Название | Traumprotokolle |
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Автор произведения | Christof Wackernagel |
Жанр | Изобразительное искусство, фотография |
Серия | |
Издательство | Изобразительное искусство, фотография |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783866747784 |
– in einer Luxusvilla streiten sich irgendwelche exzentrischen Reichen über die Bombardierung von Landstrichen oder ganzen Ländern, vielleicht sogar Kontinenten, so erbittert, dass sie nicht bemerken, dass wir vier, Remo, Silvi, Gundel und ich, ihnen zuhören, in drei, hintereinander hoch gestaffelten Reihen sitzend; sie zerfleischen sich gegenseitig, wobei es nicht um das Ja oder Nein der Bombardierung geht, sondern um das Wo und Wann, es geht ihnen an die Substanz, sie verzweifeln beinahe, und wir hören mucksmäuschenstill zu, aber auch, als wir etwas einwerfen, interessiert es sie nicht, so sehr sind sie miteinander beschäftigt, also rauchen wir Joints und Remo bietet Brigitte, die eigentlich gar nicht hier reinpasst und hinten in der dritten Reihe sitzt, an, doch zu ihm nach vorne zu kommen, will aber dann gleich was zu trinken, weswegen ich hinter die Bar, die vor unseren Sitzreihen steht, gehe; Remo lallt übertrieben angeturnt etwas von Gin und ich suche verzweifelt nach Gin, es gibt aber nur Plastikflaschen mit Schnaps oder Fruchtsäften, da kommt eine junge Frau gelaufen und hantiert, für mich unsichtbar hinter einer spanischen Wand, die mit Raumpflanzen verkleidet ist, mit irgendetwas rum, bis ihre Mutter erscheint und sie sich geifernd streiten: die junge will den Schmuck nicht rausrücken, ist sie ein emanzipiertes Gretchen?, aber auch, als ich Remo etwas zurufe, interessiert das die beiden Frauen überhaupt nicht, und die junge kommt an mir vorbeigelaufen und lächelt mir gequält zu –
– endlich ist das Haus gegenüber verschwunden, und ich kann erkennen, was dahinter liegt: ein Schwimmbad, in dem jetzt, mitten im Winter ein Wettspringen von kleinen Jungen stattfindet, wobei es darum geht, von einem Zehnmetersprungbrett zu springen und dabei nicht von einem über dem Becken schwebenden riesigen Schmetterlingsnetz aufgefangen zu werden, was den meisten misslingt außer einem, der vom Brett gestoßen wird und laut klatschend auf dem Wasser aufschlägt, woraufhin sie, sobald sie schreiend im Netz zappeln, mechanisch wieder in den Sprungturm eingezogen werden, bis auf einer, der es schafft, sich aus dem Netz zu befreien, aber als er gerade ins Becken springen will, taucht ein Muskelmann in Badehose auf und versucht, ihn zurückzuhalten, schafft das jedoch auch nicht, und der Kleine springt jubelnd ins Wasser, während sich Motorenlärm nähert, kein Hubschraubergeräusch, sondern ein heller, aufdringlicher, hornissenartiger Ton, der, jetzt kann ich es erkennen, von einem Motorsegler herrührt, einem Gerät, das fast nur aus ein paar Stangen besteht, in denen ein Mann hängt, der direkt auf meine Zelle zusteuert, was will er?, ich bekomme Herzklopfen, etwa mich befreien?, aber er landet im Gefängnishof und führt sein Gerät einigen Leuten vor, wobei peinlicherweise einige Startversuche misslingen, aber er kann immer noch in letzter Minute landen, bevor er an die Mauer stößt oder unter dem Dach abstürzt, und er hat keine Flügel mehr, braucht kaum Anlauf zum Starten, im Grunde ein ideales Ding, aber als ich im Hof ankomme in der Hoffnung, damit vielleicht abhauen zu können, schafft er es gerade, endlich richtig abzuheben, obwohl sich noch einer an ihn drangehängt hat und mit ihm rausschwebt, ohne daran gehindert zu werden, während ich dem Ding sehnsüchtig nachsehe, und bereits wieder von einem Wächter abgeholt werde, der mir Mut machen will, indem er sagt, wenn es meine Leute gut machten, könnten sie mich schon rausholen, aber auf meinen Einwand, dass bei uns doch scharf geschossen werde, nicht genau antwortet, woraus ich auf die Art der Bewaffnung schließen könnte, sondern nur mit großem Ernst betont, dass gezielt geschossen werde; und wir gehen endlos durch immer neue Gänge, immer neue Treppen, immer neue Türen, die er geübt aufschließt, wobei sich moderne, psychiatrieähnliche Räume abwechseln mit mittelalterlichen, gruftenartigen Höhlen, und ich vermute schon, dass ich nicht zurück in meine Zelle, sondern irgendwohin zur Bestrafung für meinen Fluchtversuch geführt werden soll, wir landen aber im Warteraum für Besucher; »aha!«, rufe ich erstaunt aus, so sieht es also bei normalen Besuchen aus, aber niemand will sich mit mir unterhalten, alle sitzen stumm da, mit Aufrufzettelchen in der Hand wie beim Zahnarzt und in einer Atmosphäre wie in der Kirche, wo nur ab und zu vorsichtig geflüstert wird, fast alle sind Frauen, die meisten alt, nur wenige jüngere, verhärmte sitzen auf unbequemen Holzbänken und halten kleine Wurstecken in der Hand, die sie ihren Gefangenen mitbringen wollen, während wenige andere, von denen eine einen protzigen Pelzmantel trägt, in silbernen, igluartigen Kabäuschen mit einem Sichtfenster in Augenhöhe sitzen, deren Vorderteile als Klapptür gebaut sind, und sie sitzen versteinert darin, Mumien mit starrem Blick, und eine Frau spricht mit leiser Stimme devot neue Nummern und Namen, entschuldigt sich, dass die Elektronik heute kaputt sei –
– ich liege am Strand, Ebby ist auch da, was mich sehr erleichtert, aber als ich die lange Menschenschlange sehe, die am Tor zum Wald ansteht, weiß ich, dass ich fliehen muss, zumal Ebby mich mit einem Blick darauf aufmerksam gemacht hat, wer da in der Schlange steht und mich auf keinen Fall entdecken darf; ich renne, ohne dass mich jemand bemerkt, an der Schlange vorbei, sogar durch das Tor und erreiche ungehindert die Bushaltestelle, aber da macht Ebby, der weit entfernt steht, mir Zeichen, dass ich aufpassen muss, also weiterfliehen, durch den Wald, bis zu einer Lichtung, in der eine Menschenmenge um etwas herum steht und eine feierlich beängstigende Atmosphäre herrscht; ich habe das Gefühl, diese Situation schon einmal erlebt zu haben, bin neugierig, traue mich aber nicht näher heran, bis ein weißhaariger Mann, der am Rand steht, sich umdreht und mir winkt, mich lockt, so stark, dass ich, obwohl ich Angst habe, näher komme, und näher, und immer eindringlicher winkt er mich heran, bis ich ganz vorne in der Menschenmenge bin und es sehe: in einem Tümpel spielt ein Film, ein Flugzeug fliegt haargenau durch Straßenschluchten, ganz knapp, ohne anzustoßen und ganz dicht unter Stromleitungen hindurch, es muss ein riesiges Flugzeug sein, denn es hat mehrere Stockwerke und Treppen und Säle und Vorhallen und Pendeltüren, durch die ich irre, ohne irgendwo einen Menschen zu treffen, alles ist wie ausgestorben, irgendwo huscht eine Stewardess vorbei, ohne von mir Notiz zu nehmen, und ich verstehe: der Treibstoff geht zu Ende, und wir werden gleich abstürzen, aber ich bin ja gar nicht drin, sondern sehe es nur im Film, und es passiert niemandem irgendetwas, das Flugzeug fällt ins Wasser, und alle kriechen unversehrt hinaus, man redet angenehm miteinander –
– ich sitze in einem Straßencafé in Toronto, alles menschenleer und von riesigen Wolkenkratzern umgeben, als Einziger ganz am Rand der leeren Tische, da kommen ein Mann und eine Frau vorbei, setzen sich direkt neben mich, obwohl noch viel anderer Platz frei ist, und versuchen krampfhaft mit mir anzubandeln, aber als die Frau »Christof« zu mir sagt, weiß ich, dass es Bullen sind, denn ich habe mich noch nicht vorgestellt, aber da sie nicht wissen, dass ich sie erkannt habe, spiele ich erstmal das Spiel mit, bei dem die Frau jetzt so tut, als sei sie in mich verliebt und wolle mit mir in die Ferien fliegen; ich halte das für eine gute Gelegenheit, zu entwischen, auch wenn sie gerade damit mich in die Falle locken will, aber ich versuche es, und im hundertundzwanzigsten Stock eines Wolkenkratzers mit schwindelerregendem Blick auf das Meer der Stadt stehe ich vor der Flugticketverkäuferin und verliebe mich in sie, sie kann mich retten, mit ihr kann ich einen Ausweg finden, denn sie hat einen Kassettenrecorder in der Hand, den sie nicht aufbekommt, die Kassette nicht rausbekommt, von der wir wissen, dass, wenn sie draußen ist, die Bullen mich nicht kriegen, aber da geht die Tür auf, der Mann und die Frau kommen mit noch einem Weiteren den Gang entlang gehetzt und das Spiel von vorhin ist vergessen, sie geben offen zu, dass sie Bullen sind und mich verhaften wollen, bevor der Recorder offen ist – ich knie mit der Flugtickettverkäuferin auf dem Boden und wir hantieren fieberhaft an dem Ding rum, atemlos flüstert sie mir zu, dass sie mich liebt und mit mir fliehen will und ich fließe fast über vor Freude und Glück, da haben wir es tatsächlich geschafft, das Ding aufzukriegen, aber es ist schon zu spät, wir können nur noch in den Raum daneben fliehen, wo es ein fürchterliches Blutbad in einer nicht endenwollenden Schießerei gibt, wobei meine größte Angst allerdings ist, dass die Frau aus dem Café jetzt damit auftrumpft, dass ich ja versprochen hätte, mit ihr in Urlaub zu fahren und deshalb meine wirkliche Liebe mir nicht glaubt, dass ich sie liebe und denkt, dass ich sie nur benützen wollte, um zu fliehen, und ich überlege fieberhaft, wie ich beweisen kann, dass ich schon im Café wusste, dass es Bullen waren und ich nur mitgespielt habe, um noch eine Chance zu bekommen, abzuhauen –
– mitten in der Nacht wird es plötzlich hell, so ungeheuer, dass ich glaube, den Verstand zu verlieren, vielleicht der Weltuntergang, vielleicht Gott, der sich zeigt, vielleicht eine Atombombe – eine wunderschöne, ungekannte Erwartung, eine feierliche, Versöhnung versprechende Ankündigung –
– ein englischer Doppeldeckerbus kommt bedrohlich auf mich zu, fährt aber vorbei, und erst hinterher wird mir klar,