Название | Die Charismatische Bewegung 2 |
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Автор произведения | Michael Kotsch |
Жанр | Религия: прочее |
Серия | |
Издательство | Религия: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783869549576 |
1.3.2. Dienst der Befreiung
Charismatische Theologen rechnen nicht nur mit der Realität des Bösen, für sie sind dämonische Einflüsse im Alltag ein weitverbreitetes Phänomen. Die Vertreibung unsauberer Geister gehört für sie zum Routineprogramm. Sünde, psychische Erkrankungen oder unheilbare körperliche Leiden könnten in charismatischer Sicht auf dämonischen Einfluss hinweisen. Der Befreiungsdienst besteht darin, den bösen Geist direkt anzusprechen, um ihn identifizieren zu können und ihm dann im Namen Jesu zu befehlen zu verschwinden. Dazu sei prinzipiell jeder Christ in der Lage. Zum Befreiungsdienst kann auch die Beichte des Betroffenen gehören und sein aktives Mitwirken durch die Anrufung Jesu, das Einatmen des Heiligen Geistes oder das Aushusten des bösen Geistes.26 Um sich vor geistlichen und physischen Angriffen der Geister besser schützen zu können wird empfohlen, Befreiungsdienste im Team vorzunehmen. In schweren Fällen muss die Dämonenaustreibung wiederholt und der Betroffene dauerhaft von seiner Gemeinde betreut werden. Zweifellos kennt das Neue Testament Dämonen, Besessenheit (Mt 4,24; 8,16), dämonisch verursachte Krankheit (Mt 9,33; 17,18) und Aktivitäten des Teufels (Mt 4,1; Jak 4,7; 1Petr 5,8). Beim Befreiungsdienst aber wird die Bedeutung dämonischer Kräfte ungerechtfertigt hervorgehoben. Im Mittelpunkt steht nicht so sehr die grundsätzliche Überwindung des Bösen durch Jesus Christus, sondern die noch andauernde Auseinandersetzung des Christen mit Dämonen. Esoterisch- dualistisch wird die Erde zum Schauplatz alltäglicher Kämpfe zwischen Gott und Teufel, in die der Gläubige eingreifen kann. Der Christ wird zum Spielball des Teufels. Alle Krankheiten, Verfehlungen oder Auseinandersetzungen können auf den Einfluss von Dämonen zurückgehen. Für die seelsorgerliche Praxis folgt daraus, dass alle Menschen dämonisch belastet sind und ständig Befreiungsdienst benötigen. Im Gegensatz dazu sollen die Dämonenaustreibungen Jesu vor allem seine Messianität unterstreichen (Joh 2,23; 3,2; 7,31). Einen Routineauftrag zur Dämonenaustreibung bekommen die Jünger nicht, auch wenn vereinzelt durch die Apostel Menschen von dämonischen Bindungen befreit wurden (Mk 16,17; Apg 5,16; 16,16f). Im Dienst der frühchristlichen Gemeinde spielten Dämonenaustreibungen nur eine untergeordnete Rolle. Im Umfeld der Apostel ist die dämonische Belastung eines Menschen zumeist offensichtlich. Nie werden diese aufgefordert, sich mit den Geistern zu unterhalten. Es findet sich kein klarer Hinweis, dass auch Christen besessen sein können (Mt 12,43ff; Röm 8,38f; 1Kor 3,16). Sünde, Krankheit und äußeres Leiden werden im Allgemeinen nicht auf dämonischen Einfluss zurückgeführt. In solchen Fällen werden Reue, Sündenbekenntnis und Lebensveränderung gefordert (1Kor 6,11; Röm 12,2; 1Joh 1,9), nicht aber die Suche nach dämonischen Belastungen.
In der seelsorgerlichen Praxis fehlen in den beschriebenen Fällen häufig die eindeutigen Zeichen dämonischer Besessenheit. Liegt diese nicht vor, kann sie natürlich auch nicht beseitigt werden, sodass der weiter unter seiner Krankheit, Armut usw. Leidende nun in der Gewissheit lebt, von einem bösen Geist besessen zu sein, da dessen mutmaßliche Wirkung immer noch nicht verschwunden ist. Falsche Dämonenaustreibungen führen nicht selten zu gefährlichen menschlichen Bindungen. Der vermeintlich Befreite vertraut dem Dämonenaustreiber vollständig, meint er doch dieser verfüge über außerordentliche geistliche Fähigkeiten. Die Fixierung auf mögliche dämonische Hintergründe kann auch dazu führen ganz reale medizinische, psychische oder logische Ursachen unberücksichtigt zu lassen und dadurch eine mögliche Besserung zu verhindern. Manchmal kann die eingehende Beschäftigung mit dem Teufel auch eine Faszination auslösen, die zu einer echten geistlichen Abhängigkeit führt oder zumindest den Blick für die Größe Gottes mindert. Gelegentlich wird auch die ungesunde Angst gesteigert, im Alltag lauere hinter jeder Ecke ein Dämon, der den Gläubigen anfallen wolle.27
1.3.3. Mittel charismatischer Seelsorge
Die charismatische Seelsorgespezialistin Leanne Payne hebt insbesondere die Bedeutung des Gebets hervor. Durch den von Zungenrede begleiteten Lobpreis soll eine innige Gemeinschaft zwischen Seelsorger und Gott hergestellt werden. In der darauf folgenden Gebetsstille hören alle Beteiligten auf das Reden Gottes durch Bilder und Eindrücke. Weiteres Gebet könne dann auch spontan verwandelnde Kräfte freisetzten. Diese Instrumentalisierung vergißt die Zusage Jesu, ständig in der Nähe seiner Jünger zu sein (Mt 18,20; 28,20) und rückt das Gebet in die Nähe einer mechanischen Methode. Das Gebet als ganzheitliche Aussprache Gott gegenüber tritt hier zurück, ebenso die freie Entscheidung Gottes zu antworten oder zu schweigen.
Charismatische Seelsorger tendieren dazu, ihre Ratschläge in Form göttlicher Zusagen zu geben. Ihre Aussagen verstehen sie als Wort der Erkenntnis (1Kor 12,8; 14,1-4). Die während des Hörens auf innere Stimmen (hörendes Gebet) empfangenen Eindrücke über die Situation des Hilfesuchenden werden diesem als göttliche Mitteilung weitergegeben, gelegentlich sogar in der Propheten- Form: „So spricht der Herr …” Förderlich für derartige Eindrücke soll das Zungenreden sein. Natürlich besteht hier die Gefahr, Ratsuchende unter Druck zu setzten, weil sie den Eindruck haben, mit Gott selbst konfrontiert zu sein. Hören sie nicht auf den Rat des Seelsorgers, wiederstreben sie Gott.
Charismatische Seelsorge bedient sich ferner der Träume und Visionen. Diese können zufällig empfangen oder auch bewusst konstruiert werden, um die negativen Bilder aus der Kindheit durch positive zu ersetzen.28 Solche positiven Bilder sind die Vaterliebe Gottes, Vergebung, totale Annahme, Gesundheit usw. Das hörende Gebet soll helfen, das passende Bild von Gott zu erhalten. Nach einer Phase des Lobpreises hören die Beteiligten innerlich auf eine mögliche Antwort Gottes. Heilende Bilder könnten außerdem durch Meditation über Bibeltexte oder in Träumen auftauchen. Diese Suche nach inneren Bildern hat eine große Ähnlichkeit mit der buddhistisch- esoterischen Praxis der Traumreisen in der bewusst erzeugte geistige Bilder zur inneren Entspannung eingesetzt werden. Berichte von Träumen und Visionen finden sich sowohl im Alten als auch im Neuen Testament. Besonders gehäuft spricht Gott während der Geburtsgeschichte Jesu zu den Menschen. Ein Engel mahnt Joseph im Traum seine schwangere Verlobte Maria nicht zu verstoßen (Mt 1,20ff). Die Weisen werden im Traum gewarnt nicht zu Herodes zurückzukehren (Mt 2,12). Joseph wird durch einen Traum aufgefordert nach Ägypten zu fliehen (Mt 2,13; 2,19f). Petrus wird durch eine Vision auf die Begegnung mit Kornelius vorbereitet (Apg 10). Paulus wird in einer Vision motiviert, seine Missionsarbeit in Mazedonien fortzuführen (Apg 16,9f). Der größte Teil der Offenbarung beruht auf einer Vision des Johannes, dem Gott Einzelheiten seines zukünftigen Handelns mitteilt.