Die klare Sonne bringts doch an den Tag. Klaus Scheidt

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Название Die klare Sonne bringts doch an den Tag
Автор произведения Klaus Scheidt
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783981864267



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Anbeißen verführenden Tauwürmern für mein allerneuestes Hobby?«

      »Die können warten, bis ich sie auf dich kippe, wenn du in der Kiste liegst. Dann siehst du auch so aus wie ...«

      »Du bist ein Scheusal!« Brüwer schüttelte sich, während er begann, die Angelschnur zurück auf die Rolle zu kurbeln. »Ittigitt. Aber die würden sich an mir den Magen verderben.«

      »Falls du von deiner Frau vergiftet worden wärst, ja.«

      »Ich gebe mich geschlagen. Also, was ist in dem Paket?«

      Noch steckte Angriffslust in Stormann. »Zuerst wollte ich einen wunderschönen großen und ganz frisch in der Außenalster gefangenen Fisch für dich kaufen ...«

      »Mit deinem Gequatsche schlägst du selbst Wurst-Achim aus dem Feld.« Brüwer hielt die Rute schlagbereit wie eine Baseballkeule. »Da konntest du noch nicht wissen, dass ich ab heute Morgen meinem allerneuesten Hobby fröne.«

      »... stattdessen jedoch habe ich ein wundersames antikes Buch erstanden und ...«

      »Ein Buch auf‘m Fischmarkt?« Mit scheelem Blick sah Brüwer seinen Ex-Kollegen an. »Bist du sicher, du warst nicht schlafwandeln, sondern wirklich auf ...«

      »... werde es meinem Enkel schenken. Vorher jedoch schaue ich selber mal rein.«

      »Harry Potter, Band Fünf?« Die grau gewordenen buschigen Brauen hochgezogen, kurbelte Brüwer das letzte Stück der Polyamidschnur auf die Rolle.

      »Ich sagte doch: antik! Eine Liebhaberausgabe der schönsten Märchen der Brüder Grimm, bestimmt wertvoll, erstanden jedoch zu einem günstigen Preis von einem sich in Geldnot befindenden Reederei-Erben, welcher neben den Fischmarktständen einen wackeligen Tapeziertisch aufbaute, um einen Teil des Familiensilbers zu verscherbeln.«

      »Erben kommt erst nach‘m es-te von sterben und deswegen wird manchmal ein wenig nachgeholfen. Dies gegebenenfalls herauszubekommen haben wir ja wie aus dem Effeff beherrscht.« Wehmütig seufzte Brüwer, während er ergeben abwinkte. »Na, welche Märchen sind‘s denn?«

      »Auf jeden Fall ist die Geschichte vom armen Fischer Brüwer un’ sinner Fru drin.«

      »Hä, hä, sehr witzig.«

      »Würde schon passen, weil deine Frau Ilse heißt.« Stormann grinste anzüglich, aber schon einen Wimpernschlag später folgte die besänftigende Geste. »Der Buchtitel fiel mir auf, ansonsten habe ich es nur flüchtig durchgeblättert. Ich sehe es mir in Ruhe an, bevor ich es für meinen Enkel hübsch einpacke. Eigentlich könnte ich mir die Mühe sparen, denn mein Lieblingsenkel wickelt nichts aus, sondern zerfetzt jede Umhüllung voller Vorfreude auf das neueste Pokémon-Sammelalbum.«

      »Dann wirst du ihn schwer enttäuschen. ‚Bäääh!‘, wird er schreien, ‚ein altes Buch‘. ‚Ich will keine blöden Märchen lesen, sondern mit Pikachu und Mewtu und Bisasam, meinen Lieblingspokémons, spielen‘. Dann wirft er sich auf die Erde und traktiert mit Füßen und Fäusten das Parkett.«

      »Nun mach mal halblang, mein Enkel ist schon zehn Jahre alt, außerdem hat er sich noch nie hingeschmissen, denn er gehört zu jenen Kindern, die redlich erzogen werden.«

      »Aber losheulen wird er.« Mit prüfendem Blick zur Spitze der Rute holte Brüwer weit aus.

      Stormann hastete außer Reichweite und duckte sich leicht. »Heulen würde meine Enkelin, wenn sie nicht den neuesten Harry Potter bekommt. Der Junge steht neuerdings auf Indianer und die kennen bekanntlich keinen Schmerz.«

      »Du weißt ja gut Bescheid über deine Enkel. So wie ich.«

      »Na klar. Wir sind doch jung gebliebene Großväter der neuesten Generation – immer auf dem aktuellen Stand der Enkelvorlieben.«

      »Warum willst du‘s ihm antun, wenn du schon weißt, wie er darauf reagiert?« Kopfschüttelnd konzentrierte Brüwer sich auf den Wurf.

      »Er liest ja eigentlich gern, nur reizen muss es ihn. Darum ist es mir einen Versuch wert. Genau wie du mit deinem Angeln ja auch noch eine klitzekleine Hoffnung hast auf ...«

      »Was heißt hier klitzekleine Hoffnung?« Empört senkte Brüwer die Rute und richtete ihre Spitze gegen seinen Ex-Kollegen. »Das ist keine klitzekleine Hoffnung, die mich heute Morgen hierhergeführt hat, sondern die riesengroße Gewissheit, den dicksten Stör der Alster zu fangen.«

      »Leider muß ich deine riesengroße Gewissheit wieder zu einer klitzekleinen Hoffnung machen, denn in der Außenalster gibt es keine Störe.«

      »Jetzt pass mal auf, du Besserwessi. Nun kommt mein durchtrainierter Angelrutenweitwurf bis mitten in die Alster, wo der dickste Wels auf meinen Köder wartet.«

      Brüwer holte mit der Rute so weit aus wie möglich und tatsächlich gelang ihm ein passabler Schwung. Der Haken platschte in die Alster, weiter als ein weltrekordverdächtiger Kugelstoß vom Ufer entfernt. Die beiden Ex-Kommissare hätten den roten Schwimmer kaum noch erkannt, wäre er nicht von jedem Wellenkamm emporgehoben worden.

      »Na, Kalli, hast du gesehen?« Freudestrahlend blickte Brüwer über die gesamte Wasserfläche der Alster hinweg. »Mit meinem Schwung könnte ich glatt bei der Weltmeisterschaft im Weitwerfen mitmachen.« Dann rammte er das Ende der Rute schräg ins Erdreich unter hohem Gras und legte den golden glänzenden Stielgriff in die bereits steckende Gabel der Halterung.

      Mit feinem Lächeln verfolgte Stormann die ungelenken Bemühungen und verbalen Übertreibereien seines Ex-Kollegen; längst hatte er sich an dessen Schrullen und keineswegs ernst gemeinte Sprüche gewöhnt.

      »Ich schätze mal, das waren gute fünfundzwanzig Meter«, murmelte Stormann und nachdenklich blickend zwickte er sein rechtes Ohrläppchen, »und soviel ich weiß, wirft ein guter Sportangler über acht Mal so weit.«

      »So?« Brüwer wiegte den Kopf und kniff das rechte Auge zu. »Aber wahrscheinlich nur mit mindestens zehnfachem Anlauf.« Dann winkte er ab und wies mit dem Daumen über die Schulter. »Jetzt pack doch mal aus, wir haben ja Zeit bis ...«

      »... der Riesenwels anbeißt.«

      »Du hast das jetzt gesagt.«

      »Ist ja schon gut. Ich zeige dir liebend gerne das Buch, denn die Verpackung trete ich ohnehin gleich in die Tonne, nachdem ich zuhause bin.«

      Nach einigem Ratschen und Geraschel zog Stormann das wuchtige Druckwerk aus der seitlich offenen Verpackung, trotz aller Sorgfalt jedoch glitt es ihm aus der linken Hand.

      »Vorsicht!«, rief Brüwer und erwischte das beim Fallen aufklappende Buch gerade noch an einer Ecke. Nachdem er zugepackt hatte, rutschte ein etwa DIN-A5-großer Zettel heraus und schwebte hinab auf die breitgetretenen Grashalme der flachen Uferböschung.

      Hastig bückte sich Stormann danach, fasste den Wisch mit drei spitzen Fingern und richtete sich wieder auf. Ein Blick auf die verblasste Tinte genügte ihm. »Aha«, murmelte er und ahmte unwillkürlich den Schauspieler Erich Ponto nach, denn die ‚Feuerzangenbowle‘ von 1944 war einer seiner Lieblingsfilme, »das ist aus einem Schoolheft gerissen ...«

      Mit beiden Händen hielt Brüwer das aufgeschlagene Buch und musterte die zwei offenen Seiten. Auf der linken stand nach einigen Zeilen schon ‚Ende‘, aber auf der rechten fing ein neues Märchen an, dessen Überschrift es ihm sogleich angetan hatte; halblaut las er sie vor: »Die klare Sonne bringt’s an den Tag.«

      Voller Eifer stellte er sich dicht neben seinen Ex-Kollegen, griff mit der Linken unter das Buch und tippte mit dem nun freien rechten Zeigefinger auf die in Fraktur fett gedruckte Überschrift. »Das passt ja zu uns wie die Faust aufs Auge. Wir haben ja auch immer alles rausbekommen.«

      »Fast alles.«

      »Nun sei mal nicht so pingelig.« Brüwer meinte es todernst. »Unsere Erfolgsquote war die allerbeste überhaupt.«

      »Kunststück, wir waren ja auch im richtigen Dezernat, denn bei Mord und Totschlag ist die Aufklärungsquote ohnehin die höchste.«

      »Weil