Der Kaiser. Geoffrey Parker

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Название Der Kaiser
Автор произведения Geoffrey Parker
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783806240108



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öffentliche Gebetsversammlungen überall in den Niederlanden an. Damit sollte der Allmächtige dazu bewegt werden, »uns [auch weiterhin] in Tugend und guten Sitten wachsen zu lassen, um unsere Länder und Untertanen in Frieden, Eintracht und Einigkeit zu regieren und all unser Streben zu Seiner Ehre auszurichten nebst unserem eigenen Wohlergehen sowie dem Wohlstand, Nutzen und der Sicherheit unserer besagten Länder und Untertanen«. Zudem begann Karl, Anordnungen zu erlassen, deren Text in französischer und niederländischer Sprache jeweils mit »Im Namen des Prinzen« begann und mit »denn das ist unser gnädiger Wille« endete. Auf diese Weise wurde Jean Le Sauvage, ein angesehener Jurist und Minister, zu »unserem Großkanzler« ernannt. In diesem neu geschaffenen Amt bestand seine Aufgabe darin, »allen Gerechtigkeit widerfahren lassen« sowie »unsere Siegel zu bewahren und sie zum Besiegeln und Versenden aller Arten von Briefen und Bestimmungen zu verwenden«.3 Weil das Rechtsdokument den Zuständigkeitsbereich des neuen Großkanzlers nicht genauer bezeichnete, schien es nahezulegen, dass Le Sauvages Autorität im gesamten Herrschaftsbereich Karls Geltung haben sollte – und genau das passierte denn auch: Der Großkanzler begleitete seinen Herrn überallhin und griff in die Angelegenheiten sämtlicher Territorien ein, sobald sie unter Karls Herrschaft kamen.

      Im März 1515 unterzeichnete Karl eine Anordnung, mit der sämtliche vor seiner Mündigsprechung gewährten Pensionen aufgehoben wurden. Er tat dies »angesichts der großen und gewichtigen Vorhaben, mit denen wir es zu tun haben, die täglich mehr werden und auf mannigfache Weise zutage treten, und auch wegen unserer großen, ja übergroßen Schulden«. Sieben Monate später legte er eine neue Ordnung für seinen Haushalt nieder, die sich an der zwanzig Jahre zuvor unter ähnlichen Umständen von seinem Vater erlassenen Urkunde orientierte (woran etliche seiner Minister sich noch erinnert haben dürften, denn sie hatten bereits Philipp gedient):

      »Seit unserer Emanzipation und unserem Eintritt in die Herrschaft und Regierung unserer niederländischen Provinzen haben wir uns stets bemüht und ernstlich begehrt, in allen unseren Angelegenheiten eine gute Ordnung und ein vernünftiges Regiment einzuführen, um die Unordnung zu beenden, die wegen der Kriege und überhandnehmenden Spaltungen, aber auch aus anderen Gründen in der Vergangenheit geherrscht hat, und so auch in der Organisation unseres eigenen Haushalts, von dem nicht nur Wohlergehen, Ehre und ruhige Verfassung unserer Person, sondern auch unserer Minister, Territorien und Untertanen zu einem beträchtlichen Teil abhängt.«

      Das Dokument führte im Detail die Pflichten und Aufgaben von beinahe 700 Hofbeamten und Wachen aus. Auch begann der Prinz nun, an den Sitzungen des Geheimen Rates teilzunehmen, wo er (wie Margarete missbilligend feststellte) von den Mitgliedern ihre Meinung hören wollte und sie »ihnen dann auch noch schriftlich und unterschrieben abverlangte« – die Anfänge jener consultas oder Denkschriften, die ein so wesentlicher Bestandteil von Karls Entscheidungsprozess werden sollten.4

      Wer hielt bei diesen politischen Initiativen die Zügel in der Hand? Margarete gewiss nicht. Kaum drei Wochen, nachdem ihr Neffe seine Mündigkeit erlangt hatte, teilte sie Maximilian mit, dass sie nicht mehr länger Befehle erteile, sondern vielmehr jenen gehorche, die »mein Herr und sein Rat« erteilten. Deshalb, grollte sie, »befasse ich mich nun mit keinerlei staatlichen Angelegenheiten mehr«, und wenn der Kaiser also irgendetwas wolle, »wird es wohl notwendig sein, dass Ihr an den Herrn von Chièvres und an den Kanzler schreibt«. Insbesondere die Heimlichkeit, mit der ihre Absetzung vorbereitet worden war, machte Margarete zu schaffen. Einem englischen Gesandten erzählte sie »den Tränen nahe«, wie Maximilian »gemeinsam mit Lord Chevers [d. i. Chièvres] und ohne ihr Wissen es ins Werk gesetzt hatte, dass der Prinz aus seiner Vormundschaft entlassen wurde, zum großen Schaden an ihrer eigenen Ehre und ihrem guten Ruf«.5 Bald sollte es noch schlimmer kommen. Im März 1515 teilte Margarete ihrem Vater mit, Karl habe ihr »gerade eröffnet, dass ihm zu Ohren gekommen sei, Louis Maroton [Margaretes persönlicher Sekretär und Gesandter] sei an Eurem Hof in allerlei Komplotte und Machenschaften verwickelt worden, die ihm allerlei Kummer, Schmerz und Verdruss beschert hätten, und dass er mich daher bitten lässt, ihn von dort zurückzurufen«. Schließlich stellte sie Karl im August zur Rede, nachdem sie nach eigenem Bekunden »die Verhältnisse lang genug schweigend hingenommen« hatte: »Mir ist sehr wohl bewusst, dass die Leute auf verschiedene Art und Weise versucht haben, Euer Vertrauen in mich zu erschüttern.« Wenn sie jemand kritisieren wolle, solle er dies bitte künftig »in Eurem [und ihrem eigenen] Beisein tun, und dann werde ich antworten, denn es ist mir lieber, wenn man mir Dinge ins Gesicht sagt, anstatt hinter meinem Rücken über mich zu reden«. Sie lieferte eine detaillierte Rechtfertigung ihrer eigenen Politik im Äußeren wie Inneren, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass sie zu deren Finanzierung nicht selten in die eigene Tasche gegriffen hatte, und schloss trotzig:

      »Ich versichere Euch, mein Herr, dass ich Euch, wann immer es Euch gefällt, Euch meiner zu bedienen (und mich dabei zu achten und zu behandeln, wie die Vernunft es gebietet), gut und treu dienen will, und ich will mein Leben und meine Güter für Euch einsetzen (wie ich es bisher schon getan habe); aber wenn es Euch gefallen sollte, ohne jeden Beweis alles zu glauben, was die Leute Euch über mich erzählen, und wenn Ihr zulasst, dass ich so behandelt werde, wie es mir gegenwärtig scheinen will, dann würde ich mich lieber um meine eigenen bescheidenen Angelegenheiten kümmern und meinen Abschied nehmen – was ich den Kaiser bereits zu bewilligen gebeten habe … So bitte ich Euch denn, mein Herr, dass Ihr mir Eure Absichten in dieser Angelegenheit mitteilt.«

      Einem Vermerk auf der Briefrückseite zufolge antworteten Karl und seine Räte auf diese Forderung einigermaßen halbherzig in diesem Sinne: »Madame hat Ihre Pflicht durchaus erfüllt, mit anderen freundlichen Worten und Versprechungen«. Daraufhin ließ Margarete eine Bestandsaufnahme all ihrer Besitztümer durchführen – allem Anschein nach, um ihre Abreise aus den Niederlanden vorzubereiten.6

      Karls Entlassung aus der Vormundschaft untergrub auch Maximilians Autorität. Der Kaiser beabsichtigte noch immer, dass sein Enkel sich ihm auf einer Rundreise durch die österreichischen Erblande anschließen sollte, um den Eid als Thronerbe abzulegen (siehe Kap. 2). Und »wenn ich ihn in meinen Händen habe«, so vertraute er seiner Tochter Margarete an, »wird es ein Leichtes sein, alles wieder ins Lot zu bringen«. Insbesondere versprach er ihr: »Sobald er die Niederlande verlassen hat, werdet Ihr sie wieder regieren wie zuvor.« Als Karl die Reise jedoch aufschob, verkündete der Kaiser, dass er »bald nach Worms reisen werde, wo der Prinz sich ihm anschließen« solle – und wolle der Prinz sich ihm nicht anschließen, dann werde er, Maximilian, »persönlich in die Niederlande ziehen und dort ein wenig Ärger machen«.7 Wie so oft sorgten Maximilians zahlreiche andere Vorhaben im Zusammenspiel mit seinem chronischen Geldmangel dafür, dass dieser Plan nie in die Tat umgesetzt wurde. Und obwohl der Kaiser seine persönlichen Financiers optimistischerweise schon einmal ermächtigt hatte, das ihm für seine Zustimmung zu Karls Mündigsprechung versprochene Geld entgegenzunehmen, wies Karl die entsprechende Zahlung erst im Mai 1515 an. Mit der Zahlung der Pension für seinen Großvater ließ er sich sogar noch 18 weitere Monate Zeit.8 Anstatt gen Westen zu ziehen, blieb der Kaiser in Wien, wo er mit den benachbarten Herrschern zusammentraf und die Doppelhochzeit seiner Enkelkinder Maria und Ferdinand mit dem König von Ungarn und Böhmen und dessen Schwester ins Werk setzte. Damit war das Fundament für ein neues Großreich am Mittellauf der Donau gelegt, das 400 Jahre lang Bestand haben sollte.

      Als Nächstes bemühte sich Maximilian, seine Autorität in den Niederlanden wiederherzustellen, indem er Margaretes merklich geschwächten Einfluss auf seinen Enkel zu stärken suchte. Er teilte seiner Tochter mit, dass er Karl geschrieben hatte »mit der Bitte, Euch immer in seiner Nähe zu halten und Euch so zu behandeln, wie es ein guter Neffe nach aller Pflicht und Schuldigkeit mit einer solch tugendhaften und guten Tante tun sollte«. Margarete wies er an, »bei unserem besagten Enkelsohn zu bleiben und die Niederlande nicht zu verlassen, weil Eure Gegenwart dort unerlässlich ist und mir zum großen Vorteil gereichen wird«. An Karl schrieb der Kaiser weiter, dass »wir nicht den geringsten Zweifel daran hegen«, dass dieser Margarete »in allen Euren wichtigsten und schwierigsten Angelegenheiten« um Rat fragen »und ihren Rat beherzigen und befolgen« werde, denn ihr Rat werde stets ein besserer sein »als der von irgendjemandem sonst«. Maximilian schloss mit dem Hinweis darauf, dass Margarete »von Geburt und Erziehung