Die letzte Kurve. Wildis Streng

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Название Die letzte Kurve
Автор произведения Wildis Streng
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839266120



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      »Ritschie hat die Piranhas geliebt«, tönte es vom Sofa, wo die Frau des Toten saß, vor sich ein Glas Wein. Sie stand auf und zwang sich zu einem Lächeln. »Die hatten sogar Namen, aber mir fällt partout nicht ein, welche. Ich überlege schon die ganze Zeit.«

      »Ich weiß es«, half der Sohn nach. »Sylvester, Arnold, Vin, Jason und Bruce. Eigentlich waren es sieben, aber Chuck ist an Altersschwäche gestorben und Steven war eines Morgens einfach nicht mehr da.«

      Heiko biss sich auf die Lippen, um nicht laut loszulachen. Dass ausgerechnet Chuck Norris an Altersschwäche gestorben war, musste definitiv ein Fehler in der Matrix sein. Steven Seagal war in seinen Augen hingegen mit Abstand der schlechteste dieser Schauspieler, kein Wunder, dass die anderen ihn nicht duldeten. Und gerade jetzt guckten die Piranhas wie Actionstars, die, ohne mit der Wimper zu zucken, kaltblütig morden würden, wenn es nötig wäre.

      »Ihr Vater war Filmfan?«, vermutete Lisa.

      »Leidenschaftlich. Er hat eine umfangreiche DVD- und VHS-Sammlung. Noch alte Schule, nix mit Pay-TV.«

      »Wieso seid ihr denn hier?«, erkundigte sich Christine Wengert endlich. »Es war doch ein Unfall, ein schrecklicher, tragischer Unfall?«

      Lisa drückte auch der frischgebackenen Witwe ihre Anteilnahme aus, bevor sie korrigierte: »Das wissen wir noch nicht sicher. Wir müssen die Obduktion abwarten.«

      Es war besser, zu diesem Zeitpunkt noch etwas vage zu bleiben. Denn im Extremfall waren die Ehefrau und der Sohn ebenso verdächtig wie alle anderen, die beim Ausflug dabei gewesen waren.

      »Reine Routine«, versicherte Heiko mit einem Lächeln.

      »Ach so«, meinte die Frau und ließ sich mit etwas mattem Blick zurück in den Sessel fallen.

      »Für alle Eventualitäten wäre es auf jeden Fall wichtig zu wissen, wer mit Ihrem Mann ein Problem gehabt hat. Beziehungsweise mit Ihrem Vater«, erklärte Heiko.

      Max stieß ein Schnauben aus, das wohl Ahnungslosigkeit suggerieren sollte.

      »Es gibt keinen Menschen auf der Welt, der noch nie mit irgendjemandem Streit hatte«, behauptete Lisa. »Auch der Verstorbene nicht, mit Verlaub. Denken Sie also bitte gut nach, alles könnte hilfreich sein.«

      Die beiden sahen sich auf eine Art an, dass Heiko sofort wusste, dass es sich um eine stumme Absprache handelte. »Ich nehme an, Ihnen ist gerade etwas eingefallen? Ihnen beiden?«

      Drei der Piranhas waren zur linken Ecke des Aquariums geschwommen und schienen die Szene genau zu beobachten.

      Christine räusperte sich und meinte unbestimmt: »Nun, mein Mann hat durchaus polarisiert.«

      »Können Sie das konkretisieren?«, bat Lisa und lächelte der Frau aufmunternd zu.

      Es war Max, der weitersprach. »Der Manfred ist meinem Vatter neulich mal an den Karren gefahren, weil er sich von ihm verarscht gefühlt hat.«

      »Inwiefern?«, hakte Heiko nach.

      »Ich weiß es gar nicht genau, es ging wohl um den Papagei.«

      »Um was?«

      »Den Papagei. Das war ein Motorrad, das der Manfred selbst lackiert hatte. Ihr erinnert euch vielleicht an diesen Flickenteppich-Polo aus den 90ern? Wo jedes Blechstück in einer anderen Knallfarbe lackiert war?«

      »Dunkel«, gab Heiko zu, und die hintersten Windungen seines Hirns ließen tatsächlich ein Bild dieser Geschmacksverirrung vor seinem inneren Auge entstehen.

      »So ein Motorrad hatte der Manfred, und da war irgendwas, was ihm nicht gepasst hat. Ich kann aber nicht sagen, was genau. Weißt du da mehr?« Die Frage war an seine Mutter gewandt, die aber den Kopf schüttelte.

      Heiko bemerkte, dass sie inzwischen von vier Piranhas beobachtet wurden. Er fragte sich, wie man die Viecher wohl unterscheiden konnte.

      »Da müsstet ihr den Manfred fragen«, riet Max Wengert und fuhr sich durch das blonde Haar, das er von seiner Mutter geerbt hatte.

      Auch der letzte Piranha stierte sie nun durch das Glas an. Es war, als fänden die Fische das Gespräch spannend.

      »Und dann war da noch dieses latente Gefrotzel«, ergänzte Max nach einem sanften, nachgerade zärtlichen Lächeln in Richtung der Haustiere seines Vaters.

      »Von wem?«, erkundigte sich Heiko.

      »Nein, er hat gefrotzelt. Das konnte er gut.«

      »Und wen denn?«

      Max leckte sich die Lippen und zuckte die Achseln. »Och. Mal den einen, mal den anderen. Den Simon, den Sohn vom Manfred, weil er so ein pedantischer Sicherheitsheini ist. Den Jan, weil er ein Möchtegern-Rocker ist. Den Timo, weil er ein Schönling ist. Und so weiter und so fort.«

      »Nun gut«, meinte Heiko und dachte bei sich, dass das nicht unbedingt Mordmotive waren. »Hatte er sich auf irgendjemanden besonders eingeschossen?«

      Max tauschte erneut einen Blick mit seiner Mutter, die erneut die Achseln zuckte. »Nicht wirklich«, befand er. »Aber wer weiß, den einen oder anderen hat das vielleicht mehr geärgert, als er zugegeben hat.«

      »Möglich«, glaubte Lisa und fuhr mit einer etwas heikleren Frage fort. »Entschuldigen Sie, Frau Wengert, dass ich das frage, aber«, die Actionstar-Piranhas waren jetzt vollzählig und so nah an der Scheibe, als wollten sie sich durchbeißen, »war Ihre Ehe in Ordnung?«

      Christine errötete und senkte den Kopf, nickte dann aber. »Schon okay, das müsst ihr ja fragen. Ich denke, wir hatten eine ganz normale Ehe. Nicht besonders gut, aber auch nicht schlecht. Normal eben.«

      Heiko beobachtete Max. Die Miene des jungen Mannes blieb absolut neutral – irgendwie seltsam. »Und was hat Ihr Mann denn gearbeitet?«, fragte Heiko weiter.

      »Sein Onkel hat eine Kfz-Werkstatt. Da war er Meister. Mit dem Onkel hat er sich aber immer gut verstanden«, informierte die Frau. Die Fische wandten sich nacheinander scheinbar enttäuscht ab, und nur einer, womöglich Sylvester, harrte noch aus.

      Obwohl es schon neun gewesen war, hatten die Kommissare nach dem Besuch bei Familie Wengert noch beim MFHC-Vorsitzenden in Altenmünster geklingelt. Allerdings war niemand zu Hause gewesen, und da keine Gefahr im Verzug war, hatten die beiden ihre Befragung auf morgen verschoben. Mit etwas Glück wüssten sie dann schon mehr, wenn die Ulmer Gerichtsmedizin, wo die Hohenloher Leichen immer hinkamen, die Obduktionsergebnisse lieferte.

      Jan Bullinger ärgerte sich, er ärgerte sich sogar sehr. Er sollte nicht hier sein, nicht hier in seiner kleinen Wohnung in einem Block in den Riedwiesen in Altenmünster. Er gehörte hier nicht hin, nicht heute Abend. Saumäßig gerne wäre er woanders. Obwohl das vielleicht pietätlos wäre, an einem solchen Tag. Er musste zugeben, dass ihn das schon ein bisschen mitgenommen hatte, dieser Unfall, auch, wenn der Richard ein blödes Arschloch gewesen war, ein Angeber vor dem Herrn. Trotzdem, ein solches Ende wünschte man niemandem. Wie er so verdreht dagelegen hatte, wie eine Marionette, deren Schnüre irgendeiner abgeschnitten hatte. Aber gut, es war nun einmal so. Und tot war tot. Er hingegen, Jan Bullinger, lebte noch, und er wäre heute gerne wirklich woanders gewesen, zehn Kilometer weiter südöstlich, am Degenbachsee, um genau zu sein, beim Treffen der »Tarantel«.

      Jan stand im Schlafzimmer vor dem Spiegel. Er war kein Narzisst, ganz bestimmt nicht, und ihm war durchaus bewusst, dass er nicht der Schönste war. Nicht so schön wie der Timo zumindest. Aber das wollte er auch gar nicht sein. Vielmehr wollte er respektiert werden. Ein bisschen cool wirken. Vielleicht könnten die Leute ein klein wenig Angst vor ihm haben, manche zumindest, das würde überhaupt nicht schaden. Und dann wäre er vielleicht auch mal für die »Taranteln« interessant, die ihn bisher immer hatten abblitzen lassen.

      Grübelnd betrachtete er das Patch auf seiner Kutte, dessen Bedeutung sich nur Eingeweihten erschloss. Er hoffte, irgendwann einmal als Prospect, als Probemitglied, akzeptiert zu werden. Bisher sah er sich als Supporter, als einen Unterstützer, der sich danach sehnte, der »Tarantel« beizutreten. Natürlich