Der Schreckenswald des Hoia Baciu. Marie Kastner

Читать онлайн.
Название Der Schreckenswald des Hoia Baciu
Автор произведения Marie Kastner
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783967525243



Скачать книгу

Menschen an«, winkte Radu grinsend ab. Niemals hätte er in Anwesenheit seines großen Bruders zugegeben, dass ihm gelb leuchtende Wolfsaugen schon einige schlaflose Nächte bereitet hatten. Aber hier ging es um seinen Vater, also musste er seine Ängste vor den Schrecknissen der Finsternis ignorieren.

      Während sich die Söhne des Schäfers auf den Weg machten, kniete Mirela mit gefalteten Händen vor ihrem kleinen Hausaltar nieder und betete inbrünstig zu Maria, der Schutzheiligen aller Frauen. »Ich wüsste doch nicht, was ich in einer Zukunft ohne meinen Hoia anfangen sollte. Beschütze uns alle, Mutter Gottes, wir sind anständige Menschen. Bitte mach, dass mich mein ungutes Gefühl wenigstens dieses eine Mal trügt. Lass meine Familie wohlbehalten zu mir zurückkehren.«

      Ein besonders lauter Donnerschlag ließ sie zusammenzucken, dann zog das Unwetter ab.

      Die Mitternachtsstunde war längst vorbei, als die Baciu-Söhne mit wirrem Haar und verstörtem Blick ihr Elternhaus erreichten. Beide waren tropfnass, die Kleidung schlammverschmiert. Auf dem morastigen Boden glitt man leicht aus.

      Schon von weitem hatte Mirela die tanzenden Lichtpunkte gezählt und auf drei sich nähernde Laternen gehofft. Aber so sehr sie sich die Augen auch aus dem Kopf starrte, es waren und blieben nur zwei. Die dunkelhaarige Frau wurde kreidebleich.

      Valeriu und Radu nahmen ihre Mutter in die Mitte, denn ihr versagten die Knie. »Wohin … wo kann er bloß abgeblieben sein? Habt ihr denn gar nichts gefunden, auch keines der Tiere?«, hauchte sie tonlos.

      Die Brüder geleiteten sie fürsorglich zu einer Bank im Inneren der Hütte, deren Sitzfläche weich mit einem schwarz gescheckten Schaffell gepolstert war, und ließen sich erschöpft neben sie fallen. Valeriu zog stöhnend die schweren Stiefel aus, betastete seine schmerzenden Zehen. Es verbreitete sich augenblicklich ein muffiger Geruch im Raum, der stark an verwesenden Käse erinnerte. An anderen Tagen hätte Mirela ihn dafür gerügt, doch nicht heute.

      »Nichts, einfach gar nichts. Keinerlei Spur von Vater, ebenso wenig von der Herde. Niemand hat ihn seit dem frühen Nachmittag mehr gesehen. Wir haben sogar kurz im Wäldchen nachgeschaut, aber dort ist es in der Nacht bei abnehmendem Mond derart finster und dunstig, dass man die Hand vor Augen nicht erkennen kann. Richtig unheimlich war es da drinnen, ganz so, als würde eine dunkle Nebelwand das Licht der Laternen verschlucken.

      Wir müssen abwarten, bis es hell wird, können erst dann intensiv weitersuchen. Vater muss sich verirrt oder irgendwo anders Zuflucht gesucht haben. Wahrscheinlich kommen wir nur nicht drauf, wo das sein könnte.

      Es tut mir leid, Mutter … wir haben für den Moment wirklich alles getan, was in unserer Macht steht«, erzählte Valeriu traurig. Er starrte beim Sprechen deprimiert auf den Fußboden, konnte seiner Mutter nicht in die Augen sehen. Der Ausdruck von heller Panik darin hätte ihm das Herz gebrochen.

      »Toma Popescu hat sich vorhin zum Glück bereit erklärt, mit seinem Fuhrwerk zu unseren Familien zu fahren, damit sie sich wegen unseres langen Wegbleibens nicht zusätzlich sorgen müssen. Unterwegs wird er die Augen und Ohren offen halten, vielleicht entdeckt er die Vermissten ja zufällig. Wir bleiben für den Rest dieser Nacht besser hier, um dir beizustehen. An Schlaf wäre sowieso nicht zu denken«, ergänzte Radu einfühlsam, streichelte ihre schlaffe, kalte Hand.

      Mirela war indes zu keiner Äußerung fähig. Nichts und niemand hätte ihr die tonnenschwere Last von den Schultern nehmen können. Sie gab einen klagenden Ton von sich und brach zusammen, ohne das Gehörte kommentiert zu haben.

      *

      Im Morgengrauen versammelte sich die kleine Dorfgemeinschaft fast vollzählig am Ortsrand von Suceagu. Nur die ältesten Einwohner waren zu Hause geblieben, schließlich musste jemand auf die Kinder aufpassen. Man schwatzte, mutmaßte und tauschte Ideen aus, bis wohin man die Suche nach dem Nachbarn Baciu ausdehnen sollte.

      Mirela hatte es sich trotz ihres desolaten Zustands nicht nehmen lassen, mitzukommen. Die Frauen des Dorfes scharten sich um sie, zeigten Anteilnahme und versuchten auf mannigfaltige Weise, die Verzweifelte zu beruhigen.

      »Wäre dein Mann verschleppt worden, hätte man mittlerweile doch zumindest den Hund oder vereinzelte Schafe finden müssen. Dass sie allesamt wie vom Erdboden verschwunden sind, ist eher ein gutes Zeichen.

      Oh nein, Mirela – die sind bestimmt einfach weiter als sonst gewandert, Hoia hat sich durch ein Gespräch oder eine Begegnung ablenken lassen und ist von der hereinbrechenden Dunkelheit überrascht worden. So muss es sein! Wahrscheinlich sitzt er zur Stunde wohlbehalten in einer wildfremden Bauernstube, haut ein üppiges Frühstück rein und ahnt gar nicht, dass wir uns wegen ihm grämen. Hoffen wir also für ihn, dass er letzte Nacht kein ›Schäferstündchen‹ mit einer einsamen Witwe genossen hat. Sonst ziehst du ihm nachher eigenhändig das Fell über die Ohren«, versuchte sich die junge Tereza an einem schwarzhumorigen Scherz.

      Solche und ähnliche Kommentare wollte die Hirtenfrau aber partout nicht hören. Ihr Herz kannte die furchtbare Wahrheit; dennoch hoffte sie inständig, es möge sich irren. So drängte sie die anderen ungeduldig zum Aufbruch.

      Der achtzehnköpfige Suchtrupp setzte sich nach einer kurzen Wegbesprechung gemächlich in Bewegung, viel zu langsam für Mirelas Geschmack. An den zahllosen frischen Kotkügelchen der Schafe war zweifelsfrei abzulesen, wo Hoia und die Herde entlang gekommen waren. Er hatte seine Tiere tatsächlich links und rechts jenes Feldweges grasen lassen, der direkt zum sogenannten Teufelswald führte. Nach ungefähr zwanzig Minuten passierten sie die abgebrannte Pappel, strebten geradewegs dem Waldrand zu.

      »Dort hinein bringen mich aber keine zehn Pferde! Ihr wisst doch, was man sich über diesen Ort erzählt«, stellte Tereza fest, schlang beide Arme fest um ihren schlanken Körper und blieb mitten auf dem Weg abrupt stehen. Andere Frauen taten es ihr nach, nickten zustimmend.

      »Jetzt seid nicht albern, ihr abergläubisches Weibsvolk! Es ist helllichter Tag. Was sollte euch da schon passieren? Wir durchkämmen das Waldstück einfach so, dass jeder von uns einen der anderen stets in Sichtund Rufweite behält. Ich glaube nicht an lächerliche alte Schauergeschichten, und ihr solltet das gefälligst auch nicht tun«, verfügte Toma genervt.

      Just als er die verängstigten Frauen mit gutem Zureden fast vom Sinn dieser Vorgehensweise überzeugt hatte, tauchte plötzlich eine bunt gekleidete Frau mit hüftlangem schwarzem Haar am Wegesrand auf. Ihr wilder Blick und die vielen Armreifen wiesen sie als Angehörige einer Zigeunersippe aus.

      »Das ewig Böse ist wieder erwacht! Geht hinein und ihr werdet allesamt auf grausame Weise sterben«, stieß sie mit kehliger Stimme hervor, kicherte schadenfroh – und verschwand genauso schnell und leichtfüßig, wie sie gekommen war.

      Ihr eindrucksvoller Auftritt führte dazu, dass keine der Frauen freiwillig einen Fuß in den mutmaßlich verfluchten Wald setzen wollte. Alle weigerten sich hysterisch, ob Toma nun bettelte, an ihre Hilfsbereitschaft appellierte oder mit Spott drohte. Die eine oder andere bekreuzigte sich hastig.

      Die Gruppe teilte sich notgedrungen auf. Während die Männer fluchend zwischen den Bäumen verschwanden, suchten die Frauen das Gebiet außerhalb ab. Wortlos, weil jede einzelne von einem unheimlichen Gefühl beschlichen wurde.

      An diesem Tag wirkte alles auf unerklärliche Weise falsch, obgleich die vertraute Landschaft im strahlenden Sonnenschein vor ihnen lag. Die Vögel ließen sich nicht am Himmel blicken, auch sonst gab es kaum Geräusche. Selbst das Tageslicht wirkte verändert. Gleißend, aber wie durch graues Glas gefiltert.

      Speziell die feinfühlige Tereza verspürte beunruhigt eine Art elektrisches Kribbeln, das sich in Wellen über ihren gesamten Körper zog und Gänsehaut erzeugte. Am liebsten hätte sie sich die Haut von den Knochen gerissen. Sie zweifelte mittlerweile stark an ihrer eigenen Aussage, dass Hoia im Tagesverlauf bestimmt unversehrt wieder auftauchen werde.

      Die Frauen fanden auf Wegen und Wiesen jede Menge Spuren vom Vermissten und seinen Schafen – doch das war leider auch schon alles. Hinter jeden Busch spähten sie, wohl wissend, dass sich dahinter schwerlich zweihundert Schafe nebst Schäfer verbergen könnten. Achselzuckend machten sie am vereinbarten Treffpunkt Halt und warteten