Begraben in Wuppertal. Jürgen Kasten

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Название Begraben in Wuppertal
Автор произведения Jürgen Kasten
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839265987



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habe keinen eigenen Gott«, knurrte er vor sich hin. »Wenn ich aber mal irgendeinem begegnen sollte, würde ich ihn fragen, ob es ihm eigentlich Spaß macht, die Welt in den Abgrund zu stürzen.«

      Die Vorstellung einer solchen Begegnung ließ ihn schmunzeln. Er beschloss, den heutigen Tag locker angehen zu lassen und ausnahmsweise nicht mit seiner Umwelt zu hadern.

      Beschwingt betrat er sein Büro im zweiten Stock des Präsidiums und fand seine Mannschaft vollständig versammelt vor. Als Chef des KK 11 besaß er natürlich das größte Zimmer, das gleichzeitig als Besprechungsraum diente.

      Alle hatten sich zwischenzeitlich mit Kaffee versorgt. Dass Fiebig als Letzter kam, war ungewöhnlich. Die Gespräche verstummten. Elke schob ihm den Stapel neuer Vorgänge zu, die in der Nacht angefallen waren und die von der Kriminalwache im ersten Angriff bearbeitet worden waren. Ein anderer füllte Fiebigs Kaffeetasse auf. Alle warteten auf eine Erklärung für sein Zuspätkommen.

      Fiebig grinste nur. Ohne sich zuvor die neuen Anzeigen anzuschauen, schmiss er sie quer über den Tisch einem nach dem anderen zu. »An die Arbeit«, verkündete er und klatschte dabei in die Hände.

      Verwundert verließen die Kollegen sein Büro.

      Elke blieb sitzen.

      »Was ist los?«, fragte sie. So guter Laune erlebte sie ihren Chef selten. Sein Verhalten hatte fast etwas Kindliches.

      »Es muss sich etwas ändern«, erklärte Fiebig.

      »Ach ja? Dass du hier nicht mehr Chef sein willst, oder was?«

      »Nein, ganz allgemein. Ich muss meine Mitte wiederfinden.«

      Elke Fassbender war die Einzige im Kommissariat, mit der Fiebig überhaupt Privates besprach. Er hatte sie als seine Stellvertreterin auserkoren. Offiziell war die Stelle vakant. Sie musste noch ausgeschrieben werden und dann erst konnte Elke sich bewerben. Beide hofften natürlich, dass sie auch den Zuschlag bekäme.

      »War was Wichtiges bei den Eingängen dabei?«, wechselte er das Thema. Natürlich wusste er, dass Elke alles gesichtet hatte. Wenn er etwas hätte wissen sollen, hätte sie es gesagt.

      Sie schüttelte nur den Kopf.

      »Gut«, sagte Fiebig, »dann übergebe ich dir die Amtsgeschäfte für ein oder zwei Stunden. Ich muss zu einer Verabredung.«

      Kapitel 4

      Zweimal kurvte Fiebig durch das Einbahnstraßengewirr des Luisenviertels, bis er endlich einen Parkplatz gefunden hatte. In ein Halteverbot wollte er sich nicht mehr stellen, schon gar nicht mit dem Dienstwagen, mit dem er nun unterwegs war. Seit er lautstark mit einer Politesse aneinandergeraten war, waren die städtischen Ordnungshüter nicht gut auf ihn zu sprechen. Fiebig hatte behauptet, er befände sich in einem dringenden Einsatz, was die Dame nicht geglaubt hatte. Sie ließ das überprüfen und Fiebig stand danach als Lügner da. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, nachzutreten und sich beim Leiter des Ordnungsamtes über die Politesse zu beschweren.

      Dass er mit seinen verbalen Attacken die Anzahl der Menschen, die ihm wohlgesonnen waren, noch mehr reduzierte, war ihm egal.

      »Irgendwann werden dich alle hassen«, hatte Lars ihm prophezeit und Fiebig hatte das nur mit einem »na und« kommentiert.

      Es schien ihm wirklich egal zu sein. Ihm genügte sein Team im Kommissariat, das zu ihm stand, obwohl er es mit harter Hand führte. Er war kompromisslos, unhöflich und rechthaberisch. Er hatte so gut wie keine Freunde. Umso erstaunlicher, dass er sich mit dem Journalisten Lars Lombardi verstand, der doch ein halbes Leben jünger war als er selbst und überdies einer Zunft angehörte, die Fiebig als seine natürlichen Feinde betrachtete. Lombardi war das genaue Gegenteil seines väterlichen Freundes. Gut aussehend, stets freundlich, kommunikativ, mit einer positiven Lebenseinstellung. Machte sich jemand über die Konstellation der beiden Männer lustig, quittierte Fiebig das meist mit einem verschämten Grinsen. Er konnte selbst nicht sagen, was ihn an diesem Jungen faszinierte. Wahrscheinlich war es dessen unbekümmerte Jugendlichkeit, die Fiebig völlig abging.

      Laura Conte, Staatsanwältin und Lars’ Freundin, hatte die beiden zusammengebracht. In der Pizzeria ihrer Eltern in Cronenberg hatten sie gesessen, Fiebig hatte mal wieder zu tief ins Glas geschaut und im Rausch des Alkohols Lars das Du angeboten. Seitdem bestand diese seltsame Freundschaft, die Fiebig nicht so nennen wollte.

      Es war fast Ende April, sagte der Kalender. Die Temperaturen taten aber so, als ob es bereits Sommer wäre. Lang und heiß würde er werden. Und das kommende Geschehen verdiente die gleichen Attribute. Davon ahnte allerdings noch niemand etwas.

      Auf dem Laurentiusplatz dominierte die große Kirche mit ihren zwei Türmen, deren ockerfarbene Fassade im Sonnenlicht erstrahlte. Alle Restaurants rund um den Platz hatten bereits ihre Außengastronomie eröffnet. Lars saß unter einem Sonnenschirm neben dem Glascafé und flirtete mit der Bedienung. Fiebig klopfte ihm zur Begrüßung auf die Schulter und bestellte sich ein Frühstück. Kaffee, Rührei und ein Käsebaguette. »Aber ohne Gedöns«, fügte er an.

      »Ohne Salat, Gurke und Tomate, nur Butter und Käse«, übersetzte Lars.

      Zu welcher Jahreszeit auch immer, Lars trug stets das gleiche Outfit: Jeans, schwarzes T-Shirt, schwarze, kurze Lederjacke. Die hing jetzt über der Stuhllehne. Groß, schlank, sportliche Figur, einen sympathischen Gesichtsausdruck, seine langen schwarzen Haare, die er zu einem Zopf gebunden hatte – das war es, was ihn so anziehend wirken ließ.

      »Läuft es nicht mehr so gut mit Laura?«, fragte Fiebig und zeigte auf die abziehende Bedienung. Sein Blick verfolgte ihren wiegenden Gang. Ein wehmütiger Zug umspielte seine Lippen. Kurz schüttelte er den Kopf, als wollte er seinem Gehirn verbieten, die aufkommenden Gedanken weiterzuspinnen, dann wandte er sich wieder Lars zu.

      »Unser Verhältnis ist gerade etwas unterkühlt.« Er grinste schief. Glücklich sah das nicht aus. Bewusst flapsig sprach er weiter: »Fiebig, alter Mann, setz dich. Du bist so frühlingshaft gekleidet. Ist was passiert?«

      Den alten Mann nahm Fiebig gelassen hin. Die Anrede nur mit seinem Nachnamen genauso. Das war normal. Schon als Jugendlicher hatte er beschlossen, nicht mehr Franz Fiebig zu heißen, sondern nur noch Fiebig. Franz erschien ihm zu altbacken. Überdies hatten ihn seine Eltern nach seinem Großvater benannt, den er gar nicht mehr erlebt hatte. Menschen, die ihn weniger gut kannten, nannten ihn Herr Fiebig. Und wurde er irgendwo vorgestellt, etwa, wenn er vor fremden Kollegen ein Referat hielt, dann führte man ihn als »Erster Kriminalhauptkommissar Fiebig« ein, kurz EKHK Fiebig.

      »Es muss sich etwas ändern«, beantwortete er Lars’ Frage.

      »Das ist doch seit Langem meine Rede. Du solltest Sport treiben, deinen Bauch abtrainieren, dein miesepetriges Gesicht mit etwas Kosmetik auffrischen und dir vielleicht einen Dreitagebart zulegen. Würde gut zu deiner Glatze kontrastieren. Und deine Schuhe. Die gehen gar nicht.«

      Fiebig schaute konsterniert auf seine ausgelatschten schwarzen Treter hinunter.

      »Was stimmt damit nicht?«

      »Das sind Altherrenschuhe. Zu der Kleidung«, er zeigte auf Fiebigs lässiges Jackett, »solltest du Sneaker anziehen. Blaue oder rote. Meinetwegen auch welche in Beige«, fügte er an, als Fiebig skeptisch schaute.

      Der starrte Lars ins Gesicht. Schnell nahm der seine Sonnenbrille ab und legte sie auf den Tisch. Er hatte vergessen, dass Fiebig es gar nicht mochte, wenn jemand seine Augen vor ihm verbarg.

      Jetzt war es Fiebig, der grinste. Heute Morgen war er wirklich gut drauf.

      »Was machen deine Geschichten?«, fragte er leutselig. »Bist du immer noch an dem Schatzsucher dran?«

      »Bis gestern dachte ich noch, die Geschichte sei nun ausgelutscht«, begann Lars vorsichtig. »Tagelang habe ich Kotthausen auf seiner Suche begleitet. Wir waren in fast allen Höhlen und Bunkern der Stadt, die ihm zugänglich gemacht wurden. Gefunden haben wir nichts.«

      »Das war doch klar.« Fiebig wusste es natürlich schon vorher besser. »Wie kommt