Название | Gesammelte Werke von Johanna Spyri |
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Автор произведения | Johanna Spyri |
Жанр | Книги для детей: прочее |
Серия | |
Издательство | Книги для детей: прочее |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027209026 |
»Kurt«, sagte sie leise, »tut dir etwas weh?«
Er erwachte: »Oh, bist du’s, Mutter?« sagte er, ihre Hand ergreifend, »ich habe geglaubt, der Geist von Wildenstein strecke seinen furchtbar langen Arm nach mir aus.«
»Du hast geträumt, denk nur an solches Zeug auch am Tage nicht«, sagte die Mutter freundlich. »Hast du auch dein Nachtgebet gesagt nach allen unruhigen Gedanken des Tages?«
»Nein, es kam mir noch soviel in den Sinn, und dann habe ich es vergessen«, gestand Kurt.
»Tu es jetzt, dann wirst du ruhig einschlafen«, sagte die Mutter. »Aber Kurt, vergiss eines nicht, der liebe Gott hört unser Gebet nur dann an und tröstet und beruhigt uns, wenn wir erst unser Herz ganz vor ihm aufschliessen und kein Unrecht vor ihm verbergen wollen. Das weisst du ja, Kurt, nicht wahr?«
Kurt stöhnte leise: »Ja.«
Die Mutter gab ihm den Gutenachtkuss und verliess ihn.
Schwere Luft
Seit einigen Tagen war es, als ob im Hause der Frau Maxa ein Druck auf allen Gliedern läge, so dass die gewohnte Fröhlichkeit gar nicht mehr aufkommen konnte. Die Mutter selbst ging schweigsamer als gewöhnlich umher. Der Gedanke, wie es nun mit Bruno kommen solle, lag ihr schwer auf dem Herzen. Sie hatte an ihren Bruder geschrieben, er möchte doch bald kommen, damit sie die Sache besprechen und gemeinsam einen Entschluss fassen könnten. Er hatte geantwortet, dringende Geschäfte zwängen ihn sofort zu einer Reise nach Süddeutschland, doch werde ja nach seiner Rückkehr noch vollauf Zeit dazu da sein, die Sache in Ordnung zu bringen.
Den Bruno, der um die Sache wusste, hatte die Möglichkeit eines gemeinsamen Wohnens mit den zwei Studiengenossen so aufgeregt, dass er heimlich die kühnsten Pläne schmiedete, um solch unerträglichem Zustand entgehen zu können. Warum sollte er nicht einfach verschwinden, wie der junge Baron von Wallerstätten getan hatte, und nach Spanien reisen? Freilich hatte wohl der Herr vom Schloss droben Geld mitzunehmen gehabt, er aber hatte keines. Aber er konnte sich als Schiffsmatrose anstellen lassen und nach China oder nach Australien fahren und dort die Merkwürdigkeiten des Landes und der Einwohner studieren und dann grosse Werke darüber schreiben, so hatte er eine einträgliche Arbeit. Oder konnte er sich nicht einer Gesellschaft herumreisender Sänger anschliessen? Die Mutter hatte ja gesagt, seine Stimme klinge gut, sie wünschte, dass er später Unterricht im Gesang nähme. Mit gerunzelter Stirn konnte Bruno ganze Abende ohne ein Wort zu sprechen dasitzen und seinen Plänen nachsinnen; denn es kostete eine grosse Anstrengung, zu unterscheiden, welcher von allen der beste sein möchte, und dann noch den Weg auszufinden, wie er ausgeführt werden könnte.
Auch auf der Stirn der Mea hatten sich dichte Wolken gelagert; doch war sie dabei nicht so schweigsam wie ihr Bruder. Alle Augenblicke entfuhr ihr ein Ausruf einmal des Schmerzes und einmal der Entrüstung. Wie war es ihr aber auch ergangen?
Als ihre Familie von Sils herauf nach Nollagrund kam, um sich hier niederzulassen, da hatte Elvira sich gleich alle Mühe gegeben, der Mea näherzukommen und Freundschaft mit ihr zu schliessen.
Die Frau Amtsrichter liess eine Einladung nach der anderen ergehen, um den Freundschaftsbund zu beschleunigen, ganz so, wie sie es mit Bruno tat, der auch der nahe Freund ihrer Söhne werden sollte. Freilich, Bruno hatte von Anfang an erklärt, mit den beiden wollte er nicht Freundschaft schliessen, und dass er dieselben Unterrichtsstunden mit ihnen zu nehmen hatte, führte zu nie endenden Kämpfen und Kriegsszenen. Aber Mea hatte ein freundschaftsbedürftiges Herz.
Sie war überglücklich über das Entgegenkommen der Familie Knippel und gab sich gleich mit vollem Vertrauen und den wärmsten Gefühlen der neuen Freundin hin. Freilich zeigten sich bald grosse Verschiedenheiten im Wesen und in den Anschauungen der Freundinnen; aber das störte Mea erst gar nicht in ihrer schwärmerischen Freude, eine Freundin gefunden zu haben. Nach und nach würden sie sich dann wohl verstehen, dachte sie, wenn sie nur erst recht nahe Freundinnen würden, dann würden sie alles ganz gründlich miteinander besprechen und natürlich ganz einig werden. Jetzt kannten sie einander doch noch nicht so recht. Aber je näher nun die Freundinnen bekannt wurden, je mehr und je tiefergreifende Verschiedenheiten kamen zutage, und der Versuch, sich darüber zu verständigen, endete regelmässig in weiterem Auseinanderkommen.
Frau Maxa suchte ihre Kinder nicht nur gegen alles Unrecht und Böse mit Abscheu zu erfüllen, auch alles, was unschön und unedel war, alles Gemeine, das ihr in der Seele zuwider war, suchte sie von ihren Kindern fernzuhalten, ihnen Widerwillen dagegen einzupflanzen. Wenn nun Mea in solchen Dingen auf eine andere Auffassung bei Elvira traf, so hatte sie die Überzeugung, im Recht zu sein, die Mutter hatte ihr ja ihre Anschauung beigebracht. Es musste die rechte sein, und Elvira musste davon überzeugt werden. Dann kehrte Elvira sich von ihr ab, sie wolle keine Predigten, sagte sie.
So war aus der Freundschaft immer noch nicht geworden, was Mea meinte und trotz aller Widerreden des Bruders Kurt immer noch erhoffte. Seit dem Vorgang mit Loneli und den Worten, die Mea in ganz guter Absicht gesagt hatte, weil Elvira ja ihre Freundin war, hatte diese nie mehr mit ihr gesprochen und verharrte durchaus in ihrem Zustand des Grollens. Mea war keine Schmollnatur. Wenn sie sich beleidigt fühlte, dann erstürzten ihr die Worte der Empörung wie einem Krater die feurigen Lavasteine. Nachher war’s wieder gut. Nun musste sie Tag für Tag mit der fort und fort Schmollenden stundenlang auf derselben Schulbank sitzen, dann wieder - ohne ein Wort zu hören und zu sprechen - sich von ihr entfernen. Dieser Zustand war ihr jetzt schon fast unerträglich geworden, und so sollte es nun fortgehen?
Mea stöhnte auf bei dieser Aussicht. Über eines war sie froh in dieser Zeit der Bedrängnis, darüber, dass Kurt in einer so seltsam gedrückten Stimmung war, dass er kaum sprach, sonst hätte er gewiss schon mehrere schreckliche Lieder auf ihre Erlebnisse in der Freundschaft und auf die schmollende Elvira gemacht.
Wirklich ging auch Kurt, der sonst immer fröhliche, seit einiger Zeit so gedrückt umher, als ob er ein schweres Gewicht mit sich zu tragen hätte. Er hatte der Mutter absichtlich etwas verschwiegen. Das wurde nun immer schwerer und schwerer in ihm, darum sah er so gedrückt aus. Warum hatte er auch nicht gleich alles bekannt? Aber die Mutter hätte ihm doch nicht geglaubt, dass er eine Gestalt gesehen hätte, die kein Mensch sein konnte, und er hatte sie doch gesehen. Und dass er schuld daran war, dass nun erst recht alle Leute in Nollagrund an den Geist von Wildenstein glaubten, nachdem die wunderbare Erscheinung gesehen worden war, das kam ihm vor wie ein Verrat an der Mutter; er durfte sie kaum mehr recht anblicken. Oh, wenn er sich doch zu helfen wüsste und wieder froh werden könnte! Das war der einzige Wunsch, der sein Herz erfüllte.
Nur Lippo und Mäzli gingen vergnügt ihre gewohnten Geleise und wussten nichts von beschwerenden Gedanken.
Sobald Mäzli bemerkte, dass im Hause nicht alles mit der gewohnten Fröhlichkeit zuging, suchte es schnell für eine Weile in etwas andere Luft zu kommen; denn eine gedrückte Stimmung war nicht, was ihm behagte. Es wusste auch immer eine Zufluchtsstätte: »Nun muss ich gewiss wieder einmal Apollonie besuchen, Mama«, sagte Mäzli in kurzen Zwischenräumen, immer wieder mit Überzeugung, und die Mutter, die ein grosses Vertrauen in die schützende Hand der Apollonie setzte und auch wusste, wie willkommen ihr diese Besuche waren, liess das Mäzli öfters seinen Weg ziehen. Diesen fand es nun auch ganz gut allein und legte ihn immer ordentlich und ohne Abschweifungen zurück. Kam es dann am Abend wieder, meistens von Loneli begleitet, einen grossen Blumenstrauss in der Hand - denn ohne dieses Geschenk liess Apollonie das Mäzli niemals ziehen -, dann hielt es schnell die Blumen der Mutter hin und rief: »Sie sind wieder da! Sieh nur, sie sind wieder da!«
Und die Mutter schaute erfreut den Strauss und sagte: »Ja, da sind die echten, alten, herrlichen Resedablumen aus dem Schlossgarten wieder, die hat Apollonie in den ihrigen verpflanzt. Aber im Schlossgarten waren sie noch viel prächtiger, wie dort sind sie nirgends sonst zu finden.« Dann zog sie mit Wonne den süssen Blumenduft ein.
Mäzli steckte