Das Haus in den Dünen. Ulrich Hefner

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Название Das Haus in den Dünen
Автор произведения Ulrich Hefner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839265048



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in der Magengegend empfunden hatte – Jahrzehnte schon. Die reinigende Kraft des Feuers, so wie es geschrieben stand, im großen Buch der Vermächtnisse, von dem ihm Josef so viel erzählt hatte.

      Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz und wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod, und ihr Eifer ist fest wie die Hölle. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn …

      2

      Trevisan nahm den Weg über die Ebertstraße zum Rechtsmedizinischen Institut. Kleinschmidt war schon bei der Arbeit, hatte Fingerabdrücke von der rechten Hand der Leiche abgenommen, sie digitalisiert und das automatische Vergleichsprogramm am Computer gestartet. Spätestens bis zum nächsten Morgen würde das Ergebnis vorliegen. Vorausgesetzt, es lagen identische Prints des Toten im Zentralcomputer des BKA vor. Doktor Mühlbauer, der Chefpathologe, hatte die Obduktion für den Mittag angesetzt. Obwohl ihm bereits der Magen knurrte, ließ Trevisan das Mittagessen ausfallen. Eine Leichenöffnung führte bei ihm immer noch zu einem lästigen Magendruck. Es gab Dinge, an die würde er sich nie gewöhnen.

      Das rote Backsteingebäude lag im gleißend hellen Sonnenschein eines herrlichen Sommertages. Ein nahezu wolkenloser Himmel und Temperaturen um die dreißig Grad brachten selbst Trevisan, der gerade aus seinem Urlaub im heißen Griechenland zurückgekehrt war, ins Schwitzen. Nach einem stürmischen und verregneten Frühling war der Sommer nun doch noch ins Wangerland eingekehrt. Trevisan ließ seine dunkle Stoffjacke im Wagen zurück und ging den von Büschen und Sträuchern gesäumten Fußweg entlang.

      »Ach, wenn das nicht unser Stammgast der letzten Monate ist«, begrüßte ihn Doktor Mühlbauer, der neben dem Eingang auf einem Gartenstuhl Platz genommen hatte und sein Gesicht der Sonne zuwandte. »Setzen Sie sich ein paar Minuten zu mir und erfreuen Sie sich am Sonnenschein. Ich habe noch zehn Minuten Mittagspause. Vielleicht bekomme ich etwas Farbe, bevor ich mich wieder in meinen dunklen Keller begebe. Waren Sie nicht in Urlaub?«

      »In Griechenland, drei Wochen. War eine tolle Zeit. Und vor allem gab es keine Leichen.«

      »Ah, Griechenland. Athen, Akropolis, die Ägäis, Kreta, auf den Spuren der Antike«, stöhnte Doktor Mühlbauer. »Da war ich vor zwei Jahren. In diesem Jahr will meine Familie nach Polen.«

      »Polen?«, erwiderte Trevisan erstaunt. »Warum Polen?«

      »Die Wurzeln der Familie meiner Frau liegen in Masuren. Vor ein paar Monaten lief darüber ein Filmbericht im Fernsehen, jetzt hat sich meine Frau in den Kopf gesetzt, auf den Spuren ihrer Vorfahren zu wandeln. Ausgerechnet jetzt, wo ich den Segelschein gemacht habe.«

      Trevisan lächelte. »Und Sie können ihr das nicht ausreden?«

      Doktor Mühlbauer erhob sich. »Frauen …!«, bemerkte er abfällig.

      Trevisan fröstelte. Der lange, gekachelte Flur, der zu den Obduktionsräumen führte, war ausgefüllt von grellem Neonlicht. Er bemerkte eine Veränderung: Zwei überdimensionale Bilder zierten jetzt die Wand. Abstrakte Kunst in blau-rotem Farbengewirr.

      »Hat mir meine Tochter geschenkt«, erklärte der Chefpathologe. »Sie studiert Kunst. Sie meinte, ich solle mir die Schinken in mein Büro hängen. Aber ich denke, hier unten sind sie besser aufgehoben. Und die Toten stören sich nicht daran.«

      »Und was sagt Ihre Tochter dazu?«

      Mühlbauer zog grinsend den Schlüssel aus seiner Hosentasche. »Gott behüte, wenn sie es erfährt. Aber da kann ich ganz beruhigt sein. Das hier wäre der letzte Ort, an dem sie auftauchen würde. Sie kann nämlich kein Blut sehen.«

      Als Trevisan den dunklen Sezierraum betrat, spürte er wieder das beklemmende Gefühl in seiner Magengegend, das ihn von jeher in diesen Räumen begleitete. Vielleicht war es wie das Lampenfieber, vor dem auch erfahrene Schauspieler nach der hundertsten Aufführung nicht gefeit waren. Richtig mulmig wurde es Trevisan erst, als Doktor Mühlbauer in voller Montur im Sezierraum auftauchte und das weiße Laken zurückschlug, unter dem der Tote auf dem Seziertisch lag.

      »Viel ist nicht mehr übrig.« Der Doktor betrachtete die Leiche. »Kopf, Oberkörper und die linke Körperhälfte sind verkohlt. Er war offenbar starker Hitze ausgesetzt. Die rechte Körperhälfte ab dem Musculus rectus abdominis ist bis zur Fußspitze angeschwärzt, aber weitestgehend erhalten. Und, für die Polizei sehr hilfreich, auch der rechte Arm weist nur leichte Verbrennungen auf. Wenn Sie mich fragen, dann ist er unter einen brennenden Balken geraten und wurde eingeklemmt.«

      »Wir müssen wissen, wodurch er starb«, erklärte Trevisan. »Vielleicht wurde der Brand zur Verschleierung der wahren Todesursache gelegt.«

      »Dann wollen wir einmal in die Materie vordringen.« Der Chef­pathologe griff zur Säge.

      »Es macht Ihnen wohl nichts aus, wenn ich mich da drüben auf einen Stuhl setze.«

      Doktor Mühlbauer schüttelte den Kopf. »Wo die Toiletten sind, brauche ich ja nicht zu sagen.«

      Die Autopsie dauerte über eine Stunde. Trevisan vermied allzu tiefe Atemzüge, der Geruch wurde beinahe unerträglich. Als Doktor Mühlbauer die Handschuhe abstreifte, erhob sich Trevisan und eilte zur Tür. »Ich warte draußen.«

      »Ja, ja, gehen Sie nur. Ich komme gleich nach. Genießen wir noch etwas die Sonne und befreien wir uns von dem Geruch.«

      Als Trevisan durch die gläserne Schwingtür hinaus ins Tageslicht trat, atmete er erst einmal tief durch. Er setzte sich auf einen der Gartenstühle neben dem Treppenaufgang und wartete. Es dauerte nicht lange, bis sich Doktor Mühlbauer mit einem Seufzer auf dem freien Stuhl niederließ.

      »Zu neunundneunzig Prozent ein Opfer der Flammen und des Rauches«, sagte er. »Rauchgasvergiftung, Ohnmacht, Verbrennungen, das war der Gang der Dinge. Zwar müssen wir noch auf das toxikologische Gutachten warten, aber es würde mich wundern, wenn sich da eine andere Diagnose einstellt. Nein, Trevisan, Sie können davon ausgehen, dass der Tote ein klassisches Brandopfer ist.«

      »Eigentlich habe ich das nicht anders erwartet«, murmelte Trevisan.

      »Tut mir leid, dass ich keinen anderen Befund liefern kann«, entschuldigte sich Doktor Mühlbauer. »Ein Projektil oder so etwas hätte vielleicht ein wertvoller Hinweis sein können. In diesem Fall: Fehlanzeige.«

      Trevisan seufzte. Es gab neben all den Zufällen und den möglichen Zeugenbeobachtungen im Prinzip zwei Schlüssel zur Lösung eines Falles. Der eine führte über das Opfer selbst, seine Persönlichkeit, seine Geschichte und seine Beziehungen. Der zweite Schlüssel führte über die Tat. Über die Art und Weise der Begehung, über die Vorgehensweise des Täters und über Spuren, die der Täter hinterlassen hatte. Im Fall Basch­witz gab es keine verwertbaren Spuren. Trevisan wusste, dass viel Arbeit vor ihm und seinem Team lag.

      *

      Monika Sander war der Verzweiflung nahe. Sie saß zusammen mit Anne Jensen im Verwaltungsbüro der Stadtverwaltung.

      »Wir haben die Freiwilligen Wehren aus den einzelnen Stadtteilen«, sagte der Sachbearbeiter, »dann kommen da noch die Ha­fen­feuerwehr und einige Werksfeuerwehren hinzu. Wei­ter­hin müssen wir unterscheiden zwischen Mitgliedern und aktiven Wehrmännern. Und vergessen Sie nicht, in den umliegenden Gemeinden sind ebenfalls Frauen und Männer in freiwilligen Verbänden organisiert. Natürlich können wir Ihnen die Listen für Wilhelmshaven besorgen, aber das wird eine Weile dauern. Um die Betriebsfeuerwehren und die Hafenwehr, die Bundeswehreinheiten, die sich mit Brandbekämpfung beschäftigen, und die Freiwilligen Feuerwehren der Um­land­gemeinden müssen Sie sich selbst kümmern, da kann ich leider nicht behilflich sein.«

      »Was glauben Sie, wie viele Personen kommen da zusammen?«, fragte Monika.

      Der Sachbearbeiter wiegte zögernd den Kopf. »Grob 350 Mann bei den Aktiven, und etwa tausend sonstige Mitglieder. Musikkapellen, Fördervereine, und so weiter. Aus dem Umland, damit meine ich den engen Kreis, kommen wohl noch einmal 250 Mann hinzu. Wenn Sie alle überprüfen müssen, dann haben Sie eine Menge Arbeit vor sich.«

      Monika Sander zog ihre Stirn kraus. Mit dieser ungeheuren Zahl hatte