Der Kaiser. Geoffrey Parker

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Название Der Kaiser
Автор произведения Geoffrey Parker
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783806240108



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erzherzoglichen Kapelle«, wurden jährlich 200 Gulden dafür gezahlt, dass er »zur Unterhaltung und Ergötzung« des Prinzen und seiner Schwestern »die Flöte, die Laute, das Clavichord, die Orgel und andere Instrumente spielte«, und zwar, »wann immer diese es wünschen«. Drei Jahre zuvor war Bredeniers, wie er unverblümt mitteilte, dafür entlohnt worden, den Kindern »mit großer Schwierigkeit und Mühe die Grundlagen der Musik [beizubringen], und wie man diverse wohlklingende Instrumente spielt«.45 Ein erhaltenes Liederbuch, das für Margarete zusammengestellt wurde, vermittelt einen Eindruck von der Vokalmusik, mit der Karl in Mecheln aufgewachsen sein dürfte. Neben anderen schwermütigen Stücken enthält die Sammlung zwei Kompositionen von Josquin des Prés, dem berühmtesten Musiker der damaligen Zeit: »Plus nulz regrets«, das 1507/08 zu Ehren von Karls Verlobung mit Mary Tudor geschrieben wurde, sowie das bekanntere »Mille regretz«, das später auch als »Das Lied des Kaisers« bezeichnet wurde, weil Karl es so sehr mochte.46

      Ebenso liebte es der Prinz, zu tanzen. 1512 tanzte er während der Feiern zum Johannistag mehrere Stunden lang mit »seinen Schwestern und dem jungen Volk« aus seinem Hofstaat; und als seine Schwester Isabella zwei Jahre darauf – im Alter von 13 Jahren – verheiratet wurde, berichtete Margarete, dass »Karl wieder einmal an allen Tänzen mit Bravour teilgenommen hat – nur vielleicht etwas ungestümer, als seiner Konstitution zuträglich war, denn tags darauf überkam ihn ein Fieber«. Vier Tage später hatte er, wie Margarete mit spürbarer Beunruhigung meldete, »das Fieber noch immer nicht abgeschüttelt«; und erst nach zwei Wochen war Karl »von seinem Fieber befreit und wohlauf, sodass seine ganze Sorge nun dem Vergnügen gilt«.47

      Mit zunehmender Häufigkeit fand der Prinz dieses Vergnügen auch außerhalb Mechelns. Auslöser dieser Veränderung war vielleicht ein seltsames Vorkommnis zu Beginn des Jahres 1511, eine Art von Protest, die zustande kam, als ungewöhnlich heftige Schneefälle und lang anhaltender Frost zur Schaffung zahlreicher Eisskulpturen überall in der Stadt anregten. Eine solche Skulptur hatte man unmittelbar vor dem verwaisten Herzogspalast platziert; sie stellte die Jungfrau Maria dar, die ein Einhorn in ihrem Schoß hielt. Für alle Schaulustigen stand außer Frage, was das bedeuten sollte: Brüssel, nicht Mecheln, sollte Karl fortan seinen Schutz gewähren! Was immer letztlich dahintergestanden haben mag: Karl verbrachte in der Folge immer mehr Zeit im Coudenberg-Palast von Brüssel, dessen weitläufige Säle, Springbrunnen, Irrgarten und Menagerie keinem Geringeren als Albrecht Dürer vollkommen den Atem verschlugen, wie er 1520 in seinem Reisetagebuch festhielt: »Ich hab gesehen ins Königs Haus zu Prüssel hinten hinaus die Brunnen, Labyrinth, Thiergarten, dass ich lustiger Ding, mir gefälliger, gleich einem Paradies, nie gesehen hab.«48

      An der Schwelle zur Macht

      Auch in zwei Parkanlagen nahe seiner neuen Brüsseler Residenz ging Karl auf die Jagd: in Tervuren und in Heverlee. Diese beiden Orte standen gleichsam für konkurrierende Ansprüche, da der erste, damals wie heute ein königlicher Park, Margarete von Österreich unterstand, während der zweite im Besitz von Chièvres war. Am deutlichsten kollidierten die Bestrebungen der beiden Parteien auf dem Gebiet der Außenpolitik. Margarete befürwortete ein Bündnis mit England, dem wichtigsten Handelspartner der Niederlande, und einen Krieg gegen den Herzog von Geldern, der die burgundische Vormachtstellung unentwegt herausforderte. Chièvres dagegen wollte ein Bündnis mit Frankreich und Frieden mit Geldern. Über den Großteil von Karls Kindheit und Jugend hinweg konnte Margarete sich durchsetzen. Der englische König Heinrich VIII., durch seine Heirat mit Johannas Schwester Katharina von Aragón ein Onkel des jungen Karl, schickte 1511 Truppen, die Margarete gegen Geldern beistehen sollten; im Jahr darauf entsandte er zur Unterstützung seines Schwiegervaters Ferdinand von Aragón gegen Frankreich eine größere Streitmacht nach Spanien; und im Jahr 1513 schließlich kam Heinrich an der Spitze eines mächtigen Expeditionsheeres höchstpersönlich über den Ärmelkanal gefahren und schloss sich den Truppen Maximilians an, um in der Schlacht bei Guinegate gemeinsam die Franzosen zu schlagen. Die Unterlegenen verloren an jenem Tag so viele Ritter, dass dieses Aufeinandertreffen (zumindest bei den siegreichen Engländern) als die »Sporenschlacht« in Erinnerung blieb und die französischen Städte Thérouanne und Tournai sich dem englischen König ergaben. Kurz darauf nahm Margarete Karl mit auf eine Reise, um den Siegern zu gratulieren. Nach dem gemeinsamen Messbesuch zeigte Heinrich seinem Neffen Tournai seine neue Eroberung, wo sie zusammen mit Maximilian einem »königlichen Turnier« beiwohnten, das die Engländer zur Feier ihres Triumphes veranstalteten. Als Karl vier Jahrzehnte später seine Lebenserinnerungen niederschrieb, war dieser sein erster Staatsbesuch das früheste Ereignis, von dem er berichtete.49

      Heinrich teilte mit, er sei »hocherfreut über die Konversation« mit seinem Neffen, und er konnte Margarete und Maximilian davon überzeugen, Karls Hochzeit mit der Prinzessin von Kastilien (wie Mary Tudor seit ihrer Verlobung fünf Jahre zuvor bezeichnet wurde) innerhalb der nächsten sechs Monate stattfinden zu lassen. Auch beschloss das Trio eine Neuregelung für Karls Hofhaltung, die unter anderem Chièvres seines Amtes als »Erster Kammerherr« entband: In Zukunft sollte dieser Posten im Wechsel von adligen Höflingen besetzt werden, die Maximilian, Heinrich und Ferdinand von Aragón nominieren sollten. Der Kandidat des Kaisers, Pfalzgraf Friedrich II., hatte dabei den Vorrang – aufgrund seiner Blutsverwandtschaft und der Dienste, die er Karls Vater auf der gemeinsamen Reise nach Spanien geleistet hatte. Also wurde Friedrich »in allen Ratsgremien als Ranghöchster gleich nach Madame von Savoyen [d. i. Margarete]« eingestuft, und in Margaretes Abwesenheit sollte er »ihren Platz in den besagten Gremien einnehmen, in finanziellen wie auch in allen anderen Angelegenheiten«.50

      Diese Veränderungen markieren, wie es scheint, Margaretes Triumph in ihrem Ringen um Karls Zukunft. Einer jedoch war noch nicht restlos überzeugt: Thomas Spinelly, Heinrichs listenreicher Gesandter an Margaretes Hof. Die Erzherzogin hatte sich, wie Spinelly festhielt, »allein aufgrund der Minderjährigkeit meines Herrn Prinzen« durchgesetzt, und so sagte er voraus, dass mit dem Eintreten von Karls Volljährigkeit (an dessen fünfzehntem Geburtstag, dem 24. Februar 1515) Chièvres und seine frankophilen Verbündeten den Prinzen »nötigen« würden, sowohl das Bündnis mit England als auch seine Heiratspläne mit Mary Tudor aufzugeben. Aufgrund einer Reihe vollkommen unvorhergesehener (und in keinem erkennbaren Zusammenhang stehender) Ereignisse sollte sich diese Prophezeiung sogar noch früher bewahrheiten.51

      Im Januar 1514 starb Anne de Bretagne, die Gattin Ludwigs XII. von Frankreich, und ließ den König in seinem fünfzigsten Lebensjahr als Witwer mit »nur« zwei Töchtern zurück, die ihm nicht auf den Thron folgen konnten, da das für Frankreich geltende salische Recht die weibliche Thronfolge ausschloss. Karls Verwandte begegneten dieser Entwicklung auf ebenso unterschiedliche wie verhängnisvolle Weise. Ferdinand von Aragón schlug vor, Ludwig solle Karls Schwester Eleonore heiraten; diese war inzwischen sechzehn Jahre alt und also imstande, einen Sohn zu gebären, der eines schönen Tages König von Frankreich werden würde. Margarete erklärte sich bereit, den französischen König gleich selbst zu heiraten. Maximilian bestand darauf, dass Karl seine Eheschließung mit Mary Tudor noch aufschieben müsse, weil (wie der englische Gesandte in den Niederlanden berichtet) »ihm seine Ärzte dargelegt hatten, dass im Falle eines Ehevollzuges cum copula dies aller Wahrscheinlichkeit nach das Verderben des Herrn Prinzen bedeuten werde oder dass er in jenem Falle [zumindest] die spem proles [d. h. die Zeugungsfähigkeit] verlieren werde«.52

      Margarete warnte ihren Vater gleich mehrmals, dass jegliches Zaudern und Taktieren Heinrich VIII. verärgern und vor den Kopf stoßen würde; schließlich war dieser inzwischen persönlich an den Hochzeitsvorbereitungen beteiligt (Was sollte die Braut tragen? Wer würde sie begleiten? Wo sollten alle untergebracht werden?) und hatte für die anschließenden Festlichkeiten bereits ein Vermögen ausgegeben (unter anderem für die »Zelte, Häuser und Pavillons«, von wo aus die königliche Hochzeitsgesellschaft das nach der Trauung »abzuhaltende königliche Turnier« anschauen würde). Am 6. Juli 1514 schrieb Margarete ihrem Vater sorgenvoll und hellsichtig, wenn er Heinrich nicht sehr bald mitteile, dass er, der Kaiser, der englischen Heirat seinen Segen gebe, »so fürchte ich, dass er Euch und unser Haus im Stich lassen und einen Handel mit den Franzosen abschließen wird«.53 Aber da war es schon zu spät: Ludwig von Frankreich hatte die nachlässige Haltung seiner Rivalen bereits ausgenutzt und Heinrich