IMMODESTIA. Philipp Spiering

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Название IMMODESTIA
Автор произведения Philipp Spiering
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783982039626



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       „Hi Mila“, sagte der Große.

       “Hey”, antwortete Mila.

       “Hey? Hey was? Hast du meinen Namen vergessen? Das sagst du doch nur, um mir weh zu tun“, sagte der Große ironisch und zwinkerte.

       „Luca“, sagte Mila und war sich plötzlich sicher, dass das der richtige Name war.

       „Na geht doch“, Luca lachte und setzte sich neben den alten Peter auf einen Barhocker. Sein Freund nahm neben ihm Platz.

       „Das ist Daniel Niro, ein Kollege von mir.“

       „Ein Geschäftskollege?“, fragte Mila abwertend und widmete sich dem abzutrocknenden Geschirr.

       „Noch nicht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Gib uns zwei Bier, bitte.“

       Mila drehte sich zum Zapfhahn um und hörte Luca flüstern: „Sie ist nicht schlecht, das kann ich dir versprechen.“

       „Du hattest sie?“, fragte der Kleine.

       „Und kann sie nur empfehlen.“

       Ekelhafter Kerl, dachte Mila bei sich. Sie stellte die zwei vollen Biergläser geräuschvoll auf die Theke.

       „Jetzt ist aber gut, Jungs“, sagte sie und für einen Augenblick traf sich ihr Blick mit dem des Kleinen.

      Mila Sommers Augen wirkten müde und reflektierten, was die Schminke so verzweifelt versuchte zu vertuschen. Ihre ausgelaugte Seele. Ihren gebrochenen Geist.

       Und doch konnte sich Daniel nicht daran erinnern, schon einmal schönere Augen gesehen zu haben.

      Verzasca

      In der weißen Villa auf Fuerteventura herrschte gute Stimmung.

       Antonio Fiore hatte all seine Freunde und Geschäftspartner auf der Insel zusammenkommen lassen, um einen alkohol- und sexlastigen Abend mit ihnen zu verbringen.

       Paulo Verzasca betrachtete die dafür angemieteten Frauen misstrauisch. Einige von ihnen hatte er bereits öfter auf dem Grundstück gesehen, einige waren neu.

       Er fand sie widerwärtig. Sie lachten über jeden schlechten Witz und beugten sich dabei so weit wie möglich nach vorne, damit die vor Lust und Naivität strotzenden Kerle noch weiter in ihren Ausschnitt gucken konnten, als es sowieso schon möglich war.

       Sie waren hübsch, allesamt, keine Frage. Aber Paulo konnte seine Abscheu gegen sie nicht zügeln. Er sah herüber zu seinem Mentor, aber sein Blickfeld war verdeckt von einem übergewichtigen Mann, der fröhlich und auf einer Zigarre kauend seinen Arm um eine junge Latina legte.

       Paulo nippte an seinem Whiskey. Er trug heute eine beige Hose, genau wie Fiore. Und auch auf ein weißes Hemd hatte sein Mentor bestanden.

       „Wer ein so gutes Team bildet, sollte auch als ein solches auftreten“, hatte Fiore gesagt. Zu seiner Verteidigung war zu sagen, dass er zu diesem Zeitpunkt schon mehr als nur angeheitert gewesen war. Und obwohl Paulo von Kitsch wie abgestimmten Outfits kein Freund war, freute er sich insgeheim darüber, dass Fiore seine Dienste würdigte.

       Paulo zog eine Schachtel Chesterfields aus seiner Hosentasche. Er rauchte nicht regelmäßig, verspürte aber ab und an das starke Verlangen nach Nikotin. Er verließ den Raum, ging einen Korridor entlang und öffnete an dessen Ende eine Glastür, die auf einen großflächigen Balkon führte. Er zog eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie sich an. Er genoss den durch seine Lungen strömenden Rauch, stützte sich mit den Händen am Geländer ab und schaute aufs Meer. Das Rauschen der Wellen beruhigte ihn. Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter.

       „Paulo, was zur Hölle machst du hier draußen?“, fragte Antonio Fiore lallend.

       „Antonio, ich habe Sie gar nicht kommen hören.“

       „Und doch bin ich hier“, sagte Fiore und lachte lauthals auf, erheitert von seinem eigenen Witz, der eigentlich gar keiner war. Als er sich wieder unter Kontrolle hatte, sprach er weiter: „Komm jetzt rein. Guck dir doch mal diese Schnitten da drinnen an, wie kannst du bei denen überhaupt noch klar denken?“

       „Danke, aber ich denke, ich passe heute“, antwortete Paulo und fügte hinzu: „Irgendwer muss ja wachsam bleiben.“

       Fiores Lächeln erstarb.

       „Ja, du bist jetzt mal wachsam, du undankbarer Bengel. Da drinnen sind die teuersten Nutten, die ich auf dieser scheiß Insel auftreiben konnte. Und ich bezahle sie nicht fürs Nichtstun. Du gehst da jetzt rein und fickst eine von denen. Oder bist du schwul, verdammte Scheiße?“

       „Nein.“

       „Dann beweg deinen Arsch.“

       Paulo schätzte kurz ab, inwieweit sein Mentor es ernst meinte, kam zu dem Schluss, dass er Humor gerade vergeblich suchte, nahm einen letzten Zug von seiner Chesterfield, schnippte die Zigarette über das Geländer und folgte Fiore wieder herein. Er versuchte, sich seine Abscheu nicht anmerken zu lassen, als er eine Blondine, die den einen Teil ihrer Zeit auf dem Laufband und den anderen Teil im Bett mit fremden Männern zu verbringen schien, zu sich winkte. Ohne große Worte führte er sie in eines der Gästezimmer.

       „Zieh dich aus“, sagte er, als sie sich umschaute und mit Smalltalk beginnen wollte.

       Man merkte, dass es sich bei den Frauen um Edelhuren handelte. Sie wurden geschult, persönliche Gespräche zu führen und mit dem Freier ein vertrautes Verhältnis aufzubauen, bevor sie sich mit ihm niederließen und ihrem Job nachkamen.

       Die Blondine hatte vor, etwas zu erwidern, aber Paulo legte seinen rechten Zeigefinger auf ihre vollen Lippen.

       „Zieh dich aus“, wiederholte er.

       Die Hure lächelte gekonnte verlegen und begann, ihr kurzes schwarzes Kleid den trainierten Körper nach unten zu schieben, bis es auf den Boden fiel und ihre seidene Unterwäsche zum Vorschein kam. Paulo spürte für einen Augenblick starke Erregung, die sofort abebbte, als sich seine Vergangenheit in seinen Kopf drängte.

       Die Hure kam auf ihn zu, packte in seinen Schritt.

       „Was ist denn los?“, fragte sie liebenswürdig. Auch das war sicher Teil ihres Berufs. Liebenswürdig zu wirken.

       „Es tut mir leid“, sagte Paulo, "Du bist eine schöne Frau. Aber ich kann nicht."

       „Entspann dich“, sagte die Hure.

       Paulo schlug ihre Hand weg.

       „Ich sagte, ich kann nicht“, sagte er dieses Mal etwas eindringlicher. Dann fügte er hinzu: „Aber wir bleiben noch eine Weile hier. Und dann wirst du den Rest des Abends nicht von meiner Seite weichen, hast du verstanden?“

       Er wollte nicht, dass Fiore ihn für undankbar hielt. Das war schlecht für seine Karriere.

       Die Hure lachte.

       Paulo verlor die Kontrolle.

       Er riss eine Vase vom Nachttisch, zerschlug sie an dessen Kante, packte die Blondine am Hals und hielt eine Scherbe drohend vor ihr Gesicht.

       „Hast du verstanden?“, zischte er.

       Die Hure nickte.

       Ansonsten verlief der Abend ruhig.

      Niro

      Daniel wurde durch das Klingeln seines Handys geweckt. Bevor er die Augen aufschlug, um den Anruf entgegenzunehmen, war ihm, als hätte sich irgendetwas in seinem Leben in Bewegung gesetzt. Es war nur eine Hoffnung, ein Wunsch, aber er war dankbar dafür.

       Nach ein paar Gläsern Bier war Luca auf Daniels Job zu sprechen gekommen. Erst hatte Daniel ausweichende Antworten gegeben, aber dann hatte er gemerkt, dass Lucas Interesse nicht gespielt war. Also hatte er begonnen, mit aller Ehrlichkeit zu erzählen.