Das Salz der Friesen. Andreas Scheepker

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Название Das Salz der Friesen
Автор произведения Andreas Scheepker
Жанр Исторические детективы
Серия
Издательство Исторические детективы
Год выпуска 0
isbn 9783839264768



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geleert hatte. »Da wird ihr Mann am helllichten Tag ermordet, und sie sitzt ungerührt da und macht ihre Bestandsaufnahme. Und auf keine Frage hat sie eine Antwort.«

      »Nicht so laut«, raunte Lübbert Rimberti seinem Freund zu und sah sich in der Gaststube um. Aber niemand schien Interesse daran zu haben, ihrem Gespräch zuzuhören.

      »Und doch trauert sie. Das habe ich deutlich gespürt. Vielleicht trauert sie um ihren Mann, aber ich habe das Gefühl, dass da noch eine andere Trauer ist. Und darüber will sie nicht reden.« Ulfert Fockena grinste. »Glaub mir! Ich verstehe etwas von Frauen.«

      Lübbert Rimberti deutete mit einer Kopfbewegung in den hinteren Teil der Gaststube. An einem der Tische im Halbdunkel saß Berend Sanders. Er sprach angeregt mit einem schwarzbärtigen Mann, der in dunkelgrünes Tuch gekleidet war. Der Mann schien Berend Sanders mit einem Anliegen zu bedrängen. Sanders hob mehrere Male abwehrend die Hände und erwiderte etwas. Dabei schüttelte er den Kopf.

      Schließlich stand der Mann auf und verließ den Schankraum. Rimberti sah, dass eine Narbe über seine Wange bis unter das Auge lief. Der schwarze Bart verbarg die Entstellung des Gesichts nur teilweise.

      »Wir sollten uns um den trauernden Bruder kümmern«, raunte Ulfert Fockena. »Ich übernehme das Trinken und du das Trauern.«

      »Dürfen wir Euch unser Beileid aussprechen?«, sagte Lübbert Rimberti, als er und Ulfert Fockena vor Berend Sanders standen.

      »Ich danke Euch«, sagte Sanders, sein Desinteresse kaum verbergend.

      »Dürfen wir Euch zu einem Trunk auf das Wohl Eures Bruders einladen?«, fragte Fockena.

      »Ich danke Euch«, antwortete Sanders sichtlich erfreut, und die Augen leuchteten wie seine rote Nase.

      »Es ist sicherlich nicht einfach für Euch«, sagte Rimberti, während er der Bedienung ein Zeichen gab.

      »Nein, gewiss nicht«, erwiderte Sanders und stieß laut hörbar auf. Eine Dunstwolke sauren Atems hüllte Rimberti ein, der sich gerade vorgebeugt hatte, um mit dem Mann ins Gespräch zu kommen.

      Die Schankmagd kam und wischte mit einem dreckigen Tuch über den Tisch. Dann brachte sie drei große Bierkrüge.

      »Auf unsere Lieben, die wir vermissen.« Ulfert Fockena hob den Krug und nickte Sanders zu.

      »Jau«, murmelte Sanders, der schon den Krug an den Mund gesetzt und mit dem Trinken begonnen hatte.

      »Ein schmerzlicher Verlust«, bemerkte Fockena, der einen großen Schluck genommen hatte. »Nun kommt eine große Verantwortung auf Euch zu.«

      Das Geräusch, das Sanders von sich gab, konnte als Zustimmung, aber auch als erneutes Aufstoßen gedeutet werden.

      Lübbert Rimberti betrachtete Berend Sanders. Sein Gesicht war nicht nur aufgedunsen von übermäßigem Essen und Trinken. In seine Züge war die Bitterkeit tief eingegraben, der Gram eines Mannes, der immer im Schatten des Bruders leben musste, und der daran gewöhnt war, im Hintergrund zu stehen und sich mit dem zu begnügen, was übrig blieb.

      Lübbert Rimberti wusste plötzlich, wie er mit Sanders ins Gespräch kommen konnte. Während Fockena der Wirtin erklärte, was sie nun zu bringen hatte, begann er: »Der Mord an Eurem Bruder kommt für Euch nicht ganz unerwartet. Habe ich recht? Ihr habt geahnt, dass es einmal so enden würde.«

      Berend Sanders glotzte ihn an.

      »Hätte Euer Bruder öfter auf Euch gehört, wäre es vielleicht nicht so weit gekommen«, sagte Rimberti.

      »Was wisst Ihr?«, fragte Sanders lauernd.

      In diesem Moment stellte die Wirtin einen großen Teller mit Brot und kaltem Braten auf den Tisch, und die Magd brachte drei Zinnbecher und eine Kanne mit dunkelrotem Wein. Fockena schenkte Sanders und sich ein und erhob den Becher. Sanders trank seinen in einem Zug fast leer und schenkte sich selbst nach.

      »Ich weiß, was ich sehe«, antwortete Rimberti und nahm einen kleinen Schluck aus seinem Bierkrug. »Ich sehe vor mir einen Mann in den besten Jahren, der bisher nur wenig Gelegenheit hatte, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Nun kommen große Aufgaben auf Euch zu: die Verantwortung für das Geschäft, die Sorge um Eure Schwägerin. Ihr seid nicht zu beneiden. Das alles ruht jetzt auf Euren Schultern. Doch Eure Schultern sind stark genug. Ein Mann ohne Eure Erfahrung wäre dem sicher nicht gewachsen. Aber Ihr werdet es schaffen.«

      Staunend hatte Berend Sanders zugehört. Den Becher, den er erneut zum Trinken erhoben hatte, stellte er zurück auf den Tisch. »Jakob konnte den Hals nicht voll genug kriegen. Das war schon immer so.«

      Nun kam das, was Rimberti und Fockena erwartet und erwünscht hatten. Berend Sanders erzählte seine Geschichte, die Geschichte des zu kurz gekommenen älteren Bruders, der nicht so begabt, nicht so durchsetzungsfähig, nicht so gut aussehend, nicht so rücksichtslos, nicht so verschlagen war wie der jüngere Bruder, auf den immer die Augen der Eltern gerichtet gewesen waren.

      Natürlich hatte Jakob die bessere Ausbildung in auswärtigen Kontoren in Hamburg, London und Antwerpen genossen, während Berend zu Hause lediglich Schreibarbeiten und Botengänge verrichtet hatte. Natürlich war Jakob bei seiner Rückkehr vom Vater in die Leitung des Handelshauses aufgenommen und bei Verhandlungen und Vertragsabschlüssen beteiligt worden, und Berend war nur mit Aufgaben betraut worden, die wenig Verantwortung und Eigeninitiative erforderten. Berend musste die wenig versprechende Tochter eines entfernten Verwandten heiraten, die unter die Haube gebracht werden sollte. Jakob heiratete die reiche und selbstbewusste Rinelde, deren Vater mehrere Schiffe besaß.

      Als die Wirtin die zweite Kanne mit schwerem süßem Wein brachte, hatten Rimberti und Fockena genug gehört.

      »Salz.«

      »Salz?«, fragte Sanders erstaunt zurück und sah Lübbert Rimberti an, während Ulfert Fockena ihm und sich selbst nachschenkte.

      »Salz«, wiederholte Rimberti. »Auf Euren toten Bruder hat jemand Salz geschüttet. Habt Ihr dafür eine Erklärung?«

      Berend Sanders zuckte mit den Achseln. Nun, da es nicht mehr um ihn ging, sondern um seinen Bruder, verfiel er wieder in Lethargie. »Vielleicht hat der Einbrecher bei seiner Flucht ein Salzfass umgestoßen, was weiß ich«, murmelte er beiläufig.

      »Euer Bruder hat mit Salz gehandelt?«, fragte Rimberti.

      »Friesensalz«, antwortete Sanders. »Wir haben eine Salzbude in Westermarsch, aber das meiste kommt von Bant. Dort haben wir zwei Salzbuden gepachtet. Ich muss hin und wieder auf die Insel fahren, um nach dem Rechten zu sehen. Ein Wunder, dass mein kleiner Bruder mir so viel Verantwortung zugetraut hat.« Wieder war die Bitterkeit in seiner Stimme. Er stopfte sich ein Stück Bratenfleisch in den Mund und spülte es mit Rotwein hinunter. »Aber mein Herr Bruder hatte so seine kleinen Geheimnisse.«

      Erwartungsvoll sahen Rimberti und Fockena ihn an. Sanders lehnte sich behaglich zurück und trank den Becher leer. Rimberti schenkte ihm nach. Er konnte warten. Er wusste, dass Berend Sanders das Interesse an seiner Person genoss. Der Mann würde ihnen ein paar Informationen liefern müssen, um diese Aufmerksamkeit zu erhalten.

      »Manchmal trafen spät abends Männer ein. Und wenn ich im Kontor war, ließ er sie warten, bis ich weg war. Ich habe nie etwas von dem mitbekommen, was sie besprochen haben. Manchmal brachte ein Bote einen Brief. Der Bote gab ihn nicht etwa mir. Bestand immer darauf, den Brief nur meinem Bruder persönlich aushändigen zu dürfen. Man kann sich ja denken …« Mit verschwörerischem Blick nahm Sanders den Weinbecher und trank.

      »Ja?«, fragte Fockena.

      Berend Sanders stutzte einen Moment. Vermutlich hatte er keine Ahnung, worum es in diesen Angelegenheiten gegangen war. Er druckste ein wenig. »Für Rinelde war das auch nicht immer einfach. Wenn ich da nicht hin und wieder mit Rat und Tat …« Geräuschvoll stieß Sanders auf. Er schien das Befremden auf Fockenas und Rimbertis Gesichtern zu genießen.

      »Was denkt Ihr, wie das ohne mich gegangen wäre?«, setzte er wichtigtuerisch fort. »Neulich war mein Herr Bruder über ein halbes Jahr fort. Und niemand