»Ihr Vater erlebte die Hochzeit noch, soweit ich mich erinnere.«
Emely nickte.
»Begeistert war er aber nicht. Er wollte wohl, daß ich immer sein kleines Mädchen bleibe, und ich glaube, er hat Linda nur aus purem Trotz geheiratet, weil ich sie auch nicht mochte.«
Daniel überlegte ein paar Sekunden, wie weit er bei dieser verstörten jungen Frau gehen könnte, aber dann stellte er doch die Frage, die ihm auf der Zunge lag. »Also, es war so, daß Ihr Vater seinen Schwiegersohn nicht ins Herz schloß, und Sie dagegen etwas gegen diese Linda hatten.«
»Ja, so kann es gewesen sein«, gab Emely zögernd zu. »Aber Linda interessierte doch nur Vaters Geld, mit dem sie sich ein angenehmes Leben machen konnte.«
Wieder überlegte Daniel. »Ist sie denn seine Alleinerbin?« fragte er.
»Nein, eben nicht, er hat sein Testament nicht geändert. Nun streiten sich die Anwälte. Ich bin die Alleinerbin, und da Linda erst drei Monate mit Vater verheiratet war, hat sie vielleicht nur Anspruch auf eine Abfindung.«
Jetzt überlegte er noch länger, denn die nächste Frage fiel ihm sehr schwer.
»Ich sage es wirklich nicht gern, Emely, aber wer würde erben, wenn Sie durch einen Unfall sterben würden?«
»Zuerst meine Kinder, falls ich welche hätte, aber ich habe keine und werde wohl auch keine bekommen. Ich hatte noch vor Vaters Tod eine Fehlgeburt, wahrscheinlich durch diesen mir angedichteten Verfolgungswahn«, erklärte sie sarkastisch.
»Und Ihr Mann?«
»Er geht leer aus, wenn ich nicht selbst ein Testament zu seinen Gunsten hinterlasse. Das habe ich allerdings nicht vor, da ich mich von ihm im Stich gelassen fühle.«
»Hat er das Thema einmal angeschnitten?«
»Nein, und ich will ihm auch nicht unterstellen, daß er diese Quälerei inszeniert. Aber ich habe auch einen anonymen Brief bekommen, in dem es heißt, es sei an der Zeit, mein Testament zu machen, da mir sehr bald plötzlich etwas Unvorhergesehenes passieren könnte. Und in letzter Zeit habe ich öfter das Gefühl, verfolgt zu werden. Einmal wurde ich auch von der Straße abgedrängt, als ich abends von der Klinik heimfuhr. Jörn war schon zu Hause. Ich habe es ihm erzählt, aber er sagte, daß ich mir alles nur einbilde und endlich wieder zur Vernunft kommen solle.«
Vielleicht redet sie sich tatsächlich alles ein, dachte Daniel Norden.
Emely machte einen verwirrten Eindruck.
»Was beunruhigt Sie sonst noch, Emely?« fragte er vorsichtig.
»Die nächtlichen obszönen Anrufe. Ich lege ja immer gleich auf, aber dann läutete das Telefon unaufhörlich.«
»Das muß Ihren Mann doch auch stören.«
»Wir haben getrennte Schlafzimmer, seit wir in München wohnen. Jörn hat oft Nachtdienst, und wenn er nicht da ist, höre ich auch seltsame Geräusche im Haus und kann nicht mehr schlafen.«
»Sie fürchten sich?«
Emely nickte. »Dann kommen mir wieder alle möglichen schrecklichen Gedanken. Vielleicht will mich jemand tatsächlich in den Wahnsinn treiben.«
»Emely, Sie sind Ärztin«, sagte Daniel eindringlich. »Was würden Sie in einem solchen Fall einer Patientin raten?«
»Ich bin keine Psychiaterin, aber wahrscheinlich würde ich Sie zu einem Kollegen von dieser Fakultät schicken.«
»Und wie wäre es, wenn Sie selbst einen konsultieren würden?«
Sie atmete schwer. »Ich weiß nicht, wem ich noch trauen könnte, Sie ausgenommen, Daniel. Ich habe mich doch schon selbst gefragt, ob ich nicht an Verfolgungswahn leide. Wenn ich doch nur einen handfesten Verdacht hätte, wer mich so peinigen will, hätte ich eher die Kraft, mich zu wehren.«
»Dann gibt es zwei Möglichkeiten, den Dingen auf die Spur zu kommen«, erklärte er nach einigem Überlegen. »Ihr Telefon müßte überwacht werden, und Sie sollten auch einen Privatdetektiv einschalten, aber ohne jemandem davon etwas zu sagen, auch Ihrem Mann nicht. Sie haben doch die nötigen Mittel, ohne seine finanzielle Unterstützung etwas zu Ihrem Schutz zu unternehmen.«
»Und Sie meinen, daß ein Fremder, der mich gar nicht kennt, mir Glauben schenkt?«
»Wenn Sie mir vertrauen, werde ich Ihnen die richtigen Gesprächspartner vermitteln. Nur eine Frage vorab: »Haben Sie schon ernsthaft in Erwägung gezogen, sich von Ihrem Mann zu trennen?«
»Nein, es kränkt mich nur so, daß er alles ins Lächerliche zieht und mich niemals ernst nimmt.«
»Hat er schon mal von Trennung gesprochen?«
»Nicht direkt. Er sagt nur ab und zu, daß man es mit mir wirklich nicht mehr aushalten könnte oder etwas Ähnliches.«
Sie schien jetzt viel ruhiger zu sein. Daniel fragte, ob sie Kontakt zu Linda hätte.
»Nein, schon lange nicht mehr. Sie ist jetzt in Italien, hat dort anscheinend einen Lover, wie mir Dr. Hartung angedeutet hat.«
»Hartung ist Ihr Anwalt?« fragte Daniel erstaunt.
»Haben Sie etwas gegen ihn?«
»Sie sollten auf jeden Fall vorsichtig sein. Erwähnen Sie nicht, was Sie vorhaben, falls Sie meinem Rat folgen wollen. Aber Sie könnten ihn einmal ganz beiläufig fragen, was bei einer möglichen Scheidung auf Sie finanziell zukommen würde.
Emely war plötzlich hellwach. »Meinen Sie etwa, daß Jörn ihn kontaktiert?«
»Möglich ist alles, Mißtrauen ist angebracht.«
»Ich bin doch sowieso schon mißtrauisch. Welchen Psychiater empfehlen Sie mir?«
»Dr. Lorenzo. Er ist noch jung und nicht sehr bekannt, aber seinen Beruf versteht er. Und als Privatdetektiv schlage ich Ernst Huber vor, ein völlig unauffälliger Mann, aber sehr erfolgreich in jedweden Ermittlungen.«
»Sie würden das vermitteln, Daniel?«
»Sie müssen mir nur sagen, wann Sie Zeit haben.«
»Das kann ich gleich, ich habe meinen Dienstplan immer dabei.«
»Wie kommen Sie eigentlich mit Ihren Kollegen aus?«
»Es gibt keine Schwierigkeiten. Ich fühle mich in der Klinik eigentlich am sichersten, aber die Nächte, in denen ich nicht schlafen kann, rauben mir viel Kraft. Jetzt will ich Sie aber nicht länger aufhalten, Daniel. Sie haben doch noch andere Patienten.«
»Wendy meldet sich schon, wenn es unruhig wird«, erklärte Daniel, und er wagte dann noch eine Frage: »Hätten Sie gern Kinder, Emely?«
Sie sah ihn mit einem verlorenen Ausdruck an. »Jetzt nicht mehr. Es hat sich alles geändert. Es ist wie in der Natur. Werden und Vergehen. Auch Liebe kann sterben, wenn man gedemütigt wird. Ich bin nicht verrückt, nein, ich bilde mir das alles nicht ein. Es ist nur schwer, gegen einen unsichtbaren Feind zu kämpfen.«
»Sie dürfen sich nicht unterkriegen lassen, Emely. Sie müssen sich wehren.«
Sie nickte. »Das werde ich. Es hat mir gutgetan, mit Ihnen zu sprechen.«
»Fee würde sich sehr freuen, wenn Sie sie auch besuchen würden. Sie haben Freunde, auf die Sie sich verlassen können.«
Wendy war schon seit einer halben Stunde in der Praxis, aber sie konnte auch lautlos arbeiten, wenn niemand sie ärgerte. Es war ruhig an diesem Nachmittag, und sie hatte sich schon gedacht, daß Dr. Norden einen besonderen Patienten hatte. Sie gestattete sich einen langen, forschenden Blick auf Emely, die mit einem freundlichen Gruß an ihr vorbeiging, während Dr. Norden zu Wendy sagte, daß die Sprechstunde nun beginnen könne. »Bevor Sie sich Gedanken machen, Wendy, das war eine Kollegin«, erklärte er.
Mehr