Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt

Читать онлайн.
Название Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt
Автор произведения Jacob Burckhardt
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9788027213764



Скачать книгу

im Linnenkleid, welcher sich mit priesterlichem Klaggeheul in das Gemach der vornehmen römischen Dame drängt, das die Eunuchen der grossen Syrischen Göttin soeben verlassen haben. Die letztern bettelten bloss, der im Anubiskostüm auftretende Anführer der Isispriester dagegen darf obendrein drohen und Bussen auflegen für gewisse angenehme Sünden; und gälte es auch ein Bad in der Tiber mitten im Winter – er wird Gehorsam finden, denn die Dame hat einen festen Glauben und meint selber im Schlaf der Isis Stimme zu hören. – Vom zweiten Jahrhundert an erhält dann der Isisdienst wie derjenige der Magna Mater einen höhern Ton und wahrscheinlich auch grössere Würde durch die Teilnahme der Kaiser und der höhern Stände340. Der Unterschied im Vergleich mit der frühern Übung war so gross, dass die Ansicht entstehen konnte, erst Commodus oder Caracalla hätten diesen Kultus nach Rom gebracht. Bei den grossen Prozessionen gibt es fortan Pausae, das heisst Halteplätze, vielleicht mit besonderer baulicher Ausschmückung. Commodus liess einen solchen Festzug in einer Halle seiner Gärten in Mosaik darstellen. Er selber, als Priester geschoren, pflegte bei solchen Anlässen das Bild des Anubis zu tragen und mit dessen Schnauze die nebenan gehenden Isispriester arg auf den Kopf zu treffen. Bei weitem die umständlichste Schilderung einer Isisprozession jedoch, welche für die Opferzüge dieser Zeit überhaupt zum Maßstab dienen kann, gibt Apuleius im letzten Buch seiner Metamorphosen. Die Szene ist in das ausgelassene Korinth verlegt. Der Zug beginnt im heitersten Carnevalsstil, mit den bunten Masken von Soldaten, Jägern, Gladiatoren, prächtig frisierten Frauenzimmern, Magistratspersonen, Philosophen (mit Mantel, Stab, Pantoffeln und Bocksbart), Vogelstellern und Fischern; dann folgt ein zahmer Bär als alte Dame verkleidet auf einem Tragstuhl, ein Affe als Ganymed mit einer Mütze und orangefarbenem Kleidchen, in der Hand einen goldenen Becher, sogar ein Esel, mit angesetzten Flügeln zum Pegasus travestiert, und nebenher laufend ein gebrechliches Männchen als Bellerophon. Nun erst eröffnet sich die eigentliche Pompa; weissgekleidete, bekränzte Frauen, die Toilettedienerinnen der Isis, streuen Blumen und Wohlgerüche und gestikulieren mit Spiegeln und Kämmen; eine ganze Schar beiderlei Geschlechtes folgt mit Lampen, Fackeln und Kerzen, wie zur Huldigung an die Gestirngottheiten; darauf Saitenspieler, Pfeifer und ein weissgekleideter Sängerchor; dann die Flötenspieler des Serapis, eine rituelle Tempelmelodie blasend, nebenein Herolde, um Platz zu schaffen. Sodann kommen die Eingeweihten jedes Standes und Alters, in weissem Linnenkleid, die Frauen mit gesalbtem Haar und durchsichtigem Schleier, die Männer glatt geschoren; die Sistren, die sie rauschend schwingen, sind je nach dem Vermögen von Silber und selbst von Gold. Jetzt erst erscheinen die Priester selbst mit den geheimnisvollen Symbolen der Göttin: Lampe, Altärchen, Palmzweig, Schlangenstab, offner Hand und mehrern Gefässen von besonderer Form; andere tragen die eigentlichen Götter, das Bild des Anubis mit halb schwarzem, halb goldenem Hundskopf, eine aufrecht stehende Kuh, eine mystische Kiste; endlich folgt der Oberpriester, die goldene Urne mit Schlangenhenkeln, welche die Göttin selber darstellte, an die Brust drückend. In dieser Ordnung bewegt sich der Zug aus der Stadt Korinth, wohin der Romanschreiber seine Szene verlegt, ans Meer hinab. Hier wird das bunt mit Hieroglyphen bemalte »Isisschiff« unter vielen Zeremonien mit Wohlgerüchen und Weihgeschenken gefüllt und angesichts der am Strand aufgestellten Heiligtümer den Wellen übergeben; die Inschrift seines Segels »für glückliche Schiffahrt im neuen Jahre« und das anderweitig bekannte Datum des überall von den Römern gefeierten navigium Isidis, der fünfte März, geben die Erklärung des ganzen Festes, welches die Eröffnung des während des Winters geschlossenen Meeres verherrlichen sollte341. Denn gerade in dieser ihrer spätesten, nichtägyptischen Eigenschaft als Herrscherin der See geniesst Isis am Mittelmeer ausdrückliche Verehrung, und die Korinther an ihren beiden schiffreichen Golfen mussten ihr besonders ergeben sein. Die Prozession kehrt in den Tempel zurück, vor dessen Pforte ein Priester von einer hohen Kanzel herab einen Glückwunsch oder Segen spricht über den Kaiser, den Senat, die Ritter, das römische Volk, die Schiffahrt und das ganze Reich; er schliesst mit der Formel λαοι̃ς άφεσις, welche mit dem ite, missa est! des christlichen Gottesdienstes gleichbedeutend ist. Bei dieser ganzen Feier unterscheiden sich die fröhliche und andächtige Menge und die Eingeweihten der Mysterien, von welchen im folgenden Abschnitt die Rede sein wird.