Bei Ostwind hörten wir die Leute schreien. Immo Opfermann

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Название Bei Ostwind hörten wir die Leute schreien
Автор произведения Immo Opfermann
Жанр Контркультура
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Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783948379452



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die Stille vor der Ankunft der Sieger am 20. April 1945, einem Freitag, zu spüren: Ab dem 17. April, die ganze Woche schon, hatte man die Geräusche der Auflösung der Lager in Schömberg und Schörzingen gehört und gesehen, vorher bereits auf den Bahnhöfen Dotternhausen und Schömberg den Abtransport der Gefangenen in offenen Güterwaggons beobachtet. Den letzten Fliegerangriff auf das Zementwerk am 18. April, bei dem der Schornstein zerstört wurde, konnten Anhänger wie Gegner des Regimes als sichtbares Zeichen des endgültigen Untergangs werten. Noch am 20. April hatten kurz vor dem Eintreffen der Franzosen englische Flugzeuge die SS-Baracken des Lagers Dautmergen bombardiert, fünf getötete SS-Männer wurden hastig auf dem Schömberger Friedhof begraben: Endzeitstimmung und Angst vor Chaos, vor der Zukunft nach dem offensichtlichen Scheitern des Nationalsozialismus, vor der erwarteten Rache der Sieger beherrschten je nach Temperament die Menschen. Aus dem Schömberger Gasthaus „Traube“ sind Parolen wie „Der Friede wird furchtbar“ und „Sauft und fresst, die gemeinsame Himmelfahrt steht vor der Tür“ von Angehörigen der SS überliefert.6 Denn genau zwölf Jahre nachdem die Stadt Schömberg am 18. April 1933 Adolf Hitler zum Ehrenbürger gemacht hatte, war das Naziregime zu Ende.

      6 Freundliche Mitteilung der Traubenwirtstochter E. Z. – Vgl. Opfermann, Schömberg 1919–1946. In: Geschichte der Stadt Schömberg. Herausgegeben im Auftrag der Stadt Schömberg anlässlich der 750-Jahr-Feier 2005 von Casimir Bumiller, S. 236 f.

      7 So wird der französische Administrator Oberst Jean Gonnet zitiert bei Wilhelm Foth: 1945–1949: Chaos und Neuanfang. In: „Heimatkundliche Blätter“ Balingen Nr. 1 Jahrgang 43, 31.01.1996.

      Drei Stempel der französischen Besatzungsmacht des Jahres 1945. Oben vom 5. Mai, Gignoux (?), Sûreté mit dem Vermerk „Vu“ = „gesehen“, unten November 1945, Kübler.

      8 Eduard Rock-Tabarowski, ehemaliger Zwangsarbeiter aus Athen im Gespräch mit Dorothee Wein am 01.02.2006: „Wir waren Menschen zweiter Klasse.“ Teile des Gesprächs sind veröffentlicht in Volker Mall/Harald Roth: „Jeder Mensch hat einen Namen“. Gedenkbuch für die 600 jüdischen Häftlinge des KZ-Außenlagers Hailfingen-Tailfingen. Berlin, 2009, S. 261 ff.

      9 Stadtarchiv Schömberg Nr. 1562. – Berücksichtigt man die Eintragungen im Schuldenbuch des Lebensmittelgeschäftes Faulhaber, so werden bereits im Dezember des Jahres 1940 „5 Eßtöpfe“ für „Franzosen“ benötigt, die zu Lasten des Rathauses aufgeschrieben sind. Diesem Buch ist zu entnehmen, dass dem Rathaus gelieferte Nahrungsmittel wie „Kaffee, Kaffeeersatzmittel, Marmelade, Pudding, Reis, Käse, Grieß …“, Waschmittel „Imi, Henko, Waschpulver, Weißwäsche“, aber auch Hygieneartikel wie „Seife, Rasierseifen“ vermerkt wurden. Man kann deshalb feststellen, dass es den Franzosen zu diesem Zeitpunkt des Krieges, weil sie in der Verantwortung der Wehrmacht standen, besser ging als den späteren KZ-Häftlingen, die von der SS beschafft und von der OT ausgebeutet wurden. – Kopien des Schuldenbuches freundlicherweise von Marlies Pfeiffer-Blepp, deren Mutter Wera geb. Faulhaber die Waren für die Franzosen lieferte.

      10 Freundliche Mitteilung von Josef Faulhaber, Fuhrunternehmer, dem Verfasser mitgeteilt am 21. März 2009. – Das Dokument A 1384 aus dem Stadtarchiv Schömberg bestätigt die Einrichtung des Kriegsgefangenenlagers. „Bläsle“-Fabrik, weil in dem Gebäude vorher Mundharmonikas für die Firma Hohner hergestellt worden waren. Vgl. Opfermann, Schömberg-Chronik.

      11 Foth, wie Anm. 7.

      12 Balinger Volksfreund vom 20.04.1955, Sonderbeilage „Das Ende zwischen Neckar und Oberrhein“.

      13 Foth, wie Anm. 7.

      14 Ortschronik Schömberg zum 22.04.1945 „Einsetzen eines Ortskommandanten aus den Reihen der Zivilarbeiter …“ Stadtarchiv Schömberg AB 638. – In Schörzingen wurde ein ehemaliger französischer Zivilarbeiter eingesetzt, der Vater von Liliane Gesson, die später Recherchen auf den Spuren ihres Vaters machte, der die Exhumierungen in Schörzingen in Fotos hatte dokumentieren lassen.

      Diese Formulierung legt die Vermutung nahe, dass es anderswo nicht sehr korrekt zuging. Der Name des Kommandanten