Der Kaiser. Geoffrey Parker

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Название Der Kaiser
Автор произведения Geoffrey Parker
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783806240108



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Neapel erhoben, wurden im August jedoch wieder aufgenommen. Franz (der sich nun »König von Frankreich, Herzog von Mailand und Herr von Genua« nannte) entband Karl zwar von seiner Verpflichtung, Renée zu heiraten, erlegte ihm aber stattdessen auf, seine eigene kleine Tochter Luise zur Braut zu nehmen. Zu deren Mitgift sollte dann auch der Anspruch der französischen Krone auf Neapel gehören. Bis zur Hochzeit sollte Karl einen jährlichen Tribut von 100 000 Kronen für jenes Königreich zahlen, wodurch er die Rechtmäßigkeit des französischen Anspruchs natürlich eingestanden hätte. Der im August unterzeichnete Vertrag von Noyon verpflichtete Karl zudem, dem von Ferdinand vertriebenen König von Navarra (einem Verbündeten Frankreichs) »Genugtuung zu leisten«, und zwar binnen acht Monaten nach seiner Ankunft in Spanien und »in einem Umfang, den er selbst nach gründlicher Betrachtung der Ansprüche [Navarras] für gerecht erachtet«. Im Gegenzug gelobte Franz, niemals einem Feind Karls Hilfe zu gewähren. Zweifellos sahen Chièvres und Le Sauvage (als persönlich anwesende Unterhändler) gewisse Zugeständnisse mit Blick auf die entlegenen Territorien von Neapel und Navarra als durchaus vertretbar an – als einen kleinen Preis dafür, dass die Niederlande sicher sein würden, während Karl unterwegs war, um seine Autorität über Spanien und den damit verbundenen Besitz in Übersee zu festigen. Auf dem Papier zumindest erschien Karls Verpflichtung, dereinst Claude de France zu heiraten, als das größere Risiko, da die Prinzessin zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses kaum ein Jahr alt war. Das bedeutete, dass Karl unter Umständen erst in den 1530er-Jahren einen rechtmäßigen Erben würde zeugen können. Aber vielleicht rechneten die Unterhändler ja damit, dass man von diesem Teil des Abkommens später noch würde zurücktreten können, ganz so, wie Ludwig XII. von seiner Verpflichtung zurückgetreten war, Karl seine Tochter zur Frau zu geben.37

      Der Vertrag von Noyon stieß Karls englische Verbündete vor den Kopf: »Der König von Kastilien, durch sein reiches Erbe der größte und mächtigste Fürst, den die Welt seit fünfhundert Jahren gesehen hat … wird nun wohl nach der Pfeife des französischen Königs tanzen«, unkten Heinrichs Diplomaten. Außerdem habe »der besagte französische König es sich in den Kopf gesetzt, dass es in ganz Italien niemanden geben solle, der ihm überlegen oder auch nur gleichrangig sei«, weshalb er sich vermutlich sowohl Neapel als auch das Papsttum untertan machen werde. Schlimmer noch: Franz habe beteuert, dass »die Krone des [Heiligen Römischen] Reiches recht eigentlich in das Haus Frankreich gehörte, wofür er auch sorgen wolle, wenn es sich machen ließe« – und der jüngst geschlossene Vertrag ließ ein solches Ergebnis wahrscheinlicher werden. Die Engländer machten für dieses ungünstige Szenario den Umstand verantwortlich, dass Karl »sich mit solchen Männern umgibt« (gemeint waren insbesondere Chièvres und Le Sauvage), die »eher einen Teil seiner rechtmäßigen Ansprüche fahren lassen, als anderen Missvergnügen zu bereiten«. Aus englischer Sicht gab es wenig Hoffnung, dass die Dinge sich bald ändern könnten: Stattdessen werde der übermäßige Einfluss seiner Berater auf Karl »so lange bestehen, bis der König von Kastilien das Problem selbst [sieht], was wohl nicht geschehen kann, bevor er nach Spanien kommt – und ob es dann geschehen wird, das weiß nur Gott«.38

      Einen letzten Rivalen hatte Karl noch zu besänftigen, bevor er die Niederlande verlassen konnte, und das war der Herzog von Geldern. Philipp I. war 1506 mit exakt demselben Problem konfrontiert gewesen (siehe Kap. 1), und obwohl er Geldern besiegt und mit harten Friedensbedingungen in die Schranken gewiesen hatte, kämpfte Herzog Karl später mit diplomatischen und manchmal auch mit militärischen Mitteln (bisweilen mit der heimlichen Unterstützung Frankreichs) darum, den verlorenen Einfluss wiederzugewinnen. Bischof Manrique stellte im März 1516 fest, dass »von dem Herzog von Geldern einiges zu fürchten ist«, da »die Franzosen dazu neigen, ihn in Zeiten wie diesen zu begünstigen … Angesichts der großen Macht des Prinzen wäre es eine Schande, wenn [Karl] dem nicht vorbaute.« Der Bischof drängte sogar Cisneros und den spanischen Rat, Hilfe »zur Eroberung Gelderns beizusteuern«.39 Obwohl sich am Ende tatsächlich dies als die Lösung des Problems herausstellen sollte – 1543 setzte Karl spanische Truppen und spanisches Geld ein, um Geldern zu erobern und zu annektieren –, sorgte der bevorstehende Aufbruch nach Spanien, der keinen weiteren Aufschub duldete, dafür, dass Karls »Statthalter« vorerst doch eine friedliche Lösung vorzogen. Bei den Verhandlungen in Noyon überzeugten sie die französische Delegation davon, Frankreich solle den Herzog von Geldern zur Einwilligung in einen Waffenstillstand bewegen, während Unterhändler sich mit der Aussöhnung sämtlicher widerstreitenden Ansprüche befassen sollten. Sie stellten sogar die Möglichkeit in den Raum, dass der Herzog Karls jüngste Schwester Catalina heiraten könnte. Obwohl daraus nichts wurde, reichte die bloße Erwägung fürs Erste aus, um Geldern unschädlich zu machen.40

      Karl schob derweil seine Reise immer weiter auf die lange Bank. Vielleicht hatten die beruhigenden Miteilungen, die Cisneros ihm zukommen ließ, ihn so sehr eingelullt, dass er nun glaubte, Spanien könne warten. Im August 1516 hatte ihm der Kardinal geschrieben:

      »All diese Königreiche erfreuen sich des tiefsten Friedens, den sie je erlebt haben … und zweifellos muss man Gott danken, dass in allen diesen Reichen, so groß sie sind, es nicht die kleinste Unruhe, nicht den geringsten Hinweis auf Tumult und Aufruhr gibt: Nicht nur die Städte, sondern auch die Granden sind ohne jede Ausnahme so fügsam und friedsam, dass niemand noch mehr verlangen könnte.«

      Einen Monat später wiederholte Cisneros, dass »in diesen Königreichen alles ruhig und friedlich ist wie immer schon«.41 Die führenden Köpfe unter Karls niederländischen Untertanen äußerten sich in demselben beruhigenden Tonfall. Im November 1516 führte Karl zum ersten Mal den Vorsitz, als die Ordensritter vom Goldenen Vlies sich zum Kapitel versammelten. Nachdem er den Eid als Großmeister des Ordens geleistet hatte, schlug Karl vor, dass die Anzahl der Ordensritter fortan 51 betragen solle (statt bisher 31), was ihm durch die territoriale Expansion des Hauses Burgund seit Gründung des Ordens gerechtfertigt erschien. In diesem Zusammenhang regte er an, zehn Plätze für die erlauchtesten seiner neu gewonnenen Untertanen in Spanien und Italien zu reservieren. Die Versammlung stimmte zu und wandte sich dann der Ausübung ihres einzigartigen Privilegs zu: der öffentlichen Erörterung der Verfehlungen ihrer Mitglieder. Nachdem einige Ritter für Geiz, Trunkenheit und Glücksspiel gemaßregelt worden waren, richtete die Versammlung ihre Aufmerksamkeit auf Karl. Wohl auch, weil diesem die meisten der üblichen Verfehlungen aufgrund seines jungen Alters noch fremd waren, beklagten die Ritter stattdessen, dass Karl sie in politischen Fragen zu selten um ihre Meinung bat. Der junge Herrscher gelobte ihnen für die Zukunft Besserung.42

      Jetzt hing alles davon ab, die nötigen Gelder für die Reise nach Spanien zu beschaffen. Karl erklärte Cisneros gegenüber, dass er, »um alles hier in einem angemessenen Zustand hinterlassen und sicher reisen zu können«, mindestens 100 000 Dukaten aus Spanien benötigen würde; die Generalstaaten bat er indessen, Steuern in Höhe von 400 000 Gulden zu bewilligen. Obwohl dies derselbe Betrag war, den ein Jahrzehnt zuvor sein Vater für denselben Zweck erbeten hatte, hegten die Delegierten Bedenken: »Dem Volk soll eine riesige Menge Geld abverlangt werden und das auch noch sofort«, hielt Erasmus von Rotterdam fest und fügte bissig hinzu: »Der Adel und die Prälaten haben dem Antrag schon zugestimmt – mit anderen Worten diejenigen, die ohnehin nichts zahlen werden. Die Städte beratschlagen noch.« Erasmus bemerkte auch, dass Maximilian, »der üblicherweise ohne Waffen auftritt, jetzt in Begleitung einer Truppe bestens ausgerüsteter Soldaten hier bei uns weilt, während im ganzen Umland Scharen von Söldnern lagern«, und er fragte sich, wozu das alles dienen sollte.43

      Die Antwort war einfach: Der Kaiser war im Januar 1517 in die Niederlande zurückgekehrt, weil er ein letztes Mal versuchen wollte, die Provinzen und seinen Enkelsohn wieder unter seine Kontrolle zu bringen. Im Monat zuvor hatte Margaretes Agent am Kaiserhof ihr versichert, der Kaiser beabsichtige, »Chièvres und seine Mitstreiter aus ihren Machtpositionen zu drängen«, und werde »nicht abreisen, bevor [Karl] aufgebrochen ist«. Daraufhin wolle er »die Regierung der Niederlande in die eigene Hand nehmen, um sie dann in die Eure zu legen«.44 Das war eine mühselige Aufgabe. Im April 1517 holte Maximilian, nachdem er seinem Enkel das Versprechen abgenommen hatte, »sich ja zu beeilen und binnen iii oder iiii Wochen« aus Zeeland abzureisen, Erkundigungen ein, »um herauszufinden, welche Vorbereitungen getroffen würden, und man