Название | Begegnungen mit Bismarck |
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Автор произведения | Robert von Keudell |
Жанр | Историческая литература |
Серия | |
Издательство | Историческая литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783806242683 |
Eine besondere Erinnerung mochte ihn bewegen; denn niemals habe ich später wahrgenommen, daß Musik so stark auf ihn wirke.
Als Minister hat er einmal nach demselben Stücke gesagt: „Das ist wie das Ringen und Schluchzen eines ganzen Menschenlebens“; damals aber sagte er nichts. Ich spielte noch ein ruhiges Stück und setzte mich dann zu den andern.
Zufällig sprach man von dem unerbittlichen deutschen Ehrgefühl. Bismarck erzählte von einem hochbegabten Göttinger Studenten, der abends beim Wein wettete, er würde auf seiner edlen Rappstute in einem Bach bis an das sich drehende Mühlrad galoppieren und über das Rad hinunterspringen.
„Vergebens bemühten wir uns am folgenden Tage, ihm die Ausführung dieser unsinnigen Wette auszureden. Er glaubte seine Ehre verpfändet. Viele Freunde waren an der Mühle versammelt. Das schöne Pferd kam im Mühlbach ruhig galoppierend an das schäumende Rad heran. Ohne zu stutzen, trug es den Reiter auf das Rad und in die Tiefe; aber beide standen nicht wieder auf.“
Nach einer kleinen Pause nahm Frau von Blanckenburg mit anmutiger Freundlichkeit das Wort, um mir von heiteren musikalischen Erlebnissen der letzten Tage zu erzählen. Die Anwesenden hatten zusammen mit mehreren sangeskundigen Damen und Herren der Familien von Mittelstädt und Wangemann soeben eine mehrtägige Reise durch den Harz gemacht und aus manchen schönen Punkten waren vierstimmige Lieder gesungen worden.
Als man aufbrach, um im Gasthaus das Abendessen zu nehmen, fragte mich Herr von Bismarck: „Werden Sie sich uns jetzt anschließen?“ Ich war leider verhindert.
Fräulein von Puttkamer-Reinfeld hatte ich ein Jahr früher in Pommern kennengelernt. Sie war befreundet mit Anna von Blumenthal-Quackenburg, deren Mutter, eine Schwester meiner Mutter, als Witwe in dem pommerschen Städtchen Stolp lebte. Ich hatte einige Jahre in Berlin studiert und war dann beim dortigen Stadtgericht eingetreten. Auf einer Ferienreise aus meiner ostpreußischen Heimat nach Berlin zurückkehrend, besuchte ich meine Tante und fand in deren Hause Fräulein Johanna von Puttkamer, eine junge Dame, welche von Verwandten und Freundinnen sozusagen vergöttert wurde.
Als einziges Kind gottesfürchtiger Eltern hatte sie eine sehr sorgfältige Erziehung erhalten. Sie stand im dreizehnten Lebensjahre, als einmal im Reinfelder Wohnhause Feuer ausbrach. Da bewies sie mehr Geistesgegenwart als alle andern Hausbewohner und rettete mit eigener Hand die wertvollsten Gegenstände. Das wurde in der ganzen Umgegend bekannt. Heranwachsend gewann sie die Herzen durch anmutige Bescheidenheit bei tapferem Freimut.
Ihre Gesichtszüge waren nicht regelmäßig schön, aber durch sprechende blaue Augen eigentümlich belebt und von tiefschwarzem Haar umschattet.
Für Musik hatte sie eine besondere Begabung. Ohne guten Unterricht genossen zu haben, spielte sie viele Klavierstücke auswendig und namentlich volkstümliche Melodien mit natürlichem Ausdruck.
Ungewöhnlich war ihre musikalische Empfänglichkeit. Triviales wie Schwülstiges schroff abweisend, wurde sie von warm empfundener Musik lebhaft ergriffen und nie ermüdet. Da es in ihrer ländlichen Abgeschiedenheit an neuen Musikstücken fehlte, übernahm ich gern, aus einer Berliner Bibliothek regelmäßig ihren Bedarf zu beschaffen.
Bald darauf kam sie einmal mit ihrer Mutter nach Berlin und besuchte meine Mutter, bei der ich wohnte. Dann führte ich die Damen zu Kisting und ließ sie dessen besten Flügel hören. Im folgenden Sommer machte Fräulein von Puttkamer mich in der erwähnten Weise mit ihren Freunden bekannt. Meine regelmäßigen Sendungen von Musikheften dauerten fort, bis sie im Juli 1847 das Elternhaus verließ. Im Januar hatte sie sich verlobt.
Zwanzig Jahre später sprach Bismarck einmal über den Eindruck, den seine Erscheinung auf die Damen der Nachbarschaft von Reinfeld gemacht hätte, denen er plötzlich als „Johannas Verlobter“ vorgestellt wurde.
„Die vielen Cousinen,“ sagte er, „nahmen es sehr übel, daß sie vorher gar nichts von der Sache erfahren hatten, und fixierten ihre Meinung bald übereinstimmend dahin: ‚Ja, haben möchten wir ihn nicht, aber er ist ja sehr vornehm‘. Nun ist doch ein pommerscher Gutsbesitzer nicht vornehmer wie der andere; aber man hatte gehört, daß ich öfters am Hofe gewesen war, und das gab mir in dem abgelegenen Ländchen ein Relief.“
Diese Worte ergänzten eine Nachricht, die ich bald nach der Verlobung erhalten hatte.
Die Cousinen und Freundinnen der Braut waren in ernster Sorge wegen ihrer bevorstehenden Verbindung mit einem Manne, der seit Jahren in Pommern der „tolle Bismarck“ genannt wurde. Man hatte gehört, „seine Verhältnisse wären sehr verwickelt und er wohl nicht ganz der Mann, sie in Ordnung zu bringen, viel unterwegs und viel mit andern Dingen als mit seiner Wirtschaft beschäftigt.“ Wer man fand einen Trost darin, daß seine Persönlichkeit den Eindruck ungewöhnlich vornehmer Gesinnung machte.
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Bald nach dieser Verlobung erschien das königliche Patent, durch welches die Stände der einzelnen Provinzen Preußens zu einem „Vereinigten Landtage“ einberufen wurden.
König Friedrich Wilhelm III. hatte in verschiedenen Kundgebungen (1815, 1820, 1823) in Aussicht gestellt, die Machtfülle der Krone durch Reichsstände einzuschränken, namentlich (1820) für Fälle von neuen Belastungen der Staatsfinanzen. Es kam jedoch unter seiner Regierung nur zu gesetzlicher Einrichtung von Kreis- und Provinzialständen.
Die französische Julirevolution sowie deren Nachwirkungen in Polen, Belgien und einigen deutschen Staaten verstärkten die in Berlin obwaltenden Bedenken gegen Gewährung einer reichsständischen Verfassung.
Nach der Thronbesteigung Königs Friedrich Wilhelm IV. regten sich lebhafter in weiten Kreisen des Volkes die lange zurückgehaltenen politischen Wünsche. Aber während die Landtage der Provinzen Preußen, Posen und Rheinland bei jeder Gelegenheit um Gewährung der verheißenen Reichsstände petitionierten, warnten eindringlich davor die Landtage von Brandenburg und Pommern.
Der König verharrte einige Jahre in ablehnender Haltung. Da trat das Bedürfnis hervor, zum Zwecke der Eisenbahnverbindung Ostpreußens mit Berlin eine Staatsanleihe aufzunehmen oder wenigstens eine staatliche Zinsgarantie zu gewähren. Beides erwies sich unausführbar ohne die in dem Gesetze vom 17. Januar 1820 vorgesehene reichsständische Genehmigung. Diese Schwierigkeit gedachte man durch einmalige Vereinigung der Landtage aller Provinzen in Berlin zu beseitigen.
Bismarck war nur als Stellvertreter eines Abgeordneten der sächsischen Ritterschaft gewählt und hoffte das Frühjahr nicht in Berlin, sondern großenteils in Reinfeld zu verleben. Es sollte aber anders kommen. Der Abgeordnete war behindert, der Stellvertreter mußte im April dessen Sitz im Vereinigten Landtage einnehmen und fand am 17. Mai Anlaß, mitzusprechen.
Seine Erlebnisse bei diesem ersten Auftreten erzählte Bismarck mehrere Jahre später in folgender Weise:
„Der Landtag hatte eine Gesetzesvorlage über Rentenbanken aus verschiedenen Gründen abgelehnt. Der Abgeordnete von Saucken kam zwei Tage später darauf zurück und sagte, die Gesetzgebung komme nicht vorwärts, weil im Volke das volle Vertrauen zu der Staatsregierung fehle, welche durch Einberufung des Vereinigten Landtages die alte Verheißung von Reichsständen nicht erfüllt habe. Man solle nur an 1813 denken; damals habe das Volk sich einmütig erhoben aus Dankbarkeit für die liberale Gesetzgebung von 1807.
„Ich sagte darauf: Ich und viele andere hätten nicht aus politischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen gegen das Rentenbankgesetz gestimmt. Ich müsse auch dem widersprechen, daß die Volkserhebung von 1813 anderen Beweggründen zuzuschreiben wäre als dem Zorn über die Schmach, daß Fremde in unserem Lande geboten; es heiße der Nationalehre einen schlechten Dienst erweisen, wenn man annehme, daß die Mißhandlungen, die die Preußen jahrelang durch fremde Gewalthaber erlitten, nicht hingereicht hätten, ihr Blut in Wallung zu bringen und ihren Haß zu entflammen.
„Ich