Название | Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt |
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Автор произведения | Jacob Burckhardt |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027213764 |
Man wird indes nach all diesem zugeben, dass die Mythologie eher eine Last als eine Stütze für die sinkende klassische Religion war. Von der philosophischen Deutung, womit man die Mythen aufrecht zu halten und zu rechtfertigen suchte, wird weiterhin die Rede sein.
Aber diese klassische Religion war noch auf andere Weise getrübt und gebrochen, nämlich durch Mischung mit den Kulturen der unterworfenen Provinzen und des Auslandes. Wir stehen im Zeitalter der vollendeten Theokrasie (Göttermischung).
Dieselbe war eingetreten nicht durch die Völkermischung im Reiche281, oder durch Willkür und Mode allein, sondern durch einen uralten Trieb der vielgötterischen Religionen, sich einander zu nähern, die Ähnlichkeiten aufzusuchen und zu Identitäten zu erheben. Zu allen Zeiten ist dann aus den Parallelen dieser Art die reizende Idee einer gemeinsamen Urreligion hervorgegangen, die sich jeder auf seine Weise ausmalt, der Polytheist anders als der Monotheist282. So suchten und fanden sich, teils unbewusst, teils mit philosophischem Bewusstsein, die Bekenner ähnlicher Gottheiten vor denselben Altären. Man erkannte die hellenische Aphrodite gern wieder in der Astarte der Vorderasiaten, in der Athyr der Ägypter, der Himmlischen Göttin der Karthager, und so ging es der Reihe nach mit einer ganzen Anzahl von Gottheiten. Dies ist es auch, was noch in der spätern römischen Zeit vorzüglich beachtet werden muss; die Göttermischung ist zugleich auch eine Götterverwechselung; die Fremdgottheiten verbreiten sich nicht nur neben den einheimischen, sondern sie werden denselben je nach der innern Verwandtschaft geradezu substituiert.
Als eine zweite Ursache der Theokrasie erkennt man die gewissermassen politische Anerkennung, welche der Grieche und Römer, ja der Polytheist überhaupt den Göttern anderer Völker zollt. Sie sind ihm Götter, wenn auch nicht die seinigen. Kein strenges dogmatisches System hütet hier die Grenzen des heimischen Glaubens; so strenge auch die vaterländischen Superstitionen gewahrt werden, so fühlt man doch gegen die fremden eher Neigung als Hass. Einzelne feierliche Götterübertragungen von Land zu Land werden von Orakeln und andern überirdischen Mahnungen geradezu befohlen; so die des Serapis von Sinope nach Alexandrien unter Ptolemaeus dem Ersten283, und die der Grossen pessinuntischen Mutter nach Rom während des zweiten Punischen Krieges. Bei den Römern war es dann fast zum bewussten halb politischen, halb religiösen Prinzip geworden, die Götter der vielen unterworfenen Nationen nicht zu beleidigen, eher ihnen Verehrung zu erweisen, ja sie unter die eigenen Götter aufzunehmen. Das Benehmen der Provinzen war hiebei ein sehr verschiedenes; der Kleinasiate zum Beispiel kam bereitwillig entgegen; der Ägypter dagegen hielt sich spröde und übersetzte, was er von Ptolemäern und Römern annahm, in seinen Ritus und seine Kunstform, während ihm der Römer den Gefallen tat, die ägyptischen Götter wenigstens annähernd auch in ägyptischer Gestalt zu verehren. Der Jude endlich liess sich mit der römischen Religion gar nicht ein, indes die Römer von gutem Ton seinen Sabbath beobachteten, und die Imperatoren im Tempel auf Moriah zu beten kamen. Es gestaltet sich, wie wir sogleich sehen werden, eine teils mehr aktive, teils mehr passive Göttermischung.
Eine dritte Ursache des Überhandnehmens der Fremdkulte lag in der Furcht und Angst, welche den gegen die bisherigen Götter ungläubig gewordenen Heiden verfolgt. Jetzt hiess es nicht mehr in dem schönen Sinn früherer Jahrhunderte »Götter überall«, sondern der Denkende suchte täglich neue Symbole, der Gedankenlose täglich neue Fetische, die um so willkommener waren, je ferner und geheimnisvoller ihre Herkunft schien. Die Verwirrung musste hier noch aus einem besondern Grunde sich vervielfältigen. Der Polytheismus alter Kulturvölker lebt nämlich auf allen seinen Entwicklungsstufen284 zugleich fort, als Fetischismus betet er fortwährend zu Aerolithen und Amuletten, als Sabäismus zu Gestirnen und Elementen, als Anthropomorphismus teils zu Naturgöttern, teils zu Schutzgöttern des