Plädoyer für eine realistische Erkenntnistheorie. Jürgen Daviter

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Название Plädoyer für eine realistische Erkenntnistheorie
Автор произведения Jürgen Daviter
Жанр Изобразительное искусство, фотография
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Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783347103290



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„alte“ Metaphysik. Sie sind notwendig‚ um wahre Erkenntnisse über die Welt vorgeben zu können‚ ohne mit der Welt in direkten Kontakt zu treten. Schon in der kritischen Würdigung der Erkenntnistheorie Descartes‘ - konkret im Zusammenhang mit seiner Begründung der Existenz Gottes - erwies sich diese Vorstellung als unhaltbar. Kirchmann nannte das „die Verwechselung des bloß vorgestellten Seins mit dem wirklichen“. Mit seinen eigenen Ausführungen zu der Beziehung zwischen Gedanken und Ideen einerseits und Eindrücken andererseits legt Hume die Grundlage für seine empiristische Erkenntnistheorie: Über das wirkliche Sein können wir nur auf der Grundlage von Eindrücken‚ Empfinden und Wahrnehmen etwas erfahren. Gedanken und Ideen müssen wie durch eine nährende Nabelschnur über die Wahrnehmungen mit der wirklichen Welt verbunden sein‚ wenn sie Realitätsgehalt sollen haben können. Wo es um Welterkenntnis geht‚ hat sich Kant etwas später auf dieselbe Weise gegen erfahrungsunabhängiges Denken gewandt‚ mit dem Diktum Gedanken ohne Inhalt sind leer.60

       4. Zweifel an der Erkennbarkeit der Kausalität:

       Der Kern von Humes Erkenntnistheorie

      Den Abschnitt III („Über die Assoziation der Ideen“) nennt Streminger in seiner Kommentarschrift zur Enquiry „ein bis zur Unkenntlichkeit geschrumpftes Überbleibsel eines früheren großen Entwurfs“‚ nämlich einer „hochinteressanten Relationentheorie“ aus dem Treatise.61 Hume kommt an der zitierten Stelle mit der Einschätzung zu Wort‚ seine Ausführungen zu den Gesetzmäßigkeiten der Vorstellungsassoziation müssten leicht einsehen lassen‚ „wie weitreichende Folgen die Entdeckung dieser Gesetzmäßigkeiten für die Wissenschaft von der menschlichen Natur haben muß‚ wenn man bedenkt‚ daß sie allein es sind‚ die in unserem Geist die Teile des Universums zu einem Bilde zusammenfügen … ; sie sind für uns der wirkliche Zement des Universums“.

      Hume macht mit seinen Überlegungen zu der Assoziation der Ideen einen wichtigen Zwischenschritt hin zu der alles entscheidenden Frage: Können wir unsere Wahrnehmungen kausal begründen und dadurch zu Erfahrungen machen‚ die über jeden Zweifel erhaben sind? Die Grundidee dieses Zwischenschritts lässt sich in zwei Sätzen darlegen. „Es gibt offenbar ein Prinzip der Verknüpfung verschiedener Gedanken oder Ideen des Geistes‚ und wenn sie im Gedächtnis oder in der Einbildung erscheinen‚ führt eine die andere in gewissem Grade methodisch und regelmäßig ein.“ (EHU‚ S. 53) Und: „Mir scheint es nur drei Prinzipien der Ideenassoziation zu geben‚ nämlich Ähnlichkeit‚ Berührung in Raum und Zeit sowie Ursache oder62 Wirkung.“ (EHU‚ S. 55.) Hume hält die Beziehung von Ursache und Wirkung für „die aufschlussreichste‚ denn nur durch dieses Wissen sind wir in der Lage‚ Ereignisse zu beherrschen und die Zukunft zu bestimmen“ (EHU‚ S. 61).

      Die darauf folgenden erkenntnistheoretischen Ausführungen beschäftigen sich schließlich mit der genannten alles entscheidenden Frage‚ ob die kausalen Assoziationen mehr sein können als „für uns der wirkliche Zement des Universums“‚ mehr also‚ als dass wir ohne sie unser Leben auch nicht im mindesten beherrschen und gestalten könnten. Können wir vielmehr Kausalbeziehungen so sicher erkennen‚ dass sie allgemein gültige Naturgesetze beschreiben?63

      Für den Abschnitt IV deutet Hume mit dessen Überschrift bereits ‚Skeptische Zweifel an den Tätigkeiten des Verstandes“ an‚ denen er sehr bald eine seiner zentralen erkenntnistheoretischen Einsichten folgen lässt. „Alles Tatsachen betreffende Denken scheint auf der Beziehung von Ursache und Wirkung zu beruhen. Einzig mittels dieser Beziehung können wir über die Evidenz unseres Gedächtnisses und unserer Sinne hinausgehen.“ (EHU‚ S. 81.) „Wollen wir somit eine zufriedenstellende Erklärung für das Wesen jener Evidenz erhalten‚ die uns der Tatsachen versichert‚ dann haben wir zu untersuchen‚ wie wir zur Kenntnis von Ursache und Wirkung gelangen. Ich wage es‚ die Behauptung als allgemeingültig und keine Ausnahme duldend aufzustellen‚ dass die Kenntnis dieser Beziehung in keinem Fall durch Denkakte a priori gewonnen wird‚ sondern ausschließlich aus der Erfahrung stammt‚ wenn wir nämlich feststellen‚ dass bestimmte Gegenstände beständig zusammen auftreten.“ (EHU‚ S. 83.) Mit den Denkakten a priori verwirft Hume also die Möglichkeit‚ aus reinem Verstand heraus Kausalität zu erkennen.

      Das Beispiel einer Billardkugel‚ die beim Anstoß durch eine andere in Bewegung gesetzt wird‚ dient Hume als Beleg für diese grundsätzliche Behauptung. Er meint‚ bei so bekannten Phänomenen wie diesem würden wir uns leicht einbilden‚ die aus dem Anstoß entstehende Bewegung „bloß durch die Tätigkeit unserer Vernunft‚ ohne Erfahrung‚ entdecken“ zu können (EHU‚ S. 87). Doch Hume bleibt dabei: „Der Geist kann unmöglich jemals die Wirkung in der vermeintlichen Ursache finden …. Die Wirkung ist nämlich von der Ursache völlig verschieden und kann folglich niemals in ihr entdeckt werden. Die Bewegung der zweiten Billardkugel ist ein von der Bewegung der ersten völlig verschiedenes Ereignis; auch ist in der einen nichts vorhanden‚ was den geringsten Hinweis auf die andere gäbe.“ (EHU‚ S. 87 f..) Hume betont‚ dass auch andere Vorstellungen‚ z. B. dass die zweite Kugel nach dem Anstoß liegen bleibt oder gar die erste wieder zurückrollt‚ widerspruchsfrei denkbar seien. Wo die unterschiedlichsten Bewegungen denkbar seien‚ wäre es vollkommen willkürlich‚ a priori eine von ihnen zu bevorzugen. (EHU‚ S.89.) Allein aus dem erfahrungsunabhängigen Denken heraus können wir also die Wirkung nicht erkennen.

      So kommt Hume zu folgendem Zwischenergebnis: „Wenn man fragt: Was ist die Natur aller unserer Überlegungen‚ die sich mit Tatsachen befassen?‚ dann scheint die richtige Antwort zu sein‚ dass sie auf der Beziehung von Ursache und Wirkung beruhen. Fragt man wiederum: Welches ist die Grundlage all unserer Überlegungen und Schlussfolgerungen‚ die sich mit dieser Beziehung befassen?‚ so kann man mit einem Wort erwidern: Erfahrung.“ Daran anschließend stellt Hume aber fest: „Wenn wir aber … fragen: Welches ist die Grundlage aller Schlüsse aus der Erfahrung?‚ so ist darin eine neue Frage enthalten‚ deren Lösung und Erklärung schwieriger sein dürfte.“ (EHU‚ S. 95.) Was immer wir über den tatsächlichen Zusammenhang von Ursache und Wirkung zu wissen glauben‚ so hatte Hume festgestellt‚ können wir nur aus Erfahrung wissen. Nun will er also klären‚ ob wir denn überhaupt dieser allein möglichen Basis alles unseren Tatsachenwissens vertrauen können.

      Hume demonstriert dieses Problem am Beispiel des Brotes: Wir haben es gegessen‚ und es hat uns ernährt. Wenn wir es erneut essen‚ erwarten wir „mit Gewissheit gleiche Ernährung und Stärkung. Das ist ein Vorgang im Geist oder im Denken‚ von dem ich gern den Grund wissen möchte… Hinsichtlich der früheren Erfahrung kann eingeräumt werden‚ dass sie direkte und sichere Informationen nur über solche bestimmten Objekte und jene bestimmte Zeitspanne geben kann‚ von denen sie Kenntnis hatte. Weshalb diese Erfahrung jedoch auf die Zukunft und auf andere Objekte ausgedehnt werden sollte‚ die‚ soweit uns bekannt ist‚ nur dem Anschein nach gleichartig sein mögen: dies ist die Hauptfrage‚ auf der ich beharren möchte.“ (EHU‚ S. 99.) „Die folgenden beiden Sätze sind weit davon entfernt‚ dasselbe zu besagen: Ich habe festgestellt‚ dass ein solcher Gegenstand stets von einer solchen Wirkung begleitet wurde‚ und‚ Ich sehe voraus‚ dass andere Gegenstände‚ die dem Aussehen nach gleichartig sind‚ von gleichartigen Wirkungen begleitet sein werden. Ich werde bereitwillig zugeben‚ dass der eine Satz aus dem anderen zu Recht abgeleitet werden kann‚ ja‚ ich weiß in der Tat‚ dass er stets so abgeleitet wird. Behauptet man aber‚ dass diese Ableitung durch eine Kette von Schlussfolgerungen erfolge‚ so wünsche ich‚ dass man mir diese Schlussfolgerungen vorführt…. Es bedarf eines Mittelbegriffs‚ der den Geist in die Lage versetzt‚ eine solche Ableitung durchzuführen‚ wenn sie tatsächlich durch Denken und Begründen durchgeführt werden sollte. Was dieser Mittelbegriff ist‚ übersteigt … meine Einsicht‚ und seine Existenz nachzuweisen obliegt jenen‚ die behaupten‚ es gebe ihn wirklich….“ (EHU‚ S. 99f.; zur Erläuterung des „Mittelbegriffs“ s. die bald folgenden kommentierenden Bemerkungen unter 2..)

      In diesem Zusammenhang verweist Hume auf die übliche Unterscheidung in zwei Arten von Denken: „demonstratives oder solches‚ das Beziehungen zwischen Ideen betrifft‚