für die Bürgschaft beanspruchen, aber in diesem Fall hatte er Mikovits oder David Nolde nichts als Bürgschaftssicherung überschreiben lassen.

      „Ich habe hunderttausend Dollar auf diese Unterschriften gesetzt, weil ich dachte, dass der Fall nicht nur vollkommen lächerlich war, sondern alles daran verkehrt war“, sagte er später.

      * * *

      Im Keller des Ventura County Courthouse befanden sich drei Zellen. Die Zellen waren 4,5 m² groß, mit einer knapp einen Meter langen Stahlbank, einer kleinen Wand und auf der anderen Seite einer Stahltoilette, leider ohne Toilettenpapier. Die Wächter wechselten die Zellen ab, in die sie neue Gefangene sperrten, in der Regel etwa fünf in eine Zelle. Wenn es voll wurde oder schon zu später Stunde war, wurde die Gruppe der Gefangenen in die neue Gefängnisanlage in Ventura County gebracht.

      Viele der Menschen in der Haftzelle waren wegen Drogendelikten oder Fahrens unter Drogeneinfluss aufgegriffen worden. Einige der Gefangenen hatten an diesem Tag ihren Haftantrittstermin, um ihre Strafe ganz oder teilweise zu verbüßen. Dies waren Menschen, deren Fälle bereits verhandelt worden waren und die aufgrund der Überbelegung der Gefängnisse und der vergleichsweisen Geringfügigkeit ihrer Straftat nur ein paar Tage absitzen mussten.

      Kurz nachdem Mikovits in ihrer Zelle angekommen war, kam eine Frau namens Karen (Pseudonym) herein, die an diesem Tag ihre Haft antreten musste. Sie arbeitete für eine lokale Zeitung und organisierte die Fahrzeuge, die am frühen Morgen die Lieferungen ausfuhren. Sie war wegen geringen Drogenbesitzes verhaftet und verurteilt worden und wollte, wie sie Mikovits erzählte, mit ihrem Fehler abschließen und die ganze Sache nur hinter sich bringen. Andere Insassen waren etwas Furcht einflößender. Eine Frau kam herein, auf 15 cm hohen Absätzen, ihre Haare mit achtzehn verschiedenen Schattierungen des Regenbogens gefärbt, und es war eindeutig, dass man sie wegen Drogen verhaftet hatte. Karen und Judy tauschten dankbare Blicke aus, dass sie nicht in ihre Zelle gesteckt worden war.

      Als die Stunden vergingen, füllten sich die Zellen weiter, wobei einige von ihnen offenbar Stammgäste waren; sie begrüßten ihre Mithäftlinge oder Wächter herzlich, während sie abgefertigt wurden. Irgendwann fragte eine der Gefangenen, ob eine von ihnen Ersttäterin sei.

      „Ich bin es“, sagte Mikovits.

      * * *

      Am späten Abend, vermutlich um zehn oder elf, wurde Ruth (Pseudonym), eine aufgelöste Frau Mitte fünfzig, ins Gefängnis gebracht. Sie hustete und jammerte gleichzeitig, dass dies alles ein Fehler sei. In den sechs oder sieben Stunden, die Mikovits in der Haftzelle war, hatte sie ein wenig über Gefängnispsychologie gelernt: Man schaute nicht direkt auf Menschen und man hielt den Kopf unten. Alle anderen vermieden es auch, Ruth anzuschauen.

      „Das stimmt alles nicht! Das ist ein Irrtum!“, rief Ruth. „Ich sollte nicht hier sein! Ich sollte zu Hause sein!“ Mikovits wusste genau, wie sie sich fühlte.

      * * *

      Als Dr. Jamie Deckoff-Jones kurz nach der Veröffentlichung des Science Artikels vom 9. Oktober 2009 etwas über Mikovits und ihr Team las, schaute sie ihren Mann an und sagte: „Das ist es. Das ist es, was wir haben.“34

      Deckoff-Jones hatte am Harvard and Albert Einstein College of Medicine studiert und war staatlich anerkannte Notärztin. Ihr Vater war ein brillanter Mann und legendärer Chirurg, der in Yale seinen Abschluss mit magna cum laude gemacht hatte und im Alter von 21 Jahren die Harvard Medical School abschloss. Deckoff-Jones führte den Beginn ihres eigenen neurologischen Verfalls auf eine Reihe von Hepatitis-B-Impfungen zurück, die sie erhielt, als sie mit ihrem dritten Kind schwanger war. Sie dachte auch oft über den Polio-Impfstoff nach, den sie 1961 auf einem Zuckerwürfel verabreicht bekommen hatte.35

      Ihre Symptome schwankten im Laufe der Jahre und sie glaubte, dass die Art ihrer Symptome am ehesten einer Kombination von Lyme-Borreliose und Multipler Sklerose ähnelte. Ihre Tochter erkrankte an ME/CFS, als sie dreizehn Jahre alt war, und etwa zur gleichen Zeit entwickelte ihr Mann eine Lyme-Karditis, eine Herzerkrankung, die mit Lyme-Borreliose einhergehen kann.

      Im Januar 2010 schrieb sie an Mikovits und war erstaunt über die langen E-Mails, mit denen Mikovits ihre Fragen beantwortete, sowie über ihre Offenheit und die Art, in der sie sie mit einbezog. Als ihr Verhältnis enger wurde, übernahm Deckoff-Jones die Aufgabe, einen Teil der E-Mail-Anfragen von Patienten an Mikovits zu beantworten. Deckoff-Jones war der Ansicht, Mikovits verbringe so viel Zeit damit, auf Patienten-E-Mails zu reagieren, dass dies die Menge wissenschaftlicher Arbeit, die sie an einem Tag leisten konnte, einschränkte.

      Deckoff-Jones wurde schließlich klinische Direktorin des WPI. Ihr Verhältnis zu den Whittemores wurde schnell sehr angespannt. Deckoff-Jones glaubte, die Probleme entstanden, weil Annette nicht in der Lage war, ihre Unkenntnis zuzugeben und ihre Mitarbeiter zu schützen. Schließlich übernahm Harvey ihre Funktion am WPI und es war er, dem Deckoff-Jones jetzt über ihre Arbeit berichtete. Sie schätzte Harvey als klugen Mann ein, mit dem man im Allgemeinen gut zusammenarbeiten konnte, aber auch er hatte seine Schwachstellen.36

      In einem Schreiben an Harvey benutzte sie das Wort „Nepotismus“ und bezog sich damit auf die vielen Personen, die am WPI in hohen Positionen eingesetzt waren, wie Carli West Kinne, Rechtsberaterin für das WPI, und Kellen Monick-Jones, die Patientenkoordinatorin des WPI, beide Nichten von Whittemores. Nicht nur Verwandte, sondern auch andere Personen, die langjährige persönliche oder berufliche Bindungen zu den Whittemores hatten, gehörten dazu.

      „Jetzt hast du mich wirklich sehr verärgert“, schrieb Harvey in einem Text nach dem „Nepotismus“-Kommentar zurück. Kurz darauf teilte Annette Whittemore Deckoff-Jones mit, dass sie ihre Pläne für eine Klinik auf Eis legen müssten und ihre Dienste nicht benötigt würden. Sie hatten auch Auseinandersetzungen über andere Themen gehabt, wie zum Beispiel, ob die Klinik Kinder mit Autismus behandeln sollte. Deckoff-Jones wollte sie behandeln, glaubte aber, dass Annette ein solches Vorhaben für zu problematisch hielt.37

      Für Deckoff-Jones ist Mikovits’ Geschichte insofern wichtig, als Mikovits genauso wie Pandora eine verbotene Büchse geöffnet hatte. „Sie hat Fehler gemacht wie jeder andere in dieser Geschichte. Ich auch, genauso wie alle anderen. Dadurch ist eine unglaubliche Chance vertan worden. Aber es ist vor allem Harveys und Annettes Schuld. Judy hatte nie eine Chance. Sie haben sie nie unterstützt. Sie hatte nicht das, was sie brauchte, um es durchzuziehen. Niemals. Es war ein Witz.“38

      * * *

      Gegen zwei Uhr morgens, einen Tag nach ihrer Verhaftung, wurde Mikovits zur Todd Road Facility gefahren, die sich in einem Zitronengarten etwa 16 Kilometer außerhalb der Stadt Ventura befindet. Als sie in das Gefängnis eingeliefert wurde, musste sie sich erneut ausziehen, vorbeugen und sich der Suche nach Drogen in ihren Körperöffnungen unterwerfen. Mikovits erhielt mehrere Zettel mit Anweisungen, wie sich ein vorbildlicher Häftling zu verhalten hatte, aber weil sie ihre Lesebrille nicht hatte, konnte sie den Text nicht entziffern. Als sie sich bei einem Wachmann beklagte, sie brauche eine Brille zum Lesen, antwortete er: „Das hier ist kein Erholungsort. Deshalb nennt man es Gefängnis.“ Offenbar brauchte ein Musterhäftling nicht zu „lesen“.

      Irgendwann während der Aufnahmeprozedur wurde Mikovits gefragt, ob sie selbstmordgefährdet sei.

      „Nein“, antwortete sie.

      Trotz ihrer klaren Antwort wurde Mikovits in den Überwachungstrakt für Selbstmordgefährdete verlegt. Menschen, die zum ersten Mal verhaftet wurden, brachte man routinemäßig in diesem Flügel des Gefängnisses