Tief eingeschneit. Louise Penny

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Название Tief eingeschneit
Автор произведения Louise Penny
Жанр Языкознание
Серия Ein Fall für Gamache
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783311700852



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große, runde Steine lagen.

      Curling.

      Gamache hatte diesen Sport selbst nie gespielt, aber er hatte sich die Landesmeisterschaft der Herren im Fernsehen angesehen und wusste, wie ein Curling-Stein aussah. Dem Spielfeld hier haftete etwas Unheimliches an, wie allen verlassenen Orten. Gamache konnte beinahe das Knirschen hören, mit dem die Steine über das Eis glitten, die Stimmen der Mannschaftsmitglieder, die einander etwas zuriefen. Noch vor wenigen Stunden war dieser Ort voll fröhlicher Menschen gewesen. Bis auf einen. Einer war so unfroh gewesen, so unglücklich und krank, dass er jemandem das Leben hatte nehmen müssen. Gamache versuchte sich vorzustellen, was dieser Jemand getan hatte. Wo hatte er gesessen? Mit den anderen auf den Zuschauerbänken, oder hatte er sich von ihnen abgesondert, weil er im Begriff war, etwas zu tun, das ihn für immer zum Außenseiter machen würde? War er aufgeregt gewesen, oder hatte er Todesangst verspürt? Hatte er den Mord bis ins letzte Detail geplant, oder hatte ihn plötzlich eine solch unbezähmbare Wut überkommen, dass er handeln musste? Gamache stand reglos da und lauschte aufmerksam, ob er die Stimme des Mörders hören konnte, ob sie sich von dem geisterhaften Gelächter der Kinder und den Anfeuerungsrufen der Spieler unterschied.

      Aber er konnte nichts hören. Noch nicht.

      Vielleicht gab es auch gar keine Stimmen, nur den Wind, der über den vereisten See fegte, Schnee aufwirbelte und kleine gefrorene Wellen zurückließ.

      Die Leute von der Spurensicherung spannten ihr gelbes Absperrband um den Tatort, fotografierten jeden Quadratzentimeter, sammelten alles ein, das wie ein Beweisstück aussah. Sie vermaßen und tüteten ein und nahmen Fingerabdrücke, was bei minus zehn Grad keine leichte Aufgabe war. Gamache wusste, dass sie gegen die Zeit arbeiteten. Es war kurz vor halb drei, seit dem Mord waren drei Stunden vergangen, und das Wetter wurde schlechter. Ein Tatort im Freien war immer problematisch, aber ein See mitten im Winter war mit ganz besonderen Problemen verbunden.

      »Wie kann man hier jemanden mit einem Stromschlag umbringen?«, fragte Beauvoir skeptisch. »Was sagen denn die Zeugen?«

      »Der Curling-Wettkampf begann ungefähr um zehn«, sagte Lemieux und warf einen Blick auf seine Notizen. »Bis alle an Ort und Stelle waren, war es ungefähr halb elf. Die meisten Zuschauer saßen da drüben auf den Bänken, aber das Opfer und eine zweite Frau saßen auf den Stühlen hier.«

      »Saß das Opfer auf dem, der umgefallen ist?«, fragte Beauvoir.

      »Das weiß ich nicht.« Dieses Geständnis kostete Lemieux unendliche Überwindung. Seltsamerweise sah ihn Gamache jetzt zum ersten Mal mit mehr als nur höflichem Interesse an. »Die Leute haben erst dann mitbekommen, dass irgendetwas nicht stimmte, als die Frau, die hier saß, laut rief. Zuerst hat keiner sie gehört, weil es auf den Zuschauerbänken so zuging.«

      »Es gab eine Massenschlägerei?«, fragte Beauvoir ungläubig. In diesem Zusammenhang konnte er sich allenfalls eine Massenflucht vorstellen.

      »Ich vermute, dass jemand einen guten Stein gespielt hat«, sagte Lemieux.

      »Lieber keine Vermutungen«, sagte Gamache ruhig.

      »Ja, Sir.« Lemieux senkte den Kopf und versuchte, angesichts des milden Tadels nicht allzu niedergeschlagen dreinzusehen. Er wollte nicht wie ein übereifriger Schuljunge erscheinen. Er befand sich in einer heiklen Lage. Er musste unbedingt den richtigen Eindruck hinterlassen.

      »Als die Leute begriffen, was los war, versuchten sie, Madame de Poitiers wiederzubeleben. Es waren ein paar Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr da.«

      »Ruth Zardo auch?«, fragte Gamache.

      »Woher wissen Sie das?«

      »Ich habe sie während meiner letzten Ermittlung hier kennengelernt. Sie leitet also noch die freiwillige Feuerwehr von Three Pines?«

      »Ja, Sir. Sie war mit ein paar anderen hier. Olivier Brulé, Gabri Dubeau, Peter und Clara Morrow …«

      Die Namen ließen ein Lächeln auf Gamaches Gesicht erscheinen.

      »… sie haben mit Wiederbelebungsversuchen begonnen, dann haben sie das Opfer auf einen Pritschenwagen gelegt, der in der Nähe stand, und haben sie nach Cowansville gebracht, wo ihr Tod festgestellt wurde.«

      »Woher wusste der Arzt, dass sie durch einen Stromschlag getötet wurde?«, fragte Beauvoir.

      »Verbrennungen. Ihre Hände und ihre Füße sind verbrannt.«

      »Und das hat während der Wiederbelebungsversuche keiner bemerkt?«, fragte Beauvoir.

      Lemieux war klug genug, nichts darauf zu erwidern. Nach einer kurzen Pause fuhr er mit seinem Bericht fort.

      »Madame de Poitiers hinterlässt einen Ehemann und eine Tochter. Sie waren dabei und sind mit ihr ins Krankenhaus gefahren. Ich habe Namen und Adresse notiert.«

      »Wie viele Leute haben es gesehen?«, fragte Gamache.

      »Etwa dreißig, vielleicht auch mehr. Bei dem Curling-Wettkampf handelte es sich um ein alljährlich stattfindendes Ereignis. Vorher fand ein Gemeindefrühstück in der Legion Hall statt.«

      Überall um sie herum waren jetzt die Tatortermittler an der Arbeit, die sie hin und wieder kurz unterbrachen, um Gamache eine Frage zu stellen oder eine Beobachtung mitzuteilen. Beauvoir entfernte sich, um die Suche nach Beweisstücken zu beaufsichtigen, und Gamache stand eine Weile da und sah seinen Leuten bei der Arbeit zu, bevor er sich in Bewegung setzte und gemächlich den Tatort zu umrunden begann, gemessenen Schrittes, die behandschuhten Hände auf den Rücken gelegt. Agent Lemieux, der ihn dabei beobachtete, schien es, als würde sich der Chief Inspector in eine eigene Welt zurückziehen.

      »Kommen Sie bitte mit.« Der Chief Inspector war stehen geblieben und drehte sich so unvermittelt um, dass Lemieux sich von Gamaches lebhaften braunen Augen dabei ertappt sah, wie er ihn anstarrte. Eilig stapfte er durch den Schnee zu ihm und ging neben ihm her, wobei er sich fragte, was jetzt wohl von ihm erwartet wurde. Nach ein oder zwei Minuten kam er zu dem Schluss, dass er dem Mann vielleicht einfach nur Gesellschaft leisten sollte. Also legte auch Lemieux die Hände auf den Rücken und ging langsam im Kreis um den Tatort herum, immer wieder, bis sie mit ihren Stiefeln einen kreisrunden Pfad in den Schnee getreten hatten, in dessen Mitte ein kleinerer Kreis, wie das Schwarze einer Zielscheibe, die Stelle markierte, an der CC de Poitiers zu Tode gekommen war.

      »Was ist das?«, fragte Gamache schließlich und deutete auf das Metallgebilde, das wie ein kleiner eingefrorener Atompilz über dem Tatort aufragte.

      »Das ist ein Heizstrahler, Sir. So was wie eine Lampe, nur dass sie Wärme abgibt.«

      »Ich kenne etwas Ähnliches von den Terrassen in Québec«, sagte Gamache in Erinnerung an das eine oder andere Glas Weißwein auf den alten steinernen Terrassen in Vieux Québec und an die Heizstrahler, die es den Gästen ermöglichten, bis in den frühen Herbst hinein ihr Abendessen im Freien zu genießen. »Aber die waren viel kleiner.«

      »Die meisten sind auch kleiner. Das hier ist Industriegröße. Man setzt sie im Winter auf Baustellen ein und bei irgendwelchen Sportveranstaltungen. Ich glaube, der hier wurde vom Jugend-Eishockeyverein in Williamsburg ausgeliehen. Die spielen meistens im Freien, deshalb haben sie vor ein paar Jahren eine große Spendenaktion auf die Beine gestellt, um Geld für eine Tribüne und irgendeine Heizung für die Zuschauer zusammenzubekommen.«

      »Stammen Sie aus der Gegend?«

      »Ja, Sir. Ich bin in St. Rémy aufgewachsen. Meine Familie ist weggezogen, aber ich wollte nach der Polizeischule hierher zurück.«

      »Warum?«

      Warum? Die Frage überraschte Lemieux. Das hatte ihn noch nie jemand gefragt. War das ein Trick von Gamache, wollte er ihn auf die Probe stellen? Er blickte den großen Mann an und kam zu dem Schluss, dass das vermutlich nicht der Fall war. Er wirkte nicht wie jemand, der Tricks nötig hatte. Trotzdem war es wohl am besten, eine diplomatische Antwort zu geben.

      »Ich wollte zur Sûreté, und ich dachte, dass es von Vorteil für mich wäre, wenn ich hier arbeite, weil ich so viele Leute kenne.«

      Gamache