Название | Letzte Erzählungen |
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Автор произведения | William Trevor |
Жанр | Современная зарубежная литература |
Серия | |
Издательство | Современная зарубежная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783455008296 |
Früher einmal hatte Martina, die fast fünfzig war und stärker zunahm, als ihr lieb war, noch gewusst, was sie wollte, jetzt aber war sie sich nicht mehr so sicher. In ihrem früheren Leben war eine leichtsinnige Ehe zerbrochen, und sie hatte kein Dach über dem Kopf gehabt. Kinder hatte es keine gegeben, obwohl sie sich welche gewünscht hatte, und seither dachte sie oft, dass es ihr trotz der Verpflichtung, für sie zu sorgen, besser ergangen wäre, wenn Kinder ihrem Leben einen Mittelpunkt gegeben hätten.
Sie fuhr durchs Moor. An den Torfstichen stand eine Maschine von Bord na Móna, ein abgekoppelter Anhänger war mit einem Keil versehen, damit er nicht davonrollte. Niemand arbeitete, an den Torfstichen hatte sich seit gut neun Monaten nichts getan. Die mangelnde Aktivität konnte einem die Laune verderben, dachte sie jedes Mal, wenn sie sah, dass die Stelle noch genauso aussah wie beim letzten Mal.
Bei Laughil bog sie ab; die Straße war dunkel wegen der überhängenden Bäume. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie auf dieser Strecke zuletzt einem anderen Auto begegnet war. Sie versuchte es gar nicht erst. Es spielte auch keine Rolle.
Die beiden Männer fuhren davon, froh, Arbeit gefunden zu haben, und unterhielten sich über den Mann, der ihnen, als sie anklopften, zugerufen hatte, sie sollten eintreten. Die ganze Zeit über war er in seinem Sessel am Herdfeuer sitzen geblieben, und als man sich auf den Lohn geeinigt hatte, hatte er gesagt: Geht in die Spülküche und holt den Whiskey. Als sie nicht gleich verstanden, hatte er ungeduldig gestikuliert, die Faust an den Mund gehoben, den Kopf zurückgeworfen und die Faust dabei mitgeführt, bis sie begriffen, was er meinte.
Danach war er fröhlich; und sie bemerkten die Gläser auf der Anrichte und sahen ihm zu, wie er sie auf den Tisch stellte. Einen Moment lang waren sie unsicher, dann schraubte einer von ihnen den Verschluss der Flasche ab.
»Von Polen haben wir gehört«, sagte er. »Ein katholisches Volk. Trinken wir auf die Arbeit?«
Als er ihnen sein Glas hinhielt, schenkten sie ihm noch einen Whiskey ein. Auch sie tranken noch einen, bevor sie gingen.
»Wer war hier?«
Während sie sprach, stellte Martina die Einkaufstaschen auf den Tisch. Dort stand die Whiskey-Flasche, außerhalb seiner Reichweite, daneben zwei leere Gläser; sein eigenes, gleichfalls leer, hielt er in der Hand. Er streckte ihr das Glas entgegen, so bat er sie, ihm nachzuschenken. Jetzt würde er nicht mehr aufhören, dachte sie; er würde weitertrinken, bis die Flasche leer wäre, und sie dann fragen, ob sie noch eine volle hätten, und sie würde verneinen, obwohl sie durchaus noch eine hatten.
»Ein blauer Lieferwagen«, sagte sie und goss ihm ein, weil es keinen Sinn hatte, sich zu weigern.
»Weiß ich doch nicht, welche Farbe er hatte«, erwiderte er.
»Auf dem Feldweg war ein blauer Lieferwagen.«
»Hast du alles bekommen?«
»Ja.«
Er habe Besuch gehabt, sagte er, als ob er das Thema wechselte. »Brave Jungs, Martina.«
»Wer?«, fragte sie wieder.
Er wollte die Einkaufsliste zurückhaben und die Quittung. Mit seinem Bleistiftstummel, den er eigens zu diesem Zweck besaß, strich er die Artikel durch, die sie aus den Einkaufstaschen nahm. Früher, als Costigan noch munterer gewesen war, hatte sie diesen Moment der Täuschung genossen, hatte das genau abgezählte Wechselgeld auf den Tisch gelegt und das, was sie eingespart hatte, in ihrer Kleidung verborgen, bis sie nach oben gehen konnte, zu der Gold-Flake-Dose.
»Polnische Burschen«, sagte er. »Sie werden das Haus streichen.« Zwei Anstriche, fügte er hinzu, es werde vierzehn Tage dauern.
»Bist du wahnsinnig geworden?«
»Brave katholische Jungs. Wir haben darauf getrunken.«
Sie fragte, wo das Geld herkommen solle, und er fragte zurück, von welchem Geld sie spreche. Das war so seine Art, und ihre Art war es, ausnahmslos jede Geldquelle in Frage zu stellen: War das Thema erst einmal angeschnitten, blieb es meist dabei.
»Wie viel haben sie dir abgeknöpft?«, fragte sie.
Mit gespielter Geduld erklärte er ihr, er sei nur für das Material aufgekommen. Wenn die Arbeit zufriedenstellend ausfalle, werde er nach Erledigung des Auftrags zahlen, was er schuldig sei.
Martina kommentierte dies nicht. Ärgerlich zog sie eine der beiden Schubladen der Anrichte auf, fasste nach hinten und holte ein Bündel Euroscheine hervor, Fünfer und Zehner in getrennten Gummibändern, Zwanziger, Fünfziger, einen Hunderter. Sie wusste sofort, wie viel er gezahlt hatte. Sie wusste, dass er die Anstreicher aufgefordert haben musste, sich das Geld selbst zu nehmen, da er nicht hinlangen könne. Sie wusste, dass sie den dort verwahrten Betrag gesehen hatten.
»Wozu sollten sie ein Haus anstreichen, wenn sie nur hereinzukommen und sich zu bedienen brauchen?«
Er schüttelte den Kopf. Erneut sagte er, die Anstreicher seien anständige katholische Jungs. In einem noch immer Geduld heuchelnden Tonfall wiederholte er, die Arbeit werde binnen vierzehn Tagen erledigt sein. Im ganzen Land rede man über die Fertigkeiten, die polnische Jungs nach Irland brächten. Eine göttliche Fügung, sagte er. Sie werde ihre Anwesenheit nicht einmal bemerken.
Sie kauften die Farbe in Carragh, wo sie sich erkundigten, was das Beste für Hauswände sei. »Kalkfarbe«, sagte der Mann und zeigte auf das Wort auf einer Dose. »Bei Außenarbeiten nehmt ihr am besten Kalkfarbe.«
Sie verstanden. Sie erklärten, das Geld für Material hätten sie vorab bekommen, und zahlten die Summe, die er ihnen aufschrieb.
»Seid ihr Polen?«, fragte der Mann.
Ihre Geschichte war ungewöhnlich. Hineingeboren in eine Gemeinschaft staatenloser Überlebender in den Bergen Kärntens, wurden sie oft für Zigeuner gehalten. Ihre Muttersprache war ein Dialekt, der mit Wörtern aus einem Dutzend anderer Dialekte versetzt war. Sie erinnerten sich einer Kindheit, in der sie durch namenlose Orte zogen, ein Dasein in Zelten und stumme nächtliche Grenzüberquerungen, stets auf der Suche nach etwas Besserem. Ohne es je zu bedauern, hatten sie sich mit, wie sie vermuteten, dreizehn und vierzehn Jahren von ihrer Familie getrennt. Seither bestand ihr Leben darin, was aus ihnen geworden war: wissen, was man tut, wie man’s am besten anstellt, sich beschaffen, was beschafft werden muss, über die Runden kommen. Wo immer sie sich aufhielten, machten sie einen großen Bogen um das System. So nannten sie es zwar nicht, da sie das Wort nicht kannten; aber was es bedeutete, wussten sie und wussten, dass sie, wenn sie erst einmal in seine Fänge gerieten oder es auch nur zeitweise akzeptierten, ihrer Freiheit beraubt würden. Ihr unmittelbares Ziel war das nackte Überleben, in der Hoffnung, irgendwo könnte es ein Leben geben, das besser wäre als das, welches sie bisher gekannt hatten.
Auch Pinsel und Terpentinersatz kauften sie, weil der Mann gesagt hätte, dass sie das alles benötigten, und Spachtelmasse, weil ihnen gesagt worden war, dass sie sich um den Putz kümmern müssten. Sie hatten noch nie ein Haus gestrichen und wussten nicht, was Putz war.
Ihr Lieferwagen war verbeult, ein helles Blau, das in einem dunkleren Farbton leicht nachgebessert worden war, unversteuert und unversichert, obschon die üblichen Plaketten an der Windschutzscheibe klebten. In diesem Lieferwagen schliefen sie auch, zwischen Werkzeugen aller Art, die sie sich organisiert hatten, zwischen Bechern, Tellern, Spüle, Kasserolle, Bratpfanne, Lebensmitteln.
In dem Dialekt, der ihre Sprache war, fragte der ältere Bruder, ob sie genügend Sprit hätten, um zu den Ruinen zu fahren, wo sie sich gerade eine Behausung bauten. Der jüngere Bruder, der am Steuer saß, nickte, und sie fuhren hin.
In ihrem Schlafzimmer schloss Martina den Deckel der Gold-Flake-Dose und sicherte ihn mit einem Gummiband. Sie trat vom Schrankspiegel zurück und musterte sich kritisch. Sie