Der Fluch des Bierzauberers. Günther Thömmes

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Название Der Fluch des Bierzauberers
Автор произведения Günther Thömmes
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783839235102



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er vorweisen, das bereits fast hundert Jahre alte ›Über Natur und Kräfte der Biere‹ von Johann Brettschneider, der sich selbst ›Placotomus‹ nannte. Zu guter Letzt zeigte er noch das ›Weinbuch‹ von 1580, geschrieben von dem Österreicher Johann Rasch.

      »Was soll ich mit einem Weinbuch?«, fuhr Knoll den Händler etwas schroffer an, als der es verdient hatte.

      Der Händler erwiderte gar nichts, sondern schlug lediglich das letzte Kapitel auf, und Knoll las vor: »›Wie man gut Bier machen und behalten soll.‹ Der Rasch wollte die Weinbauern tatsächlich das Bierbrauen lehren!« Knoll lachte.

      Flügel stimmte ein. »Schuster, bleib bei deinen Leisten«, setzte er warnend an einen imaginären Winzer hinzu. Kurz verhandelten beide über den Preis für alle Bücher, der anfangs horrend hoch war. Der Händler legte als letztes Zugeständnis ein Buch obendrauf. Das war, zu Knolls vollständiger Begeisterung, ›Der praktische Rathgeber für den Pierpreu in Noth- und Kriegszeiten‹ aus Leipzig.

      Die beiden Brauer zahlten anstandslos, dann machten sie sich ans Studium.

      10.

      Tagelang hockten sie in der Brauerei, die Köpfe in den Büchern vergraben. Sie diskutierten, machten Vorschläge und verwarfen viele ebenso schnell wieder.

      »Nachdem die Hopfengärten vernichtet sind, müssen wir uns andere Würzmittel suchen«, schlug Knoll gleich am Anfang vor.

      »Dann werden unsere Weiber aber kein Bier mehr trinken.«

      Knoll nickte verständnisvoll. Schließlich war Hopfen seit jeher als äußerst empfängnisfördernd betrachtet worden.

      »Hopfen macht die harte, verschlossene Mutter wieder weich«, zitierte Flügel ein gängiges Sprichwort.

      »Und Bier, das nicht gehopft ist, macht Winde und wird bald sauer«, fügte Knoll eine weitere Volksweisheit hinzu. »Obwohl das auf den Broyhan weniger zutrifft. Aber es scheint, als müssen wir alles an uns und unseren Weibern ausprobieren, bevor wir neues Bier unter die Leut’ bringen.«

      »Aber auch die Gerste als wichtigster Rohstoff sollte nicht in Stein gemeißelt sein«, war Flügel weiteren schmerzhaften Änderungen nicht abgeneigt.

      Als neue Rohstoffe, neben den Getreidesorten Hafer, Weizen, Emmer, Hirse und Roggen, erwogen sie auch die Verwendung von Runkelrüben, Apfel- und anderem Obstsaft sowie Honig. Sogar Bier aus Kohl wurde erörtert.

      »In Knaustens Buch ist die Herstellung eines Honigbiers genau beschrieben«, bewies Knoll seine Lateinkenntnisse.

      »Im Krieg ist der aber auch knapp und wertvoll.« Flügel kannte die wirtschaftlichen Verhältnisse in Bitburg besser.

      »Wir werden Bier brauen mit dem, was wir bekommen«, war Knoll aber nicht unterzukriegen.

      Flügel zeigte Knoll eine Pflanze, die dieser noch nie gesehen hatte. Länglich, dick wie ein Unterarm, voll mit speckigen, grünen Blättern. »Der Seefahrer Kolumbus hat diese Pflanze in Amerika entdeckt, die Spanier haben diese Frucht mit zu uns gebracht. Sie soll essbar sein, wir wissen aber nicht, wie.«

      Knoll schälte die Blätter ab und enthüllte einen gelben Kolben, vollbesetzt mit Körnerreihen. Er biss herzhaft hinein und verzog das Gesicht. »Sauer und schmeckt wie Gras.« Der Geschmack erinnerte ihn an die harten Zeiten unterwegs, als sie Gras essen mussten, um zu überleben.

      »Wie nennt man diese Frucht?«

      »Die Spanier nennen sie Mais, die Habsburger Kukuruz.«

      »Vielleicht kann das Vieh sich davon ernähren. Dann frisst es uns den Hafer nicht mehr weg.«

      Gewürze als Hopfenersatz zu beschaffen, das würde einfacher sein. In allen Büchern wurde beschrieben, wie in alten Zeiten, vor der Einführung des Hopfens, das Bier gewürzt worden war. Die Liste wurde länger und länger: Tannenzapfen, Holunder, Wermut, Fichtensprossen, Ingwer, Wacholder, Gurkensamen, Nelken, Pfeffer …

      Vieles wuchs einfach in den Wäldern und Wiesen um Bitburg. Manches war durch den Krieg unerschwinglich geworden, wie Pfeffer und andere Handelsgewürze. Besonders interessant war der Biberklee.

      Biberklee wuchs in den Flussauen von Kyll, Nims und Prüm, den drei Flüssen im näheren Umkreis Bitburgs. Die dreiteiligen Blätter und die Wurzeln, viel größer als die gewöhnlichen Klees, enthielten einen starken Bitterstoff – einen der stärksten in der Natur überhaupt, der seit langer Zeit zur Behandlung von Koliken und Blähungen, aber auch bei Erschlaffung der Organe und des Darms verwendet wurde. Auch zur Fiebersenkung, bei Ohrenfluss, Hautausschlägen, sogar bei Traurigkeit, Schluckauf, Bleichsucht, Gicht, Wassersucht und Hysterie wurde Biberklee seit jeher empfohlen.

      »Das wäre doch mal einen Versuch wert«, schlug Knoll vor. »Das macht uns vielleicht den Verlust unseres geliebten Hopfens mehr als wett.« So schickten sie ein paar Jungen auf die Suche, den Biberklee zu finden und zu ernten.

      Unter den Jungen befand sich neben Ulrich Knoll auch Flügels gleichaltriger Sohn Johann. Ulrich hatte schnell in die Gruppe hineingefunden, die tagsüber die kleine Stadt unsicher machte. Johann, der unter den Jüngeren der Wortführer war, hatte ihm den Einstieg erleichtert. Die beiden Jungen hatten einander, wie ihre Väter auch, gleich gemocht. Tagaus, tagein strolchten sie nun durch die Gegend, machten sich einen Spaß daraus, trotz der Ermahnungen der Eltern heimlich aus der Stadt zu verschwinden und später am Tag, bei ihrer Rückkehr, die Stadtwache anzuflehen, sie nicht zu verraten. Die kleineren Buben waren draußen fast keinerlei Gefahren ausgesetzt, aber sobald sie älter als zwölf Jahre waren, konnte es gefährlich werden. Vorbeiziehende Truppen ergriffen gelegentlich die Heranwachsenden, entführten sie, um sie als Dienstboten zu missbrauchen, oder rekrutierten sie sogar zwangsweise als Soldaten. Daher hatten alle Eltern ein wachsames Auge darauf, dass ihre älteren Kinder in der Stadt blieben.

      Auch Flügel hatte noch eine Tochter: Sophia, die ein Jahr älter war als Knolls Tochter. Beide waren zu jung, um zur Biberkleeernte mitzukommen. Also versuchten hier die Mütter, Freundschaft zwischen den beiden Mädchen zu stiften. Doch die beiden verstanden sich nicht auf Anhieb so gut wie ihre Brüder. Das lag zum großen Teil daran, dass Sophia Angst hatte vor der zerbrechlichen, feengleichen Gestalt Lisbeths. Das Mädchen, das seine ersten Lebensjahre in der Kakushöhle verbracht und dementsprechend wenig Sonnenlicht gesehen hatte, war nicht nur für Sophia wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Hellblonde, fast weiße Haare, die zu ihrer hellen, fast durchsichtig schimmernden Haut überhaupt keinen Kontrast bildeten, umrahmten ein zierliches Engelsgesicht, dessen dünner Hals auf einem ebenso mageren, zerbrechlich wirkenden Körper saß. Ihr bisheriges Leben war geprägt gewesen von Hunger, Elend und endlosen Wanderungen durch zerstörte Landschaften. Sie hatte es bald nach ihrer Geburt schon aufgegeben, sich über Mangel an Nahrung oder Wärme schreiend zu beklagen. Instinktiv hatte der Säugling gemerkt, dass seine Mutter ihm alles gab, wozu sie fähig war. Weshalb sollte das Mädchen dann noch etwas fordern, wenn nichts mehr da war? Obwohl es zurzeit wieder aufwärts ging, blieb Lisbeth Magdalena schweigsam und bescheiden. Sie fragte nicht nach, sie nahm sich einfach, was sie brauchte, sofern sie es mit ihren spindeldürren Beinchen, auf denen sie staksend daherkam, erreichen konnte. Ansonsten saß sie meist auf dem Fußboden, spielte mit Steinen und Stöckchen, die sie aufgelesen hatte oder sang Kinderlieder vor sich hin, die auch hier im Habsburgerland im Krieg entstanden waren, wie das beliebte ›Schwedenlied‹: »Die Schweden sind gekommen, haben alles mitgenommen, haben’s Fenster eingeschlagen, haben’s Blei davongetragen, haben Kugeln draus gegossen, und die Bauern totgeschossen.« Während sie das Liedchen vor sich hinträllerte, liefen Magdalena Tränen die Wangen hinunter.

      11.

      Die Männer unterbrachen ihr Bücherstudium gelegentlich, um einander aus ihrem Leben zu erzählen. Knoll berichtete wehmütig vom Untergang Magdeburgs; Flügel steuerte neben seiner eigenen Familiensaga auch Anekdoten aus der bewegten Bitburger Biergeschichte bei. Er erwähnte Niklas von Hahnfurt, der im Jahr 1276 die Brauerei gegründet hatte, in der Flügels Urahn einst als Lehrling eingestellt worden war und sie anschließend übernommen hatte.

      »Aber Niklas war nicht