Название | 4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018 |
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Автор произведения | Christoph-Maria Liegener |
Жанр | Зарубежные стихи |
Серия | |
Издательство | Зарубежные стихи |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783746992471 |
Kommentar: Sympathische Geschichte mit netter Pointe. Leider ist der erhobene Zeigefinger zu erkennen, aber glücklicherweise bleibt er unaufdringlich.
Marlene Ronstedt
Pinsel
Ob in der Schule oder später in der Kunst-Akademie - ich beneidete stets meine Kursteilnehmer um ihre Pinsel. Das Problem war, dass jedesmal, wenn ich mir einen neuen Pinsel kaufte, dieser nach kurzer Zeit genauso kaputt und abgenutzt wie mein restliches Malzubehör aussah.
Das erste Mal, als ich mein Glück mit neuen Pinseln versuchte, war zu Beginn meines Leistungskurses Kunst. Hier hatte ich angefangen, den Pinsel-Neid zu spüren. Was ich nicht wusste: die Öl-Farbe, mit der wir arbeiten würden, sollte meinen neuen Pinseln ein frühes Ende bereiten. Ich wusste nicht, wie man die Farbe entfernt und war gezwungen, das Öl in den neuen Pinseln trocknen zu lassen. Letztendlich blieb mir nichts anderes übrig, als die kaputten Spitzen abzuschneiden. Mit den borstigen Stummeln bekam man aber nicht so zarte Linien hin wie meine Mitschüler.
Ich würde gerne fotorealistisch malen. Aber das geht nur mit den richtigen Pinseln. Doch der Widerwillen meiner Borstenpinsel schließt einige Stile kategorisch aus. Mittlerweile leiste ich mir auch nur noch Ein-Euro-Pinsel aus dem Baumarkt, wenn mir der Sinn danach steht, meine Kollektion zu erweitern. Doch diese sind eben aus Plastik und nicht aus wallenden Pferdemähnen. Deswegen fühlen sie sich eher an wie der Bart eines Ziegenbocks. Und damit kann man nur grobe Ergebnisse erzielen.
Später in der Kunst-Akademie belauschte ich einmal zwei Studentinnen aus einem anderen Kurs. Es war nach dem Unterricht und sie standen gemeinsam am Waschbecken. Unter das kalte Wasser hielten sie ihre teuren Pferdehaar-Pinsel, welche aussahen, als hätten sie noch nie damit ein Bild gemalt. In ihrer Konversation ging es darum, wie sie ihre Pinsel am besten reinhalten würden. Vielleicht könnte das meine künstlerische Krise lösen. Ich hörte also gespannt zu.
Der Trick ist es, Terpentin als Lösungsmittel hinzuzugeben. Damit geht die Farbe wieder raus. Im Keller meiner Eltern hatte ich die besagte Substanz gefunden. Bei der nächsten obligatorischen Pinsel-Reinigung schüttete ich die übel riechende Substanz in ein blau bemaltes Schälchen. Bevor ich auch nur dazu kommen konnte, die Pinsel darin zu baden, begann sich die Glasur des Schälchens aufzulösen. Die klare Flüssigkeit hatte sich in eine blaugraue Brühe verwandelt. Die Farbe auf meinen Pinseln jedoch blieb haften.
Ich muss zugeben, die Pinsel stören mich gar nicht so sehr. Es ist eher meine eigene Unzufriedenheit darüber, nicht die konservativen Kunst-Ideale in meinem Kopf zu erfüllen. Saubere Schattierungen. Ein perfekter Kreis. Da gehören gute Pinsel mit dazu.
Ich habe irgendwann angefangen, absichtlich zu versuchen, unordentlich zu malen. Große Gesten. Dann ist es egal, ob ich einen ehemals feinen kaputten Pinsel aus dem Kunstfachhandel oder einen Spachtel benutze. Wenn ich schon verdammt bin, keinen geraden Strich hinzubekommen, dann will ich wenigstens meine Unfähigkeit perfektionieren.
Karr & Wehner (= Reinhard Jahn und Walter Wehner)
Das Gebet
Der Dom stand da, fast schwarz im Gegenlicht, wie er seit Jahrhunderten den Platz überragte. Die Sonne stand tief hinter der Kuppel. Es war vorbei. Sie hatten die Zeremonie wegen des erwarteten Andrangs auf den Platz verlegt. Es war keiner dieser üblichen Mittwochvormittage, keine dieser gewöhnlichen Generalaudienzen gewesen. 20.000 Plätze waren einfach zu wenig. Erwartet wurden mindestens 200.000. Für den Heiligen Stuhl war das kein Problem, zur Ostermesse kam gut die doppelte Anzahl von Gläubigen. Alles Routine, die Rettungssanitäter. Es hieß, es stünden stets ein paar Priester für die letzte Ölung und Sterbesakramente bereit. Natürlich außerhalb der Hör- und Sichtweite der Kameras von CTV, Radio Vatikan, Bibel-TV, Hope Channel.
-Und was haben Sie getan?
-Gebetet.
-Da war also diese Bedrohungslage… Seine Heiligkeit hatte gerade den Dom verlassen und war auf den Weg zur Bühne, also dem Altar…
-Dreißig Sekunden. Das war die Zeit, die dafür vorgegeben war. Eine halbe Minute. Auf dem Weg durch die Gasse, die Menschenmenge. Das war die Lage, als.
-…es die Drohung gab.
Natürlich waren stets Sicherheitsdienste da. Sichtbare wie die Schweizer Garde und die Gendarmeria Vaticana. Aber auch deren Sondereinheiten. Seit dem Attentat von Mehmet Ali Ağcaim Mai 1981 gab es diese versteckten Maßnahmen. Die Ermordung des Kommandanten der päpstlichen Schweizergarde Alois Estermann und seiner Ehefrau im Mai 1998 hatte viele misstrauisch gemacht. Niemand glaubte ernsthaft, dass ein junger Gardist in einem "Anfall von Wahnsinn" seinen Vorgesetzten und dessen Frau umgebracht und danach seinem eigenen Leben mit einem Schuss in den Mund ein Ende bereitet hätte..
-Es gab also die Drohung…
-Nein, die Gewissheit. Das war etwas ganz anderes. Die Drohung war der Übertragungswagen des Fernsehens, draußen, der in Flammen aufgegangen war. Genau wie es der Anrufer angekündigt hatte. Die Drohung hat uns Gewissheit gegeben, dass er es ernst meinte. Dass auf der Trittstufe zur Bühne, dass dort ein Kontakt scharf geschaltet ist, der eine Sprengvorrichtung auslöst. Sobald er belastet wird. Also sobald seine Heiligkeit die Stufen zur Bühne hinaufgehen würde.
Es gab ständig Gerüchte, Drohungen im Netz, Verschwörungstheorien. Die Templer, die Satanisten, Dschihadisten, Tschekisten, Raelianer, Darth Vader, Sauron, Gargamel, die Untergangsverkünder von Deck 1 und aus den eigenen Reihen – die Welt wimmelte von zu allem bereiten Psychopaten, und von nicht wenigen zu allem Fähigen. Manche waren käuflich, also berechenbar, eine Frage des Preises. Andere hörten Stimmen, waren auserkoren, auf einem endlosen Trip von Bethlehem bis Aum. Gegen die halfen nur Bazuka und Remington. Und Kontakte, belastbare Kontakte.
-Und sie…
-…nein, lassen Sie mich ausreden! Wir waren sicher. Und es gab keine Möglichkeit, zu reagieren. Es abzuwenden. Die Kommunikation zu den Bodyguards seiner Heiligkeit… ausgefallen, vermutlich sabotiert. Es gab nur uns - mich und den Nuntius, dort oben in der Loge. Der war keine Hilfe. Wir hatten nur Funkkontakt zur Sicherheitszentrale.
-Und die Bombe…
-sollte eine enorme Sprengkraft haben. Das hat der Attentäter erklärt. Bei der Zahl der Messebesucher war von mehr als 500 Toten auszugehen. Viel mehr. Und einer unbekannten Zahl von Schwerverletzten. Es gab nur eine Möglichkeit, das zu verhindern.
Ultima ratio. Für manche Dinge gab es keine Dienstanweisung. Keine philosophischen, theologischen Entscheidungshilfen. Das war der Job. Griechische Götter und ihre Sagenschreiber kannten auch nur ausweglose Situationen. Eli, Eli, lama absathani. Die Kuppel des Doms ragte über alle Gebäude hinweg in den Himmel. Auf dem Platz standen Gläubige und Touristen wie gewohnt Kopf an Kopf, betend, singend, den Rosenkranz durch die Fingen gleiten lassend. Auf den vier Videoleinwänden sahen sie sich selbst in Großaufnahme, die angereisten Nonnen, die Pilger, die Rollstuhlfahrergruppen, die Bildungstouristen. Die Tauben hatten sich zurückgezogen, kreisten über dem Dom. Urbi et orbi.
-Indem Sie…
-Verstehen Sie, Seine Heiligkeit würde auf seinem Weg zur Bühne unweigerlich den Trittkontakt auslösen. Es gab keine Möglichkeit, ihn in der kurzen Zeit aufzuhalten.
-Es sei denn…
-Ich bin Präzisions-Schütze, Seine Heiligkeit war nur 70 Meter entfernt.
Die Piazza S. Pietro war leer. Nur die Tauben waren zurückgekehrt. Gurrten, flatterten um die Kolonnaden, trippelten über das Kopfsteinpflaster. Der Obelisk hatte seinen Schatten um eine Stunde vorgerückt. Die Brunnen rauschten. Von der Basilika schauten Jesus und die Heiligenstatuen regungslos über den Platz.
-Ihre Optionen waren also…
-…zu schießen. Seine Heiligkeit mit hinreichender Sicherheit auszuschalten, damit er den Kontakt nicht auslöste…
-Oder…
-…die