Tatort Antike. Cornelius Hartz

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Название Tatort Antike
Автор произведения Cornelius Hartz
Жанр История
Серия
Издательство История
Год выпуска 0
isbn 9783806242157



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attischen Demos Alopeke. Sein Vater ist Bildhauer, und einer (allerdings nicht unbedingt zuverlässigen) Quelle gemäß hat er den gleichen Beruf erlernt. Außerdem verdingt er sich als Soldat und nimmt an mehreren Schlachten des innergriechischen Peloponnesischen Krieges teil, als Hoplit (Schwerbewaffneter) – was wiederum bedeutet, dass er über erhebliche finanzielle Mittel verfügt, denn seine ziemlich teure Ausrüstung muss ein solcher Hoplit selbst stellen.

      Freilich wird Sokrates nicht seine Tätigkeit als Soldat zum Verhängnis, sondern diejenige als Philosoph. Er bringt seine Tage damit zu, in Athen herumzulaufen und mit den Bürgern philosophische Fragen zu erörtern. Sein Schüler Platon wird später zahlreiche solcher Dialoge aufschreiben und veröffentlichen. Verheiratet ist Sokrates mit der jüngeren Xanthippe, die ihm (der Legende nach) das Leben zur Hölle macht; mit ihr hat er drei Söhne. Womit genau er seinen Lebensunterhalt bestreitet, ist indes nicht ganz klar – einiges deutet darauf hin, dass er sich von seinen Schülern bezahlen lässt, aber beweisen lässt es sich nicht.

      Sokrates hat einen ganz eigenen und neuen philosophischen Ansatz. Der bedeutet vor allem, dass er allgemein feststehende Gewissheiten hinterfragt und das, was er als Wahrheit erkannt hat, artikuliert – ohne Rücksicht auf Verluste. Dies kommt im wohl populärsten Sokrates-Zitat zum Ausdruck: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Der Satz ist nämlich nicht ganz richtig übersetzt: Das griechische Original (oîda ouk eidōs) bedeutet wörtlich: „Ich weiß, dass ich nicht weiß“ (Platon, apol. 21d). Sokrates sagt nicht, dass er nichts wisse, sondern er will das infrage stellen, was er (wie auch alle anderen) zu wissen glaubt. Kein Mensch könne etwas sicher wissen, und so könne man dem, was man zu wissen glaube, auch nur temporär anhängen. Sokrates will keine Patentrezepte liefern, sondern lehrt, dass man sich in jeder Situation wieder aufs Neue orientieren muss. Das setzt er aber nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch um. Immer wieder stellt er alles Gewohnte infrage, und das beinhaltet natürlich auch den Staat und seine Institutionen. Allerdings lassen sich diese Institutionen das nicht widerspruchslos gefallen.

      Nachdem Athen im Peloponnesischen Krieg (431–404 v. Chr.) Sparta unterlegen ist, sieht man den Philosophen mehr und mehr als jemanden, der das Volk durch seine Lehren verunsichert, und das in einer Zeit, in der der Stadtstaat Stabilität nötiger hat denn je. Während der berüchtigten „Herrschaft der Dreißig“ in Athen (404/403 v. Chr.) verweigert Sokrates zum Beispiel den Befehl der Tyrannen, dabei mitzuwirken, den offensichtlich unschuldigen Leon von Salamis zum Tode zu verurteilen. Leon ist ein Systemkritiker und ein politischer Gegner des Regimes; dafür soll er bestraft werden und nicht für das ihm zur Last gelegte Verbrechen. Sokrates weiß genau, dass er mit seiner Weigerung sein eigenes Leben aufs Spiel setzt.

      Auch als die „Herrschaft der Dreißig“ beendet ist, bleibt Sokrates mit der Regierung auf Kriegsfuß. Und so wird er schließlich der „Asebie“ angeklagt: der Gotteslästerung. Er erkenne die Götter des Staates nicht an und schaffe zudem neue (vgl. Gagarin, 112). Was ihm zusätzlich vorgeworfen wird und die Vorwürfe zugleich noch unterstreicht, ist, dass Sokrates mit seinen Lehren die Jugend Athens verderbe (vgl. Figal, 30 f.). Platon berichtet über den Prozess in der Apologie, vielleicht seinem berühmtesten Dialog. Er beschreibt detailliert, wie Sokrates allen Beschuldigungen mit der ihm typischen Argumentationsweise begegnet, die das Gegenüber irgendwann selbst erkennen lässt, dass es in allen Punkten Unrecht hat. Zugleich macht er klar, dass er es nicht akzeptieren wird, freigesprochen zu werden, wenn es nur unter der Auflage geschieht, dass er mit der Philosophie aufhören muss – oder Athen verlassen, was für ihn quasi gleichbedeutend ist. Er verlangt einen kompletten Freispruch ohne weitere Folgen.

      Sokrates wird verurteilt, mit 281 der 501 Stimmen des Schwurgerichtshofs – eine recht knappe Mehrheit (vgl. Diog. Laert. 2.41). Nun gibt es aber noch einen zweiten Abstimmungsgang mit den bronzenen Stimmsteinen: Es gilt, über die zu verhängende Strafe abzustimmen. Dabei kann der Staat eine Strafe beantragen, der bereits Verurteilte eine andere – und das Gericht entscheidet dann, welchem der zwei Anträge es folgt. Sokrates jedoch führt das ganze Prozedere ad absurdum. Der Staat hat die Hinrichtung beantragt, und anstatt nun etwa alternativ dazu eine Geldstrafe oder die Verbannung zu verlangen, sorgt er schon wieder für Aufsehen: Er beantragt, dass man ihn für den Rest seines Lebens im Prytaneion verköstigt (vgl. Plat. apol. 34c ff.) – wie einen Sieger bei den Olympischen Spielen –, anstatt ihn zu töten. Nach seinen letzten Worten wird über die Bestrafung abgestimmt, und nun sind es weitaus mehr Stimmen, die für die Hinrichtung plädieren. Eine andere Wahl hat Sokrates dem Gericht mit seinem dreisten Antrag eigentlich nicht gelassen (vgl. Pleger, 76 f.).

      Dass ein solches Vergehen wie die Asebie überhaupt mit dem Tode bestraft wird, erscheint heute drastisch. Aber es hat wohl damit zu tun, dass man sich traditionell vor dem Zorn der Götter fürchtet, wenn man einen Gotteslästerer nicht auf die härteste mögliche Art und Weise bestraft (vgl. Parker, 68) – eine nicht ganz von der Hand zu weisende Sichtweise, die auch durch Platon gestützt wird (vgl. Plat. leg. 910b1–6).

      Die Schüler und Freunde Sokrates’ sind dennoch ob des Todesurteils entsetzt. Immerhin vergehen vom Zeitpunkt der Verurteilung bis zu seiner Hinrichtung ganze 30 Tage, weil kurz vor der Urteilsverkündung ein großes traditionelles Fest in Athen beginnt, während dessen niemandem das Leben genommen werden darf. So haben also viele der ihm Nahestehenden Zeit, Sokrates im Gefängnis zu besuchen.

      Es gibt wilde Pläne, ihm zur Flucht zu verhelfen, aber Sokrates will in seiner Zelle bleiben und dem Ende entgegensehen. Er sagt, es sei ein rechtskräftiges Urteil, und er und alle anderen müssten dies respektieren – sonst stelle man jeglichen Sinn von Gesetzen infrage. Wenn einem ein Gesetz nicht gefalle, so Sokrates, müsse man sich bemühen, dass es geändert wird; aber man dürfe es nicht einfach übertreten, nur weil es einem nicht passe (vgl. Plat. Krit. 48c ff.).

      Die übliche Art der Hinrichtung im Griechenland zur Zeit des Sokrates ist der sogenannte Schierlingsbecher: Dem Verurteilten wird ein Trinkgefäß gereicht, mit einer Flüssigkeit darin, die aus Geflecktem Schierling, einem hochtoxischen Doldengewächs, gewonnen wird. Der Giftstoff im Schierling, das Coniin, bewirkt eine Blockade bestimmter Rezeptorstellen, was eine langsam fortschreitende Lähmung des Rückenmarks zur Folge hat. Von den Füßen aufwärts stellt sich eine Lähmung des Körpers ein, bis man schließlich erstickt, und das bei vollem Bewusstsein (auch wenn Sokrates’ Scharfrichter den Anwesenden gegenüber behauptet, dieser werde sterben, wenn die Lähmung das Herz erreiche). Dass der Delinquent den Becher selbst aktiv trinken muss, erscheint heute genauso grausam wie die Art des Todes, den der Trank verursacht. Doch immerhin behält der Verurteilte so bis zuletzt die Kontrolle über sein eigenes Leben und muss nicht in der letzten Sekunde seines Daseins passiv sein. Außerdem ist es eine Frage der Ästhetik: Wenn jemand vergiftet wird, dann bietet sein Leichnam einen schöneren Anblick als beispielsweis der eines Geköpften – und die Ästhetik ist im klassischen Griechenland eines der höchsten Ideale.

      Als Sokrates schließlich der Schierlingsbecher gebracht wird, sind wieder mehrere Freunde anwesend. Er leert den Becher ungerührt. Zu einem der Anwesenden spricht er seine letzten Worte: „Oh Kriton, wir schulden dem Asklepios einen Hahn. Opfert ihm den und unterlasst es nicht“ (Platon, Phaid. 118a). Dann stirbt Sokrates.

      Platon über den Tod des Sokrates

      Kriton winkte dem Jungen, der neben ihm stand, der ging hinaus und kam nach einer Weile wieder mit dem Mann, der ihm den Trank überreichen sollte, schon fertig zubereitet in einem Becher. Als nun Sokrates den Mann sah, sagte er: „Sprich, mein Bester, da du dich doch auskennst: Wie muss man das jetzt machen?“

      „Nichts weiter“, sagte dieser, „als trinken und danach umhergehen, bis dir ein Gefühl der Schwere in die Schenkel fährt; danach legst du dich hin. Dann wird es schon wirken.“

      Und gleichzeitig mit diesen Worten überreichte er Sokrates den Becher. Der nahm ihn mit freundlicher Miene, oh Echekrates. Und ohne zu zittern oder bleich im Gesicht zu werden, sondern so wie sonst auch sah er den Mann geradeheraus an und fragte ihn: „Was sagst du, ob man von diesem Trank auch ein Trankopfer darbringen kann? Oder lieber nicht?“

      „Gerade so viel“, sagte der, „bereiten wir zu, Sokrates, wie wir glauben, dass es ausreicht.“

      „Ich