Schattenkinder. Marcel Bauer

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Название Schattenkinder
Автор произведения Marcel Bauer
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783898019002



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      © 2020 – e-book-Ausgabe

       RHEIN-MOSEL-VERLAG

       Zell/Mosel

       Brandenburg 17, D-56856 Zell/Mosel

       Tel 06542/5151 Fax 06542/61158

       Alle Rechte vorbehalten

       ISBN 978-3-89801-900-2

       Lektorat: Christine Kaula

       Ausstattung: Stefanie Thur

       Foto Cover: Jean-Pierre Dumont

       Die Patrouille der Kängurus (1944)

       mit Pierre Thonnar (stehend, zweiter von rechts)

       Autorenfoto: Arne Houben

      Marcel Bauer

      Schattenkinder

      Eine Kindheit im Krieg

      Rhein-Mosel-Verlag

       Für meine Enkel Luc und Max

      Hintergrund

      1940 lebten im Königreich Belgien 100.000 bis 110.000 Juden. Die meisten von ihnen waren in den 30er Jahren als illegale Einwanderer und Flüchtlinge aus Mittel- und Osteuropa ins Land gekommen. Nach dem Sieg über die Westmächte und die Besetzung Belgiens durch die Wehrmacht gerieten sie in die Mühlen der NS-Vernichtungspolitik. 56 Prozent aller Juden blieb die Deportation in ein Arbeits- oder Vernichtungslager erspart, weil sie mit Hilfe der belgischen Bevölkerung untertauchen konnten.

      Diese in Europa beispiellose Rettungsaktion gelang dank des selbstlosen Einsatzes von einfachen Bürgern und der Verantwortlichen von 225 privaten und kirchlichen Einrichtungen. So gründete Louis-Joseph Kerkhofs, Bischof von Lüttich, mit Hilfe des Rechtsanwaltes und Notars Albert Van den Berg ein eigenes Netzwerk zur Rettung jüdischer Kinder. Sie wurden unter falschem Namen in Internaten, Klöstern, Ferienheimen und Hospitälern versteckt. Im Bistum Lüttich, das damals den Provinzen Limburg und Lüttich entsprach, überlebten so achtzig Prozent der Juden.

      Die belgische Provinz Lüttich 1940-1944

      Personen

      Joshua Rozenberg alias Pierre (Pierrot) Thonnar

      Roro, sein Plüschtier

      Ariel und Elsa Rozenberg, Joshuas Eltern

      Menahim (Mendel) Rozenberg alias Jean-Marie Thonnar, sein Bruder

      Hanna und Nathan Goldstein, Cousins von Ariel Rozenberg

      Leewi, Hirsch, Bad-Sebah und Elias genannt Fred, Nathans Kinder aus erster Ehe

      Benjamin (Ben) alias Jos, gemeinsamer Sohn aus zweiter Ehe

      Siegmund und Gerda Meyer, Kusine von Elsa Rozenberg, geb. Meyer

      Hedwig und Emil, ihre Kinder

      Jean-François und Florentine Stevens, geborene Dupuis

      Annie und Jean, ihre Kinder

      Geneviève Dupuis, Stevens Schwägerin

      Albert Goor, Annies Verlobter

      Louis-Joseph Kerkhofs, Bischof von Lüttich

      Max-Albert Van den Berg, Notar und Rechtsanwalt

      Pierre Coune, dessen Sekretär

      Sr. Amanda, Franziskanerin von der hl. Familie

      Marcel Stenne, Pfarrer von Stoumont

      Robert und Leonie Schmitz, geborene Stenne, seine Schwester

      Mojsesz (Moshe) Schargorodski alias Arnaud Pirenne, genannt Bouboule

      Charles Chavez und Oscar Evrard, Erzieher

      Charles-Albert de Harenne, Bürgermeister

      Ernest Natalis, Grundschullehrer

      Dr. Léon Robinson, Landarzt

      Sr. Germaine Martin, Oberin der Vinzentinerinnen

      Joachim Peiper, Kommandant der gleichnamigen SS-Kampfgruppe

      Die Namen einiger Personen, die in diesem Buch vorkommen, wurden auf Wunsch von Angehörigen geändert.

      Prolog

      Dies ist die Geschichte einer jüdischen Kindheit im Krieg. Von allen unschuldigen Opfern des Zweiten Weltkrieges sind die Kinder die beklagenswertesten, weil sie nicht verstanden, was ihnen geschah. Auch ist die Erinnerung an sie nicht so lebendig wie die an andere Opfer, weil sie zu jung waren, um Spuren zu hinterlassen.

      Während die meisten Menschen sich darum sorgten, selber zu überleben, gab es einige, die nicht nur an sich und an die dachten, die ihnen nahe standen, sondern an Kinder, deren Angehörige zwischen die Mühlsteine der Vernichtung geraten waren. Dass in Belgien mehr Kinder als in anderen Ländern der Schoah1 entkamen, ist der Verdienst von Männern und Frauen, von denen die meisten anonym geblieben sind. An einige möchte dieses Buch erinnern.

      Die Deutschen hatten für das besiegte Land, das sprachlich und kulturell zerrissen war, nur Verachtung übrig. Da es dort unverhältnismäßig viele Israeliten gab, sprachen sie vom »völkischen Mülleimer Europas«. Die Geringschätzung sollte sich rächen. Vom ersten Tag der Besatzung an regte sich Widerstand, der alle Schichten der Bevölkerung erfassen sollte. Im April 1943 ereignete sich ein Vorfall, der im besetzten Europa einmalig war: drei Studenten stoppten auf freiem Feld einen Transportzug nach Auschwitz und befreiten einige Hundert Juden aus plombierten Viehwaggons.

      Die Deutschen hatten sich von Anfang an entschlossen gezeigt, das kleine Land von Juden zu säubern. Im Oktober 1940 hatte eine allgemeine Judenzählung dafür die Voraussetzungen geschaffen. Alle Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohnern mussten eine detaillierte Namensliste der gemeldeten Juden vorlegen. Demnach lebten in Belgien 60.000 »Glaubensjuden«, davon 55.000 als illegale Ausländer. Auch wenn die amtliche Zählung überaus mangelhaft war, verfügten die Nationalsozialisten damit über eine Kartei mit Todeskandidaten. Laut einem internen Bericht des deutschen Sicherheitsdienstes gab es im Königreich Belgien jedoch viel mehr Juden als die belgischen Behörden eingestanden. Schon 1938 waren es mindestens 90.000. 1939 war deren Zahl noch einmal sprunghaft auf geschätzte 116.000 angewachsen.

      1941 richtete die NS-Führung in Brüssel eine Zelle der Sicherheitspolizei ein, um die Judenpolitik nach deutschem Muster voranzutreiben. Als die sogenannte Endlösung anlief, glaubte die Sipo-SD mit der Deportation der Juden leichtes Spiel zu haben, denn die Maßnahme sollte angeblich nur staatenlose Juden betreffen und die belgischen Juden verschonen. Um die Öffentlichkeit zu täuschen, sprachen die Besatzer zudem nicht von einer Deportation, sondern von einer Evakuierung, die als Arbeitseinsatz getarnt war und möglichst unauffällig ablaufen sollte.

      In der Brüsseler Zentrale der Gestapo war man verwundert und verärgert, dass die Maßnahme nicht den erhofften Erfolg brachte. Ausgenommen in Antwerpen, wo Bürgermeister Leo Delwaide mit den Deutschen kollaborierte, beteiligte sich keine städtische Behörde am Judenfang. Offenbar schienen die Belgier keinerlei Ressentiment gegen die Juden zu hegen, obwohl der größte Teil von ihnen illegal im Lande war. Die Schuld daran gab der Kopf des Brüsseler Büros SS-Obersturmführer Kurt Asche der einflussreichen katholischen Kirche und der weitverbreiteten Freimaurerei.

      Auffallend war, dass neben den Kommunisten, die seit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, die entschlossensten Gegner der Nationalsozialisten waren, auch viele Christen sich am Rettungswerk der Juden beteiligten. Dabei hatte die belgische Amtskirche in den ersten Jahren der Besatzung wenig Interesse an der sogenannten Judenfrage gezeigt. Kardinal Joseph Ernest Van Roey von Brüssel und Mechelen, unter dessen Fenster in der Residenz sich die Endlösung quasi abspielte, geißelte in seiner Korrespondenz mit dem Vatikan zwar schonungslos den Antisemitismus der Deutschen, setzte sich in seinen Demarchen bei der Besatzungsmacht aber lediglich für die getauften Juden ein.

      Nach