Gefangen. Sira Rabe

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Название Gefangen
Автор произведения Sira Rabe
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783866085626



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wagte kaum zu atmen, als er langsam näher kam. Er umrundete ihr Podest und ihr Kopf drehte sich, folgte ihm automatisch. Dann blieb er genau vor ihr stehen. Delia starrte in ein Gesicht von atemberaubender Vollkommenheit. Die Gesichtszüge wie gemeißelt, scharf geschnitten, ein beinahe als klassisch zu bezeichnendes Profil. Sorgfältig rasierte, leicht gebräunte Haut.

      Das alles nahm sie nur für Sekundenbruchteile wahr, denn als sie schließlich in seine Augen sah, die sie scheinbar ohne jeglichen Lidschlag unentwegt fixierten, war sie wie paralysiert und konnte den Blick nicht mehr abwenden. Stahlgrau und geheimnisvoll, in einem Kranz ungewöhnlich dichter, langer Wimpern hervorgehoben, lagen seine Augen unter schön geformten, schmalen, fast schwarzen Brauen.

      Die folgenden Sekunden vergingen wie eine Filmsequenz in Zeitlupe. Der Mann musterte sie von oben bis unten, streckte die Hand nach ihr aus. Aber er sprach kein Wort, er lächelte nicht mit seinen wohl geformten Lippen, er berührte auch nicht ihren Körper. Seine Hand schien über ihre Brüste, ihre Rundungen, ihre Taille hinwegzuschweben. Als taste er sie mit einem Sensor ab. Dennoch meinte Delia, seine Fingerspitzen zu fühlen, als strahlten sie eine Art knisternder Elektrizität aus.

      In Delias Ohren setzte ein Rauschen ein. Ihr Gegenüber sagte etwas zu ihr, sein Mund bewegte sich, aber sie verstand kein Wort. Bewegten sich seine Lippen lautlos oder sprach er wirklich? Sie hätte gerne gewusst, ob seine Stimme so klang, wie sie sich diese vorstellte. Fest, markant, sonor. Erneut sagte er etwas. Das Rauschen in Delia Ohren nahm zu. Sie schüttelte instinktiv den Kopf, schluckte voller Panik.

      Er drehte sich ab. Sie nahm verschwommen wahr, wie er aufrecht, seinen Mantel über den Arm gelegt, auf Max zuging, der eben aus seinem Büro ins Foyer getreten war. Delia erschien der Gang des Fremden verzögert. Überdeutlich registrierte sie jedes Detail seiner Bewegung. Wie er sein Bein anhob, das Knie abwinkelte, den Fuß gerade aufsetzte, als erfolge jeder Schritt bewusst. Nichts blieb dem Zufall überlassen. Er war die verkörperte Kontrolle und sie meinte beinahe, sie müsse ihm folgen, jede Bewegung nachahmen.

      Die beiden Männer sahen nun zu ihr herüber. Max antwortete irgendetwas auf eine Frage. Delia erkannte es an seinem Blick, seiner Gestik. Der Fremde zuckte in leichtem Bedauern mit den Schultern. Dann verschwand er in dem Gang, an dessen Ende eine Treppe nach unten führte.

      In ihrer Pause fragte Delia, wer der Mann gewesen sei.

      «Einer unserer besten Stammkunden», antwortete Max. «Er ist sonst immer samstags gekommen. Er hat nach dir gefragt und ich habe ihm erklärt, dass du nicht zu haben bist.»

      Vermutlich war es besser so. Denn Delia war in diesen Dingen immer noch unerfahren, hatte keine Ahnung, worauf es ankam. Vermutlich würde dieser Kunde, über den Max nur wenig wusste – andere waren da weitaus gesprächiger – es weniger übel nehmen, auf Delia verzichten zu müssen , als wenn sie zustimmte und sich ungeschickt oder spröde anstellte.

      Aber verdammt, der Kerl hätte gut bezahlt, mehr als üblich! Dabei war er den Frauen unheimlich, keine riss sich darum, die Stunden mit ihm zu verbringen. Und diejenigen, die es taten, erzählten nur wenig davon. Sie hatten wohl ihre Gründe.

      Einmal hatte Max ihm eine professionelle Sklavin besorgt, eine von einem seiner Konkurrenten, denn eigentlich arbeiteten bei ihm nur normale Huren. Gewiss, er hatte auch zwei Dominas im Haus, die es den Männern anständig besorgten, die das wollten. Aber keine Sklavinnen. Dafür hatte er sich nie interessiert.

      Aber dieser verdammte Kerl hatte es sogleich bemerkt. Er wollte keine, die schon zur Sklavin erzogen war, und hatte angedroht, künftig woanders hinzugehen. Er wollte sie sich selbst zur Sklavin erziehen, ihre Unerfahrenheit auf diesem Gebiet ausnutzen, sie mit Dingen überraschen, die ihr Körper noch nicht erlebt hatte. Die meisten Frauen, die für Max arbeiteten, waren davon alles andere als begeistert. Sie waren es nicht gewohnt, viel Zeit in einen einzigen Mann zu investieren und sich ihm vertrauensvoll hinzugeben. Er war ihnen unheimlich in seinen fast romantischen Forderungen, die sich plötzlich in ein grausames Gegenteil wandelten, wenn das Treffen nicht verlief, wie er sich das vorstellte.

      Max war schon drauf und dran gewesen, den Mann hinauszuwerfen und ihm Hausverbot zu erteilen, obwohl es im Grunde genommen unangenehmere Kunden gab. Aber Geld stinkt nicht. Und dieser zahlte gut für seine Sonderwünsche. Nur wurde es immer schwieriger, eine Frau zu finden, die ihn wenigstens halbwegs zufriedenstellte – und die überhaupt bereit war, zu ihm zu gehen. Denn natürlich tauschten seine Damen besondere Erfahrungen untereinander aus, warnten sich vor Kunden, die ihnen nicht ganz geheuer erschienen.

      Delia war inzwischen gut im Verdrängen. Sobald sie zu Hause angekommen war, nahm sie eine heiße Dusche und versuchte nicht mehr an die Nacht zu denken. Der Blick des Mannes ging ihr allerdings nicht so schnell aus dem Kopf. Er war irgendwie anders. Ach was!, schalt sie sich. Er ist auch nur einer, der bezahlt!

      Als sie am darauffolgenden Freitag ihren Platz auf dem Podest eingenommen hatte, erwartete sie trotzdem, ihn wiederzusehen. Warum nur? Ich will doch gar nichts von ihm! Doch wie ein Teufelchen bohrte ihr zweites Ich nach. Warum bist du dann so scharf darauf, ihn noch mal zu sehen? Delia hatte darauf keine plausible Antwort. Er ist attraktiv, wimmerte sie in sich hinein.

      Sie glaubte schon, er käme an diesem Abend nicht. Ein paar Gäste, die laut lachend mit den Frauen an der Bar scherzten, hatten sie abgelenkt. Da stand er plötzlich vor ihr.

      Wie eine Woche zuvor bot er ein perfektes Erscheinungsbild, Anzug und Krawatte waren aus gutem Stoff. Keine unnötigen Accessoires. Nur eine Uhr und der Ring an der linken Hand.

      Er musterte Delia mit einem scheinbar emotionslosen Blick, aber einem leicht spöttischen Zug in den Mundwinkeln. Überlegenheit und Selbstbewusstsein in vollendeter Harmonie. Ein Gewinner. Einer, der immer bekam, was er wollte.

      Was für ein arroganter Schnösel, dachte Delia bei sich. Wieso war ihr das nicht gleich aufgefallen? Doch obwohl sie genau diesen Typ Männer verabscheute – die sich offensichtlich für bedeutender, klüger und unersetzlicher als den Rest der Menschheit hielten und insbesondere den Frauen überlegen fühlten – musste sie bei diesem zugeben, dass er irgendetwas an sich hatte, was sie besonders anmachte. Mühsam unterdrückte sie ein Stöhnen. Sein Blick entfachte ein Feuer zwischen ihren Schenkeln, das sie sich nicht gestatten wollte. Was geschah mit ihr? Unbeweglich starrte er sie an und sie war ihrerseits nicht in der Lage, ihren Blick von ihm abzuwenden. Ihre Lippen begannen zu zittern.

      Dann wurde Delia plötzlich von einem anderen Mann abgelenkt, der auf einmal in ihrem Blickfeld erschien, auf das Podest hochstieg und sie ungeniert begrapschte. «Nein», hauchte sie abwehrend. Glücklicherweise dauerte dieser Überfall aber nur kurz, da seine nächtliche Gefährtin ihn abholte.

      Delia schaute sich nervös um, aber er war fort. Natürlich hatte er alles beobachtet. Delia fühlte sich peinlich berührt. Was sollte er nur von ihr denken?

      Sie erschrak. Bin ich verrückt? Er ist ein Mann wie alle hier. Es ist völlig gleichgültig, was er von mir denkt. Er will doch auch nur Sex gegen Bezahlung. Verwirrt gestand sie sich ein, dass es ihr plötzlich wieder etwas ausmachte, zur Schau gestellt zu sein. Dabei hatte sie geglaubt, sie wäre über dieses Stadium hinweg.

      Sie sah Max auf sich zukommen, der sie loskettete.

      «Aber meine nächste Pause steht doch noch gar nicht an, oder?», fragte sie verdutzt.

      «Macht nichts, ich muss mit dir reden.»

      Die Unterhaltung verlief ergebnislos. Max versuchte Delia davon zu überzeugen, dass ER sie haben wollte und dafür besonders gut bezahlen würde. Aber als Max sah, dass Delia sofort blass wurde und energisch ablehnte, verwarf er den Gedanken. Sie war noch nicht so weit, und vielleicht würde sie es niemals sein. Aber er würde nicht müde werden, sie erneut zu fragen, so wie ihr Interessent wohl nicht überdrüssig werden würde, seinen Wunsch jedes Mal aufs Neue zu äußern.

      Delia wäre möglicherweise genau das, was der Fremde suchte. Eine unschuldige, eher schüchterne Frau, die noch nie ihren Körper verkauft hatte, die nicht wusste, was für Spielarten manche Leute bevorzugten. Eine, die sich vor lauter Angst vielleicht sofort und aufrichtig unterwerfen würde. Vielleicht war es das, was der Mann tatsächlich suchte.