Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

Читать онлайн.
Название Gesammelte Werke von Rudyard Kipling
Автор произведения Редьярд Киплинг
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788027209255



Скачать книгу

des Gesetzgebenden Körpers von Colorado sei oder nicht, aber sie war der einzige Mensch auf Erden, der seine Adresse kannte, und da der ehrenvolle Auftrag ihr zu gefallen schien, wie die »reizende Verschwörung« – so nannte sie die getroffene Vereinigung – überhaupt, hatte ihn Tarvin mit Freuden in ihre Hand gelegt.

      Als er längst zu der Ueberzeugung gelangt war, nie wieder im Leben das Gesicht eines weißen Mannes sehen, nie wieder im Leben eine verständliche Sprache hören zu dürfen, rollte der Wagen durch einen Engpaß zwischen zwei Hügeln und hielt vor einem Gebäude, das in auffallendem Gegensatz zu dem Bahnhof in Rawut stand. Es war ein doppelter Würfel aus rotem Sandstein und – dafür hätte es Tarvin in die Arme schließen mögen! – wimmelte von weißen Männern! Sie waren so wenig bekleidet, als irgend anging, lagen in Rohrstühlen auf der Veranda herum und jeder hatte einen abgeschabten Lederkoffer neben sich stehen.

      Tarvin stieg nicht, er wälzte sich aus seinem Karren heraus, denn die langen Beine waren ihm gehörig steif geworden. Dann reckte er seine Gestalt, daß die Muskeln knackten, und mochte so ziemlich den Eindruck eines Gipsmodells machen, denn er war so vollständig überkrustet von Staub und Sand, als ob er aus einem Cyklon oder einem Wüstensturm käme. Der Staub füllte jede Falte und Vertiefung an seiner ganzen Person und sein schwarzes amerikanisches Jackett mit den vier Knöpfen war vollständig sandfarben. Zwischen dem Saum seiner Beinkleider und den Schuhen war kein Unterschied, kein Uebergang wahrnehmbar: wenn er einen Schritt machte, rieselten Sand und Staub an ihm herunter und sein inbrünstiges: »Gott sei Dank!« wurde von einem Staubhusten erstickt. Sich die brennenden Augen reibend, betrat er die Veranda des Dak Bungalows. »Guten Abend, meine Herren!« rief er den Insassen zu. »Gibt es hier etwas zu trinken?«

      Niemand erhob sich, aber einer von den Herren klatschte in die Hände und ein andrer, ganz in dünne, safrangelbe Seide gekleidet, die um ihn herumhing wie eine vertrocknete gelbe Bohnenhülse, nickte ihm mit ebenso farblosem Gesicht zu und fragte nachlässig: »Für wen? Worin?«

      »Ach so, die Sorte gibt’s hier auch!« dachte Tarvin, der in der kurzen Frage das Volapük der Handlungsreisenden erkannt hatte.

      Er ging die lange Reihe entlang und drückte in seiner Herzensfreude und Dankbarkeit jedem einzelnen die Hand, dann erst fiel ihm ein, Vergleiche zwischen Amerika und Indien anzustellen. Konnten diese trägen, schweigsamen Lotusfresser wirklich zu derselben Berufsklasse gehören, mit der er seit manchem Jahr im Wirtshaus und Rauchwagen Anekdoten und Witze und politische Meinungen ausgetauscht hatte? Nein, das mußten des Geistes beraubte niedrige Zerrbilder der rührigen, fröhlichen, zudringlichen und verwegenen Menschensorte sein, die er daheim als Handlungsreisende kennen gelernt hatte, oder aber – ein Zerren in seinem Rücken brachte ihm diesen mildernden Umstand in den Sinn – sie waren samt und sonders »via Land« im Büffelkarren gereist und dabei so tief gesunken.

      Er tauchte seine Nase in das fußhohe Glas mit Sodawasser und Whisky und ließ sie darin, bis kein Tropfen mehr herauszulocken war, dann erst warf er sich in einen leeren Stuhl und sah sich die Gesellschaft ein zweites Mal an.

      »Hat nicht einer von den Herren gefragt, für wen ich hier sei? Ich muß annehmen, für mich selbst, denn ich reise zum Vergnügen …«

      Tarvin fand nicht die Zeit, die Abgeschmacktheit seiner Behauptung still zu genießen, denn die fünf Herren brachen in ein schallendes Gelächter aus, wie man zu lachen pflegt, wenn man lange Zeit jeden Anlaß zur Heiterkeit schmerzlich entbehrt hat.

      »Zum Vergnügen! Gott steh ihm bei! Vergnügen!« riefen sie durcheinander. »Da sind Sie an den unrechten Ort geraten!«

      »Trifft sich gut, daß Sie nur zum Vergnügen reisen, denn hier ist kein Geschäft zu machen, und wenn Sie sich auf den Kopf stellen!« hieß es weiter.

      »Ebenso gut könnten Sie einen Stein zur Ader lassen wollen! Ich bin seit vierzehn Tagen hier …«

      »Alle Achtung! Wozu denn?« fragte Tarvin.

      »Ach! Wir alle sind schon über acht Tage hier,« brummte ein vierter.

      »Ja, was treiben Sie denn hier? Was führen Sie denn im Schild?«

      »Sie sind wohl Amerikaner?«

      »Ja, aus Topaz, Colorado.« Diese Mitteilung machte indes nicht den geringsten Eindruck auf die Herren; Colorado wirkte hier nicht. »Wo hapert’s denn hier?«

      »Je nun, gestern hat der König zwei Weiber genommen – Sie können die Gongs in der Stadt immer noch schlagen hören. Er macht den Versuch, ein neues Reiterregiment auszurüsten für die indische Regierung und hat sich mit dem politischen Agenten überworfen. Seit drei Tagen belagere ich Oberst Nolans Thüre, aber er behauptet, ohne Genehmigung der Oberregierung nichts thun zu können. Ich habe alles aufgeboten, um den König abzufangen, wenn er auf die Saujagd geht, an den Minister schreibe ich fortwährend, wenn ich nicht gerade auf einem Kamel um die Stadt reite, und hier ist ein ganzer Pack Briefe von der Firma, die sich wundert, daß ich nichts einkassiere!«

      Nach Verlauf von zehn Minuten begriff Tarvin endlich, daß diese verwelkten Vertreter eines halben Dutzends Firmen in Kalkutta und Bombay den Platz regelmäßig im Frühjahr belagerten, um von einem König, der tonnenweise bestellt und grammweise bezahlt, Geld einzuziehen. Er hatte Gewehre, eingerichtete Reisetaschen, Spiegel, Kaminschmuck, Häkelarbeiten, bunte Glaskugeln für den Christbaum, Sattelzeug, Kutschierwagen, Breaks und Landauer, chirurgische Instrumente, Porzellanfiguren, dutzend-, hundert-, tausendweise bestellt, je nach Laune. Interessierten ihn seine Einkäufe nicht mehr, so legte er auch keinen Wert darauf, sie zu bezahlen, und da seine abgenützte Phantasie selten länger als zwanzig Minuten an einem Gegenstand Gefallen fand, geschah es zuweilen, daß sein Interesse schon mit dem Einkauf erschöpft war und daß die kostbaren Kisten aus Kalkutta gar nicht geöffnet wurden. Der vom indischen Kaiserreich angeordnete Friede verbot ihm, die Waffen zu ergreifen gegen andre Fürsten seines Volks, was doch seit Jahrtausenden seiner Vorfahren und seine höchste Lust gewesen war, der Kampf mit seinen Gläubigern war das Einzige, was einigermaßen seine kriegerischen Gelüste befriedigte. Auf der einen Seite stand der Vertreter Englands, der höchsten Obrigkeit, der ihm gute Sitten, Regierungskunst und Sparsamkeit beibringen wollte, auf der andern Seite, nämlich vor den Thoren des Palastes, stand immer ein Handlungsreisender, schwankend zwischen Verachtung für einen säumigen Schuldner und der dem Engländer angeborenen Ehrfurcht vor einem König. Zwischen diesen beiden Mächten hindurch ging seine Majestät seinem Vergnügen nach, das teils in Saujagd, Wettrennen, Einexerzieren seiner Truppen, in Bestellung weiterer unnötiger Gegenstände, sowie in geschickter Beherrschung seiner Weiber bestand, die von den Rechnungen jedes einzelnen Reisenden bedeutend mehr wußten, als sein Minister. Im Hintergrund aber stand die anglo-indische Regierung, die verständlich erklärte, daß sie keinerlei Gewähr leiste für Bezahlung der königlichen Schulden, und dem Maharadscha von Zeit zu Zeit auf einem blauen Sammetkissen einen juwelenstrotzenden kaiserlichen Orden schickte, um ihm die Einsprache in seine Angelegenheiten zu versüßen.

      »Nun, ich hoffe, Sie legen den König dafür tüchtig herein?« sagte Tarvin.

      »Wie meinen Sie das?«

      »Nun, wenn bei mir daheim ein Kunde Geschichten macht, den einen Tag verspricht, den Herrn im Gasthof zu treffen, und nicht kommt, und den andern Tag wieder eine Zusammenkunft verabredet, sie aber nicht einhält und nicht zahlt, da sagt sich der Reisende: ›Ja, mein Sohn, wenn es dir Spaß macht, mich warten zu lassen, so macht es dir gewiß auch Spaß, meine Hotelrechnung zu bezahlen, und ich werde mir nichts abgehen lassen‹ und vom zweiten Tag an kreidet er ihm auch seine Verluste im Spiel an, denn irgendwie muß er sich doch die Zeit vertreiben!«

      »Das ist ja höchst interessant! Aber in welcher Form bucht er diese Posten?«

      »Die werden natürlich bei der nächsten Lieferung der Firma auf die Ware geschlagen. Die Preise sind dann einfach gestiegen.«

      »O, die steigen bei uns auch, die Schwierigkeit ist nur, das Geld zu kriegen!«

      »Ich kann mir nur gar nicht erklären, woher die Herren die Zeit nehmen, hier so herumzulungern,« bemerkte Tarvin, dem noch manches unklar war in diesem Land. »Da, wo ich herkomme, macht der Mann seine Tour in scharf abgemessener Zeit, und