Gesammelte Werke von Johanna Spyri. Johanna Spyri

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Название Gesammelte Werke von Johanna Spyri
Автор произведения Johanna Spyri
Жанр Книги для детей: прочее
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Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788027209026



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und so plötzlich von hier fort. Nur die Ankunft von Vater und Schwester versöhnt mich mit dem Gedanken, und die Hoffnung, die Freunde, die ich hier gefunden, wiederzusehen.«

      Der Baron blieb stumm an seinen Baum gelehnt. Auch die Freundinnen schauten schweigend, wie über den Felsenhöhen Stern um Stern erglomm und die erbleichten Gletscher nach und nach im Horizont verschwammen. Der Abendwind wehte kühl über den Hügel hin. Die Festfeiernden standen auf von der Bank, um die für alle drei ein Hauch unvergeßlicher Herrlichkeit wehte. Sie sollten sich nicht wieder da zusammenfinden.

      Alice wünschte noch einmal die Mutter des lahmen Kindes zu sehen. Die Freundinnen gingen am folgenden Abend dahin, sie wußten, daß nur um diese Zeit die Frau zu finden war. Sie kam ihnen entgegen. Hedwig ließ die beiden allein und ging dem Hause zu. Das Kind saß nicht mehr unter dem Kirschbaum, die Abende waren zu kühl geworden; über die Mittagsstunden hätte es wohl noch draußen sitzen dürfen, aber da war niemand, es hin und her zu tragen.

      Hedwig trat in das Haus ein. Da saß Juliette in ihrer Ecke in der niedrigen Stube, um sie herum lagen ihre Güter. Mit besonderer Freude hatte sie sich nun auf die Bilderbücher mit den Erzählungen geworfen. Ein junges Mädchen vom Orte hatte angefangen, sie lesen zu lehren. Nun war ein ganzer Eifer dafür in ihr erwacht. Diesmal habe sie auch gar nicht weinen müssen, wie sonst, erzählte Juliette, wenn sie nicht mehr hinaus konnte, nun sei es so anders in der Stube. Sonst habe sie immer denken müssen, sie könne es nicht erleben, daß der Winter ein Ende nehme, und nun habe sie so viel zu tun; bis der Frühling käme, würde sie nicht einmal fertig, alle Bilder recht zu kennen, und dann erst noch alle Geschichten! Noch einmal mußte Hedwig sie alle ansehen und raten, was zuerst sollte gelesen werden, und einstimmen in des Kindes unermüdliches Ergötzen.

      Jetzt traten Alice und die Mutter herein. Diese hatte geweint, aber sie schien wohlgemut zu sein und sprach gleich mit warmen Worten von der Erleichterung, die ihr durch die unbegreifliche Wohltat an dem Kinde für den Winter geworden sei.

      Als Hedwig der Frau die Hand zum Abschied reichte, sagte diese auf Alice blickend: »Es weiß doch kein Mensch, der's nicht erfahren hat, wie wohl es einem armen Geschöpfe tut, wenn eine freundliche Menschenseele, die weiß, was Kummer und Angst ist, so tröstliche Worte zu ihm redet.« –

      Am Tage darauf kam für Alice der Ruf zur Abreise. Sie hatte sich auf den folgenden Tag bereit zu machen und auf der Station mit den Ihrigen zusammenzutreffen, um das Rhonetal hinauf dem Simplon zuzueilen, der noch in diesen milden Tagen passiert werden sollte.

      Am leicht bewölkten Morgen zogen einmal noch die drei, die so oft diese Wege zusammen durchwandert hatten, dem Stationsgebäude zu. Dort rannte eine Menge von Passagieren durcheinander, man wußte nicht recht, wo sich hinstellen. Der Baron bemühte sich um die nötigen Reiseanordnungen, Alice hatte sich mit ihm zu verständigen. Hedwig trat auf den Perron hinaus, wo der Zug schon angekommen war. Vor der Türe eines Waggons stand einer der Passagiere, eine große, kräftige Männergestalt. Hedwig wußte augenblicklich, wen sie vor sich sah: das edle Angesicht, von reichem grauem Haar umwallt, zeugte von unzerstörbarer Jugendfrische; er trug durchaus Alicens Züge, wenn auch mit männlichem Gepräge.

      Hoch aufgerichtet stand der Mann oben und schaute mit vollkommener Ruhe auf die hastig suchende, schreiende, hin und her rennende Schar der Mitreisenden nieder. Er sah ganz aus wie einer, den nichts so leicht erregt, der aber, einmal in Aufregung gebracht, die ganze Welt zur Türe hinauszuwerfen im Stande wäre.

      Aus dem Fenster schaute ein junger Mädchenkopf, rings herum suchend, mit sichtlichen Zeichen großer Ungeduld. Jetzt trat Alice heraus, gefolgt von dem schirm- und schalbeladenen Baron. Der Mädchenkopf am Fenster tat einen Freudenruf. Alice sprang auf die Stufen und verschwand mit ihrem Vater im Wagen. Aber noch einmal kam sie heraus, noch einmal wurden die Hände gedrückt zum Abschied. Dann schauten noch einmal ihre sprechenden Augen nach den Freunden aus, und nun rauschte der Zug dahin und verschwand im grauen Felsental.

      Schweigend gingen der Baron und Hedwig den Weg hinein zum Pensionshause zurück, wo sie sich trennten. Warum weder das eine noch das andere ein Wort sprechen konnte, das wußte eines so gut wie das andere. Am Abend trafen sie auf der steilen Strecke am Hügelwege wieder zusammen. Sie hatten nichts verabredet, aber es kam beiden vor, als könnte es nicht anders sein, als daß sie dort hinauf gehen müßten. Bei der Bank angekommen, warf der Baron sich auf den Boden nieder, Hedwig setzte sich an die bekannte Stelle. Eine lange Weile verging, es sagte keines ein Wort. Endlich brach der Baron los:

      »Hier halt' ich's nicht mehr aus; es ist geradezu, als sei die Erde ringsum wüst und leer geworden und alles vorbei.«

      »Mir ist nicht viel anders als Ihnen«, sagte Hedwig; »ich kann es auch kaum ertragen, daß alles vorbei ist.«

      Nun schütteten die beiden einander ihr Leid aus, es tat ihnen wohl, auszusprechen, wie weh jedem zu Mute war. Dann folgte wieder ein langes, lautloses Schweigen. Welch' reiche, schmerzliche und liebliche Erinnerungen umwehten all' die Wald- und Wiesenpfade, die man von hier erblickte, die Hedwig mit Alice durchwandert hatte.

      Der Baron mochte seinen eigenen Gedanken nachgehen. Mehrere Male schon hatte er den Versuch gemacht, etwas zu sagen, aber es gelang ihm nicht. Jetzt fing er nochmals an.

      »Sagen Sie mir, wollen Sie mir als gute, alte Freundin einen Rat geben?«

      »Von Herzen gern und treulich«, antwortete Hedwig.

      »So sagen Sie mir – glauben Sie – was meinen Sie, wenn ich auch nach Italien ginge? Ich meine, ob ich – ob sie – ob wir beide –« Der Baron stockte.

      »Gehen Sie nicht nach Italien«, fiel Hedwig ein. »Sagen Sie mir nichts weiter; aber glauben Sie mir, gehen Sie nicht nach Italien jetzt.«

      »Sind Sie sicher?«

      »Ja, ganz sicher.«

      »So. Dann geh' ich heim zur Mutter«, sagte der Baron halb komisch, halb schmerzlich resigniert.

      Am folgenden Morgen, als Hedwig aus dem Frühstückszimmer auf die Veranda heraustrat, stand der Baron völlig reisefertig draußen. Der bepackte Wagen vor der Tür bestätigte Hedwigs Vermutung.

      »Sie reisen, jetzt gleich?« fragte sie erstaunt.

      »Ja«, erwiderte er, »je schneller, je besser; nur fort jetzt, fort, aus allem weg! Aber schön war's hier!«

      Noch einmal schaute er ringsum; seine letzten Blicke schweiften hinauf nach der weinumkränzten Waldhöhe. Dann schüttelte er Hedwig die Hand und stieg in den Wagen.

      Wenige Tage nachher verließ auch Hedwig den lieblichen Erdenwinkel im Rhonetal, unvergeßliche Erinnerungen mit sich tragend.

      Frau v. L. hatte schon längere Zeit vorher die Pension verlassen, nicht ohne Hedwig noch einmal wohlmeinend ihren Weg, den sie als den einzig richtigen erkannt wissen wollte, ins Gedächtnis zu rufen. Hedwig erkannte gern die Wohlmeinenheit an; aber auf dem Wege konnte sie nicht folgen.

      Nur die lahme Juliette ließ sie allein noch als nahe Bekannte zurück, eine Bekannte, von der ihr der Abschied leid tat. Auch Hedwigs letzte Blicke beim Fortgehen suchten nach der Bank am waldumsäumten Rebenhügel.

       Inhaltsverzeichnis

      Ein Jahr war vergangen. Die letzten Oktobertage mit ihrem milden Sonnenschein hatten in Hedwigs Herzen das Andenken an die vergangenen sonnigen Herbsttage lebendig wachgerufen. Mit Alice war sie in fortwährendem Verkehr geblieben. Die Reisenden hatten im Frühjahr Italien verlassen und waren nach Norddeutschland gezogen, um da die zahlreichen Verwandten der verstorbenen Mutter aufzusuchen und den Sommer mit ihnen zu verleben. Auf den Spätherbst gedachten sie nach ihrem Sitze in Südfrankreich zurückzukehren. Alice hatte die Waldhügel des Rhonetals in warmem Andenken behalten.

      »Nicht die Pinien des Südens«, hatte sie geschrieben, »noch die herrlichen Buchenwälder hier auf Rügen haben sich so tief in mein Herz gegraben wie die Wipfel jener dunklen Kastanienbäume, auf welche eine einsame Bank am