Tochter der Inquisition. Peter Orontes

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Название Tochter der Inquisition
Автор произведения Peter Orontes
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783839250686



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traten Falk und Christine an ihm vorbei ins Freie, während sich die Tür hinter ihnen mit einem lauten Knall wieder schloss

      »Ein seltsamer Heiliger. Benimmt sich, als hättest du mit deiner Frage ein Sakrileg begangen, und macht sich vor Angst in die Bruche«, bemerkte Christine trocken, während sie über den morastigen Hof zu dem Unterstand hinübergingen, in dem die Pferde auf sie warteten.

      »Ja, die Frage ist nur: Warum?«, ergänzte Falk nachdenklich.

      Sie banden die Tiere von den Pflöcken und schwangen sich in den Sattel.

      Als habe der letzte Donnerschlag dem Himmel befohlen, seine Schleusen zu schließen, hatte es schlagartig zu regnen aufgehört.

      Durch einen vor Nässe triefenden Spätnachmittag traten sie den Heimritt nach Steyr an.

      »Na endlich«, murmelte Jos erleichtert und sah den beiden aus dem winzigen Fenster nach. Um sicherzugehen, dass sie nicht doch noch zurückkehrten, wartete er, bis sie den Abhang hinuntergeritten und hinter einer Wegbiegung verschwunden waren. Dann ging er zum Regal, hob einen der umgestülpten Töpfe, die sich darauf befanden, in die Höhe und griff sich den Schlüssel, der sich darunter verbarg. So schnell er es vermochte, schlurfte er den dunklen Gang entlang und zum Hinterausgang auf den Hof hinaus. Gleich gegenüber lag ein Gebäude, das im Gegensatz zu den anderen gänzlich aus Holz errichtet worden war und auf den ersten Blick wie ein einfacher Schuppen aussah.

      Jos hastete auf die Tür zu und stieß ungeduldig den Schlüssel ins Schloss. Knarzend glitt die Tür nach innen und gab den Blick in einen von diffusem Halbdunkel erfüllten Raum frei, in dem es nach Holz und Hobelspänen roch. Licht erhielt der Raum nur durch zwei kleine Fenster auf der Nordseite. Jos trat ein und schloss die Tür hinter sich. Hastig bewegte er sich zwischen unzähligen geschnitzten Holzfiguren hindurch, die gespenstische Schatten auf den gestampften Lehmfußboden warfen – eine geisterhaft anmutende Versammlung von Vögeln, Tieren und sogar menschlichen Gestalten, die trotz ihrer Starre auf seltsame Weise zu leben schienen und zugleich unheimlich und anrührend wirkten, ganz so, als ob sie darauf warteten, ihre hölzernen Leiber gegen solche aus Fleisch und Blut eintauschen zu können.

      An einer Werkbank und an einem Haufen Hobelspäne vorbei schlurfte Jos zu einem Verschlag, der mit einer Tür verschlossen war, und klopfte dagegen.

      »Hab keine Sorge. Du kannst rauskommen, sie sind weg. Ich werde uns jetzt was zu essen machen«, rief er mit verhaltener Stimme.

      Hinter dem Verschlag rumorte es. Dann ging die Tür auf und heraus trat ein Hüne von Mann, der Jos um fast zwei Haupteslängen überragte.

      »Ich danke dir, mein Freund«, sagte er und lächelte.

      In seinem mit Kohle geschwärzten Gesicht leuchteten ein Paar weiße Augäpfel und eine Reihe makellos weißer Zähne.

      Wo war Sofia?

      Während des ganzen Rittes zurück nach Steyr hatten Christine und Falk die Frage erörtert und nach möglichen Ant­worten gesucht. Vergeblich. Auch jetzt, am Abend, während sie mit Wernher in der Gästehalle des Haupthauses am Kamin vor einem mächtigen Feuer saßen, beschäftigte sie das Problem. Allerdings nur in Gedanken, denn nach gründlicher Über­legung waren sie übereingekommen, dem Ternberger nichts über ihren Besuch auf dem Seimerhof, geschweige denn über den rätselhaften Verbleib seiner Stieftochter zu sagen. Wernher wähnte sie nach wie vor bei den Seimers; offensichtlich hatte er immer noch nicht die leiseste Ahnung, dass sie ihn an der Nase herumführte. Es war vorerst der letzte Abend, den sie miteinander verbringen sollten; bereits morgen würde der Magistrat seine schon lange geplante Reise nach Wien antreten.

      »Ihr werdet Sofia vor Eurem Aufbruch also nicht mehr sehen?«, fragte Christine.

      »Nein, wie ich schon sagte, sie wird erst in einigen Tagen zurückkehren«, entgegnete Wernher und nippte an dem heißen Würzwein, den er hatte kredenzen lassen. »Dann wird sie sich gebührend um Euch kümmern«, fügte er lächelnd hinzu.

      »Wie Ihr uns versichert habt, ahnte Klara offenbar eine drohende Gefahr. Glaubt Ihr, dass auch Sofia davon etwas mitbekommen hat?«

      Die Stirn des Ternbergers umwölkte sich. Er schüttelte den Kopf.

      »Nein. Selbstverständlich unterhielten wir uns wiederholt darüber, wer sie wohl umgebracht haben könnte und warum. Dabei versicherte mir Sofia, dass sie sehr wohl gemerkt habe, dass ihre Mutter in den letzten Wochen nachdenklich und in sich gekehrt wirkte. Sie sprach mit ihr auch darüber, bekam von ihr jedoch dieselbe Antwort wie ich: Es sei das Heimweh und so weiter. Dabei ließ sie es bewenden. Als ich ihr dann das mit der Todesahnung erzählte, wirkte sie völlig verblüfft, konnte sich das Ganze aber ebenso wenig erklären wie ich. Allerdings scheint sie seitdem der fixen Idee verfallen zu sein, selbst nach dem Mörder ihrer Mutter suchen zu müssen. Immer wieder durchstöbert sie sämtliche Winkel und Ecken, inspiziert Truhen und Schränke, in der Hoffnung, irgendeinen Hinweis zu finden.«

      »Wahrscheinlich, ohne bisher fündig geworden zu sein, nehme ich an.«

      »Natürlich. Was dies angeht, habe ich selbst schon alles Erdenkliche getan, wie Sofia weiß. Aber sie ist einfach nicht davon abzubringen. Also lasse ich sie einfach gewähren.«

      Christine nickte gedankenvoll. War das die Erklärung für Sofias rätselhaftes Verhalten?

      »Verzeiht, wenn ich noch einmal danach frage, Wernher«, schaltete sich Falk ein. »Aber während unserer ersten Unterhaltung habt Ihr uns von jenem unglücklichen Streit erzählt, den Ihr mit Klara hattet, bevor Ihr nach Passau gereist seid. Wenn ich mich recht erinnere, war sie fünf Tage später bei Eurer Rückkehr – einen Tag, bevor man sie tot auffand – nicht da. Sie war am Morgen aufgebrochen und wollte abends wieder zurück sein. Wisst Ihr denn, wo sie sich zu diesem Zeitpunkt aufge­halten hat?«

      »Nein. Sie hat niemandem gesagt, wohin sie reitet. Auch Sofia nicht. Hätte ich’s gewusst, wäre ich diesem Hinweis natürlich nachgegangen.«

      »Als man sie fand – gab es da irgendwelche Anzeichen eines Kampfes? Hat sie sich gegen ihren Mörder gewehrt?«

      »Der Stadtrichter, der die Leiche noch am Fundort untersucht hat, behauptet: nein. Sie dürfte … schnell gestorben sein.«

      »Gab es irgendwelche anderen Hinweise? Etwa an der Kleidung oder an ihrem Körper?«

      »Nein. – Das heißt, doch. Da gab es zwei Dinge, die etwas ungewöhnlich waren, aber darin entscheidende Hinweise sehen zu wollen, wäre wohl zu weit gegriffen.«

      »Ach – und was war das?«

      »Ihr Kleid. Vom rechten unteren Ärmel war ein Stück abgerissen. Außerdem … krabbelten unzählige Amei­sen darauf herum. Später stellte sich heraus, dass der Ärmel voller Honig war. Wahr­scheinlich ein kleines Missgeschick beim Essen.«

      Honig! Falks Blick zuckte zu Christine hinüber. Peter Seimer. Der begnadete Holzschnitzer und allseits gelobte Bauer. Peter Seimer, der regelmäßig nach Ternberg fuhr, um Most und Honig dorthin zu liefern …

      »Klara mochte Honig?«

      »Aber ja doch, sie aß ihn gern zum Frühmahl.«

      »Ihr sagtet, sie habe sich den Ärmel offenbar beim Frühmahl verschmutzt, bevor sie aufbrach, um …«

      »Nein, nein, das habt Ihr falsch verstanden«, unterbrach der Ternberger. »Ich wollte damit lediglich ausdrücken, dass sie sich irgendwo beim Essen verschmutzt hat, wo, vermag ich Euch nicht zu sagen.«

      »Also nicht hier im Haus?«

      »Nein. Wäre es zu Hause geschehen, hätte Klara das Kleid natürlich sofort gewechselt. Außerdem erinnere ich mich, dass wir in jener Woche keinen Honig im Haus hatten. Das heißt, sie muss sich den Ärmel woanders beschmutzt haben.«

      »Und Ihr habt nicht die leiseste Ahnung, wo?«

      »Nein.«

      »Könnte sie nicht auf dem Seimerhof gewesen sein?«

      Wernher schüttelte den Kopf. »Dort habe ich