Der Fluch des Bierzauberers. Günther Thömmes

Читать онлайн.
Название Der Fluch des Bierzauberers
Автор произведения Günther Thömmes
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783839235102



Скачать книгу

gingen sie zum Haus.

      Magdalena konnte es genauso wenig fassen wie Knoll und die Kinder: »Ein Steinhaus! Ich habe noch niemals in einem Haus aus Stein gewohnt.« Sprachlos vor Erstaunen öffnete sie die Eingangstür und die mit Ölpapier ›verglasten‹ Fenster immer wieder. Sie hatte große Freude daran, wie ein Kind an einem neuen Spielzeug, an dem es sich nicht satt sehen kann. Auch die Kinder waren beeindruckt, obwohl der kleine Ulrich sich noch dunkel an Türen und die bleigerahmten Butzenscheibenfenster in ihrem Haus in Magdeburg erinnern konnte. Lisbeth Magdalena, auf dem Arm ihrer Mutter, schaute hingerissen durch das Fenster und klopfte mit ihren kleinen Fingerchen dagegen. Noch nie hatte sie so etwas gesehen.

      »Wir haben in den letzten Jahren einige Neubürger bei uns angesiedelt«, erklärte der Stadtschreiber. »Und da war die Schatulle der spanischen Habsburger auf einmal weit offen, um hier frisches Blut hineinzubringen.«

      Dankbar bezogen sie die bescheidene Behausung, die keinem Vergleich mit Knolls Magdeburger Bürgerhaus standhielt, aber weit besser war als alles, worin sie in den vergangenen vier Jahren gehaust hatten.

      Magdalena sagte prophetisch: »Mein halbes Leben lang schon sitzt der Hunger mit am Tisch und der Tod am Bett. Ist das jetzt endlich vorbei?«

      War dies der Ort des Neubeginns? Würden sie in Bitburg in Frieden leben können?

      Die Stadt Bitburg mit ihren knapp eintausend Einwohnern lag im Luxemburger Land, im äußersten südöstlichen Ausläufer der spanischen Niederlande, und gehörte somit ins Lager der Habsburg-Loyalen und Katholiken. Landesherr war also de facto der Spanier Philipp IV. Das Umland aber, sogar das direkt um die Stadt gelegene, gehörte bereits größtenteils zu dem mächtigen und bedeutenden Kurtrier. Bis vor Kurzem war auch Trier der Allianz der Katholiken zugehörig gewesen. Der derzeitige Kurfürst aber war der bereits achtundsechzig Jahre alte Philipp Christoph von Sötern. Er regierte seit zwölf Jahren, dies jedoch mittlerweile nicht mehr unbedingt im Einverständnis mit den Trierer Bürgern. Von Sötern hatte zu Beginn seiner Regentschaft den gleichen Kurs der Rekatholisierung eingeschlagen wie der Kaiser. Diese Politik, zusammen mit einer offen betriebenen Günstlingswirtschaft und rigiden Steuerauflagen zur Finanzierung seiner Bautätigkeit, hatten nicht nur Widerstand in der Bevölkerung, sondern auch im Domkapitel hervorgerufen. Endloser Zank hatte ihn so schließlich ins Lager der reformierten Kräfte getrieben. Von Söterns gutes Verhältnis zu Frankreich war dann so lange als Neutralität ausgelegt worden, bis mit Kardinal Richelieus Hilfe Frankreich ebenfalls, zuerst passiv, ab 1635 dann aktiv, in den Krieg eingegriffen hatte. Die Bürger Triers hatten den Kaiser in Wien um Hilfe gebeten, der hatte spanische Truppen geschickt, die 1630 Trier erobert hatten. Daraufhin hatte von Sötern 1631 mit Schweden und Frankreich einen Neutralitätspakt abgeschlossen, was ihn aber nicht daran gehindert hatte, sich ein Jahr darauf Trier von den Franzosen zurückerobern zu lassen. Zum Dank dafür hatte von Sötern dem achtzehn Jahre jüngeren Richelieu seine Nachfolge auf dem Trierer Bischofsstuhl versprochen. Und damit hatte er das Fass zum Überlaufen gebracht! Denn in diesem Fall hätte Armand-Jean du Plessis, Duc de Richelieu, ein französischer Kardinal, tatsächlich Mitsprache- und Mitwahlrecht bei der deutschen Kaiserwahl gehabt; und die verschiedenen Teile des Habsburgerreiches wären mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auseinandergefallen. Nur die Tatsache, dass von Sötern Richelieu um zehn Jahre überlebte, verhinderte Jahre später Schlimmeres.

      Und so verliefen bei Trier und Bitburg bei Knolls Ankunft dort gleich mehrere Grenzen: Grenzen der Konfession, der Politik und der militärischen Allianzen, aber alle diese quer durcheinander, hin- und herwechselnd. Zu Verwüstungen und Plünderungen durch die wild gewordene Militärmaschinerie, wie es anderswo geschehen war, war es bislang nicht gekommen, zu sehr hatte die Politik hier noch die Fäden des Geschehens in der Hand. Zum Teil lag das auch an der Geiselnahme von Söterns, der bei der erneuten Eroberung Triers, 1635, durch habsburgische Truppen verhaftet worden war und seither in Linz in Haft saß – diese sollte zehn lange Jahre andauern; in den Augen vieler hatte erst die Festsetzung des Trierer Bischofs den Grund für den Kriegseintritt Frankreichs geliefert. Mit Genehmigung des Kaisers hatte mittlerweile das Domkapitel die Regierung des Trierer Kurfürstentums übernommen. Das war die politische Situation in der Region.

      Das größte Ärgernis dort waren jedoch holländische Freibeuter, die, ohne mit dem Krieg wirklich etwas zu tun zu haben, seit dem Abfall der nördlichen Provinzen der Niederlande vom spanischen Habsburg raubend und plündernd durch das Luxemburger Land zogen, und dies bereits seit über vierzig Jahren taten, lange bevor der große Krieg begonnen hatte. Die Bitburger nannten diese Freibeuter die Staatischen. Man versuchte, mit allen Seiten so gut wie möglich auszukommen und ließ sogar Protestanten in die Stadt, wenn keine Gefahr von ihnen ausging. Auch wenn Bitburg keine Insel der Seligen inmitten dieses Krieges darstellte, so hatte die Stadt doch allein dadurch, dass sie bislang nicht geplündert oder erobert worden war, ihren bescheidenen Wohlstand halbwegs aufrechterhalten können. Bei schlechten Ernten mussten alle den Gürtel enger schnallen, aber verhungert war hier – bislang – immerhin noch niemand.

      All dies konnte Knoll nicht wissen, als er und Magdalena gemeinsam zum Stadtrichter Erasmus Oetz vorgeladen wurden, der auch Bürgermeister war und, gemeinsam mit den adeligen Schöffen, die Stadt regierte. Nachdem die Neuankömmlinge mithilfe von Spenden der Bürger neu eingekleidet worden waren – Hosen und Hemden aus grobem Leinen sowie ein einfaches Kleid für Magdalena, sogar für hölzerne Pantinen hatte es gereicht –, gingen sie hinüber zu Oetz’ Haus am Kirchplatz. Es glich mit den vielen Anbauten – Tenne, Hof und Stall, einer offenen Feuerstelle nebst Herd sowie einem kräftig vor sich hin dampfenden Misthaufen – eher einem Bauernhof als einem Bürgerhaus, geschweige denn dem Haus des Bürgermeisters. Den Wohlstand, sogar inmitten des Krieges, erkannte man jedoch an den Nahrungsmitteln: Knoblauch, Lauch, Erbsen und Bohnen standen in Schüsseln auf dem großen Tisch in der guten Stube. Ein Stück Käse nebst einem großen Kanten Speck ließ Knoll das Wasser im Mund zusammenlaufen. Es roch nach Wurst und Rindfleischsuppe. Unvergleichlich gut …

      Den Stadtrichter trafen sie an, als er gerade mit dem Schöffen, Johann von Esch, vor einem großen gusseisernen Ofen beisammen saß und über die Kriegslage debattierte.

      Oetz war klein, untersetzt und trug eine prachtvolle Knollennase im Gesicht. Mit seinem schütteren, weißen Haar sah er so aus, wie sich die Leute den alten griechischen Philosophen Sokrates vorgestellt hätten. Nur mit dem einen Unterschied, dass Sokrates kein prächtiges, gold-grünes Wams mit roter Schärpe und gleich drei goldenen Ketten über dem Bauch getragen hätte. Hinter der gemütlichen Erscheinung mit dem Kugelbauch und dem verschmitzten Lächeln steckte jedoch ein hellwacher Verstand voller Esprit, an dem Knoll in den kommenden Jahren, in denen der Stadtrichter ein guter Freund werden sollte, noch viel Freude haben würde. Oetz war verheiratet mit der ältesten Tochter des Schöffen Laudolfe aus einer der ältesten Adelsfamilien der Stadt. Diese Verbindung hatte ihm den Weg nach ganz oben in der Bitburger Politik geebnet. Er saß auf einem thronähnlichen Stuhl, etwa einen Fuß höher als der kräftig gebaute, hagere Schöffe von Esch, der seine Vollglatze zur Schau stellte und gegenüber dem Stadtrichter in seiner einfachen Alltagskleidung geradezu unscheinbar wirkte. Fast so auffällig wie Eschs fehlende Haarpracht waren seine langen, gelben Zähne, die an die eines Wolfs erinnerten.

      »So, Ihr wollt ein Brauherr sein, der halb verhungert bei uns angeklopft hat?« Knoll, der immer noch, wie während ihrer Irrfahrt durch das Kriegsgebiet, vollbärtig und zottelhaarig dastand und Magdalena, die mehr Wert auf ihr Äußeres legte und sich deswegen ein Band ins Haar geflochten hatte, nickten unterwürfig. »Sagt an, welcher Konfession gehört Ihr an?«

      »Katholisch natürlich, Herr Stadtrichter«, antwortete Magdalena schnell, bevor Knoll etwas erwidern konnte.

      »Nicht dass es für uns noch einen Unterschied machte. Die Staatischen sind auch Katholiken und machen uns das Leben schwerer als alle anderen.« Oetz schien in großmütiger Laune zu sein. Knoll mochte ihn auf Anhieb. Und hatte das Gefühl, als würde dies auf Gegenseitigkeit beruhen. »Wo ist denn Euer Geburtsbrief? Ohne den werdet Ihr ja Euer früheres Heim nicht verlassen haben.«

      Knoll wusste nicht, ob sich das Inferno von Magdeburg bis ins Luxemburger Land herumgesprochen hatte, sagte deshalb erst einmal nur: »Ich hatte ein Brauhaus in Magdeburg. Wir sind im Mai 1631 von dort geflohen.«