Название | Gesammelte Werke von Johanna Spyri |
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Автор произведения | Johanna Spyri |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027209026 |
»Du musst nicht Angst haben, Mutter, es wird nicht so hitzig zugehen, der Herr Pfarrer ist ja dabei«, sagte Kurt tröstlich.
Jetzt hörte man rasche Schritte draussen, dann wurde die Tür aufgerissen, Bruno kam herein; er war blass vor Zorn: »Die zwei gemeinen Kerle! Die boshaften Schufte! Die heimtückischen Heuchler! Die, die -«
»Nein, Bruno, nicht weiter«, unterbrach die Mutter, »du bist ja ganz ausser dir. Komm, setzt dich her zu uns, und wenn du ruhig geworden bist, erzählst du, was dir begegnet ist, ohne zu schimpfen.« Es währte eine ziemliche Zeit, bis Bruno so weit beruhigt war, dass er, ohne noch einmal in Zornesausbrüche zu verfallen, erzählen konnte, was ihm begegnet war: In der Unterrichtsstunde war heute das Schloss von Hohenems genannt worden, und der Herr Pfarrer hatte seine Schüler gefragt, ob sie schon oben auf der Ruine des Schlosses gewesen und sie sich recht angeschaut hätten; das hatte nun keiner je getan. Der Herr Pfarrer lud sie zu einem Spaziergang dorthin ein. Es war weit, und nachdem sie die Ruine gründlich angeschaut hatten, führte sie der Herr Pfarrer noch zum nahen Gasthaus, um sie zu bewirten. So war es schon dunkel geworden, als sie auf die Dorfstrasse hinunterkamen. »Dort, wo der Fussweg, von dem grossen Bauerngut kommend, die Strasse kreuzt«, fuhr Bruno fort, »kam eben das Loneli dahergelaufen, eine volle Milchflasche am Arm. Schnell hielt der eine der Knippeljungen, Edwin, seinen Fuss vor, und Loneli stürzte der Länge nach hin, die Milchflasche flog weit weg, und die Milch rann wie ein weisses Bächlein über die Strasse hin. Die zwei Buben wollten ersticken vor Lachen. Dem Edwin konnte ich eine tüchtige Ohrfeige versetzen«, schloss Bruno, neuerdings in Zorn geratend, »dem Feigling! Er lief dann gleich dem Herrn Pfarrer nach, der voraus war und nichts gesehen hatte. Loneli ging ganz still und leise weinend davon. Alle beide hätte man packen sollen und sie tüchtig -«
»Ja, und nun wird das Loneli noch gescholten daheim von der Grossmutter, wenn es die Milch verschüttet hat«, fiel Mea ein; »sie meint immer, es sei leichtfertig und an allem selbst schuld, wenn ihm einer etwas zuleide tut, und für das geringste Fehlerchen wird es gleich abgestraft.«
»Es wert sich aber auch nicht«, sagte Kurt halb grimmig, halb mitleidig. »Die zwei sollten nur dem Clevi einmal etwas tun, die wären bald verkratzt, die Apollonie hat das Loneli verkehrt erzogen.«
»Kurt, sähest du es gerne an Loneli, wenn es einem Buben so ins Gesicht springen und ihn zerkratzen würde?« fragte die Mutter.
Kurt meinte nach einigem Besinnen: »Nein, eigentlich doch nicht.«
»Ist euch nicht allen das Loneli darum so lieb, weil es nie grob wird, immer freundlich und gefällig und auch immer heiter ist? Es ist ja auch der Grossmutter recht lieb; aber sie ist eine sehr ehrbare Frau und hat Sorge um das Kind, dass es auf guten Wegen bleibe. Sollte sie in der Aufregung über die verschüttete Milch dem Kinde die Schelte erteilt haben, die den ungezogenen Jungen gehört hätte, würde es mir ja auch leid tun, und gewiss der Apollonie selbst, wenn sie nachher hört, wie sich die Sache in Wirklichkeit verhält.«
»So will ich gleich noch hinlaufen und es ihr sagen«, schlug Kurt vor. Aber die Mutter erklärte ihm, dass sowohl die Grossmutter als auch die Enkelin längst im tiefen Schlafe liegen würden.
»So kommt jetzt noch die Geschichte vom Schloss Wildenstein zum Schluss?« meinte er. Aber die Mutter hatte sich schon erhoben und zeigte nach der alten Wanduhr, wo Kurt sehen konnte, wie weit die gewöhnliche Zeit des Schlafengehens schon überschritten war. Da morgen der Sonntag mit seinem ruhigen Abend, frei von aller Schularbeit, folgte, gab er sich zufrieden, in der Aussicht auf eine um so ungestörtere Zeit zum Erzählen. Auch Bruno war beruhigt. Dass die Mutter die Sache, die ihn so aufgebracht hatte, auch schändlich gefunden und für die Gemeinheit der beiden keine Entschuldigung vorgebracht, hatte ihn besänftigt. Dem Herrn Pfarrer hatte er ja keine Anzeige machen können, anklagen war verpönt; aber jemand musste die Sache wissen und mit ihm fühlen und seine Entrüstung teilen, das hatte die Mutter getan. Bald lag das Haus still und friedlich inmitten der duftenden Apfelbäume, und obenüber zog leuchtend der goldene Mond und schaute so freundlich hernieder, als hätte er ein Wohlgefallen daran, das Haus so friedlich still zu sehen, das am Tage von soviel Leben und lärmender Bewegung erfüllt war.
Allerlei Unruhe
Bevor die Mutter am Sonntagmorgen zur Kirche ging, trat sie immer noch einmal in die Wohnstube ein, um zu sehen, ob sich die Kinder fest und ruhig bei ihren verschiedenen Unterhaltungen niedergelassen hatten, so dass sie hoffen konnte, es bleibe während ihrer Abwesenheit alles in guter Ordnung. So tat sie auch heute. Es sah recht friedlich aus in der Stube. Bruno und Mea sassen jedes in einem Winkel in ein Buch vertieft, Kurt hatte seine Zeichnungen vor sich auf dem Tisch ausgebreitet, Lippo und Mäzli bauten auf ihrem Tischchen ganz geruhlich eine schöne Stadt mit Kirchen und Türmen und grossen Palästen. Die Mutter war befriedigt und ging. Eine Zeitlang war alles still. Jetzt fiel ein heller Sonnenstrahl auf Kurts Zeichnung und spielte lustig um die Papiere auf dem Tisch. Kurt schaute auf und sah, wie es draussen über die Wiesen leuchtete: »Den zwei boshaften Milchverderbern von gestern gehörte, dass sie für den ganzen sonnigen Sonntag eingesperrt würden«, brach Kurt plötzlich los.
Der Mea musste die Sache auch wieder aufgestiegen sein. Sie stimmte gleich so lebhaft ein, als habe sie sich gerade mit demselben Gedanken und in ganz derselben Weise beschäftigt. Nun mussten sich die beiden noch einmal über die ganze Sache besprechen und ihrer Entrüstung über die Übeltäter, wie ihrem Mitleid für Loneli Luft machen. Bruno blieb schweigend über sein Buch gebeugt. Dem Mäzli musste das Gespräch unterhaltend vorkommen; es guckte zu den Geschwistern hinüber und liess den Lippo alles anstellen, wie es ihm gefiel, was sonst gar nicht der Fall war. Erst als die Geschwister wieder still waren, kam es zu dem Stadtbau zurück.
»Potz tausend, was hab ich vergessen«, rief Kurt, auf einmal wieder von seiner Zeichnung auffahrend, »du hättest aber auch etwas sagen können, Mea, du hast es auch gehört: morgen müssen wir dem Lehrer Kleider für die Abgebrannten bringen, und die Mutter weiss noch nichts davon.«
»Ich habe es auch vergessen«, sagte Mea ruhig und fuhr zu lesen fort.
»Die Mutter weiss es schon lange, ich habe es ihr gleich gesagt«, fiel Lippo ein, »der Lehrer hat ja gesagt, wir dürfen es nicht vergessen.«
»Ganz richtig, kleiner Schulfuchs«, erwiderte Kurt und zeichnete ruhig weiter. Da es nun so stand, dass die Mutter um die Sache wusste, hatte er sich nicht mehr darum zu kümmern.
Mäzli hatte soeben etwas vernommen, das sehr anregend auf seine Vorstellungskraft wirkte. Plötzlich warf es Häuser, Türme und Kirchen übereinander und drängte Lippo: »Komm schnell, wir wollen etwas machen, das viel lustiger ist, und die Mama ist froh darüber.«
Es wunderte Lippo, was es wohl sein könnte, worüber die Mutter so froh sein würde; aber wie auch das Mäzli trieb und drängte, er nahm erst die grosse Schachtel zur Hand und legte ordentlich ein Stück neben das andere hinein.
»So macht man’s nicht, so währt es eine Stunde lang«, rief Mäzli ungeduldig; »man wirft schnell alles hinein und tut den Deckel drauf, und dann ist’s fertig.«
»Das darf man nicht, das darf kein Mensch«, sagte Lippo ernsthaft. »Zuerst muss man immer ganz ordentlich das erste zusammenpacken und wegräumen, ehe das zweite kommt.«
»So lauf ich dir fort«, zeigte Mäzli an und huschte zur Tür hinaus.
Als