Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert. Georg Brandes

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Название Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert
Автор произведения Georg Brandes
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 4064066113728



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innerhalb der Ehe wahr und unwahr, sittlich und unsittlich sein könne. Auf den Adel des Herzens kommt bei ihm Alles an.

       Inhaltsverzeichnis

      Ich habe schon gesagt, dass Heyse als Dichter unmittelbar von Eichendorff ausgeht. Wie der Held in seiner Novelle „Ein Abenteuer“, scheint er in seinen ersten Wanderjahren sich den romantischen „Taugenichts“ zum Begleiter erwählt zu haben. Wo er in einer seiner Novellen (Lottka) sich selbst als Jüngling einführt, singt er in der Eichendorff'schen Tonart, und man erkennt, dass er sehr früh die romantischen Melodien mit seltener Geläufigkeit nachgepfiffen. In der Sammlung romantischer Kindermärchen, die er als Schüler unter dem Titel „Der Jungbrunnen“ herausgab, ist Musje Morgenroth ein leiblicher Bruder des berühmten Eichendorff'schen Helden. Das Buch ist die Arbeit eines Kindes, hat aber doch ein gewisses Interesse, da es den ersten Standpunkt des Dichters bezeichnet. Man sieht daraus, mit welchen Gaben er von Anfang an ausgerüstet war: die knabenhafte aber nie geschmacklose Prosa fliesst leicht, und die Verse, die bedeutend höher stehen, sind mit all' ihren Nachklängen unaffectirt, sicher geformt und frisch. Er singt nach, aber er singt rein; es ist die gewöhnliche romantische Tonart, aber mit jugendlicher Frische und Anmuth angeschlagen. In den Flegeljahren naiv zu produciren, heisst schon ein Phänomen sein, und die ungewöhnliche angeborne Herrschaft über die Sprache hütet den dichtenden Schüler vor Forcirtheit und Manier. Der, wie es scheint, vom Vater, dem bekannten Philologen, ererbte Sprachsinn entwickelt sich bei dem Sohne zu einer Sprachfertigkeit, einer Leichtigkeit, mit Worten und Rhythmen umzuspringen, die schon im ersten Jünglingsalter nicht weit von Virtuosität entfernt war. Diese A. W. Schlegel und Rückert übertreffende Sprachfertigkeit bedingte als ein Grundelement in Heyse's Begabung die übrigen Eigenthümlichkeiten, die er nach und nach entwickelt hat. Er sang von Anfang an, nicht weil er mehr auf dem Herzen hatte als alle Uebrigen, sondern weil es ihm weit natürlicher und leichter als Anderen fiel das auszusagen, dessen sein Herz voll war. Da nicht starke innere Umwälzungen oder eingreifende äussere Begebenheiten erforderlich waren, um seine Lippen zu öffnen, wie sonst wohl, um die Erzeugungslust derer zu wecken, denen das Formgeben schwierig ist und denen es nur in den Augenblicken der Leidenschaft gelingt, die Schätze des Innern an's Tageslicht zu heben, so blickte er nicht nach Innen, sondern nach Aussen, grübelte nur wenig über sein Ich, seinen Beruf und seine Fähigkeiten, sondern sich wohl bewusst, dass er in seiner Seele einen klaren Spiegel trug, der aus der Umgegend Alles auffing, was ihn ansprach, liess er mit der Empfänglichkeit und dem Schaffensdrange eines bildenden Künstlers den Blick nach allen Seiten umherschweifen.

      Eines bildenden Künstlers, sag' ich; denn nicht lange fuhr er fort, die romantische Musik anzustimmen. Er hat selbst gesagt:

      Schön ist romantische Poesie,

       Doch was man nennt beauté de nuit.

      Die rechten Männer, meint Heyse, verstehen ihre Gedanken à jour zu fassen, und er ist in allzu hohem Grade ein Sonnenkind, als dass er im romantischen Zwielicht hätte stehen bleiben können. Lyriker war er überhaupt nicht, und die Romantik hat naturgemäss und nothwendig ihre Stärke in der Lyrik. Die Naturumgebungen flössten ihm auch kein selbständiges poetisches Interesse ein: eine solche Frische des Meeres und der Landschaft, wie sie z. B. die dänischen Novellen Blicher's überhaucht, wird man in den seinen nicht finden; er ist kein Landschafter und hat stets die Landschaft nur als Hintergrund benutzt. Was am ersten und frühesten seinem Blicke begegnete, sobald er genug entwickelt war um mit eigenen Augen zu sehen, war der Mensch; und wohlgemerkt, nicht der Mensch als eine von Organen bediente Intelligenz, oder als ein auf zwei Beinen gehender Wille, oder als psychologische Merkwürdigkeit, sondern als plastische Gestalt. Zu allererst hat er, nach meiner Auffassung, ganz wie der Bildhauer oder Gestaltenmaler, sobald er seine Augen schloss, seinen Gesichtskreis mit Konturen und Profilen bevölkert gesehen. Schöne äussere Formen und Bewegungen, die Haltung eines anmuthigen Kopfes, eine reizende Eigenthümlichkeit in Stellung oder Gang haben ihn ganz auf dieselbe Weise beschäftigt, wie sie den bildenden Künstler erfüllen, und sind von ihm mit derselben Vorliebe, ja bisweilen fast mit technischen Ausdrücken wiedergegeben worden. Und nicht nur der Erzähler, auch die auftretenden Personen fassen oft genug auf dieselbe Weise auf. So sagt z. B. die Hauptperson in der Novelle „Der Kreisrichter“: „Die Jugend hier ist gesund, und das ist in jungen Jahren die halbe Schönheit. Auch haben sie noch Race. Achten Sie auf die feine Form der Köpfe und die zarte Bildung der Schläfen, und im Gang und Tanz und Sitzen die natürliche Anmuth“.[17] Ein schlagendes Beispiel dieser Anschauungsweise des Dichters findet man in der Novelle „Die Einsamen“, wo sein Missmuth darüber, mit den Mitteln seiner Kunst nur so unvollkommen malen zu können, folgendermassen zu Worte kommt: „Nur den Umriss! wüthete er vor sich hin, ein paar Dutzend Linien nur! Wie sie auf dem Eselchen einhertrabt, das eine Bein über den Rücken des Thieres, flach und sicher ruhend, das andere mit der Spitze des Fusses fast den Boden streifend; und den rechten Ellenbogen auf das ruhende Knie niedergestützt, die Hand leicht unter dem Kinn, mit der Halskette spielend, das Gesicht hinausgewendet nach dem Meer; welche Last schwarzer Flechten im Nacken! Es leuchtet roth darin; ein Korallenschmuck — nein, frische Granatblüthen. Der Wind spielt mit dem lose angeknüpften Tuch; wie dunkel brennt die Wange, und wie viel dunkler das Auge!“[18]

      Es sind solche Bilder, plastische Figuren, einfache malerische Situationen, mit denen die Phantasie Heyse's von Anfang an operirt hat, und die ihren einen Ausgangspunkt bilden. Und ob man noch so sehr fühlt, wie viel vernünftiger es ist, einen Dichter zu schildern als ihn zu loben, so kann man doch nicht einen Ausbruch der Bewunderung darüber zurückhalten, wie vorzüglich es überall Heyse gelungen ist, seine Gestalten, freilich besonders die Frauengestalten, dem Auge darzustellen. Er gehört nicht zu der beschreibenden Schule, er charakterisirt nicht weitläufig wie Balzac noch sorgfältig wie Turgenjew, sondern schildert mit wenigen Zügen; aber seine Gestalten bleiben uns doch in der Erinnerung, aus dem sehr einfachen Grunde, weil sie alle Stil haben. Ein Bauernmädchen aus Neapel oder Tyrol, ein Dienstmädchen oder ein junges Fräulein aus Deutschland erhalten, von ihm gemalt, ein höheres, unwirkliches und doch unvergessliches Leben, weil sie alle durch die streng idealistische Methode und Kunst der Darstellung geadelt sind. Sie sind formvollendet wie Statuen, sie haben eine Haltung wie Königinnen. Niemand, ausser dem Maler Leopold Robert, an den einige von Heyse's italienischen Arbeiten erinnern, hat meines Wissens einen so bewussten Stil in der Zeichnung von Bauern und Fischern an den Tag gelegt. Und wie die Formen der äusseren Gestalt, so sind diejenigen des Gemüthslebens stilvoll. Wenn der Ausdruck nicht allzu gewagt wäre, möchte ich sagen, dass Heyse die Liebe plastisch schildert. Die Romantiker fassten sie immer lyrisch auf. Vergleicht man aber die Liebesnovellen Heyse's mit romantischen Liebesnovellen, so wird man finden, dass, während die Romantiker ihre Stärke darin haben, die romantische Entzücktheit als solche zu analysiren und den seltsamsten, sonst namenlosen Stimmungen Namen zu geben, sich bei Heyse gleich jedes psychologische Moment in einer Miene oder Geberde spiegelt; Alles wird bei ihm gleich Anschauung und sichtbares Leben.

       Inhaltsverzeichnis

      Ich bemerkte, dass die Fähigkeit, Gestalten festzuhalten und zu idealisiren, den einen Ausgangspunkt der Phantasie dieses Dichters bilde. Sie hat noch einen andern. Gewiss fast eben so ursprünglich wie seine Fähigkeit, Charaktere darzustellen, ist seine Lust „Abenteuer“ zu erleben und zu erdichten. Unter Abenteuern verstehe ich Begebenheiten eigenthümlicher, ungewöhnlicher Art, die — was bei wirklichen Abenteuern fast nie der Fall ist — eine sichere Kontur, einen so bestimmten Anfang, Mitte und Schluss haben, dass sie der Phantasie wie ein von einem Rahmen umschlossenes Kunstwerk erscheinen. Aus irgend einer äusseren oder inneren Beobachtung — dem Bruchstück eines Traumes, einer Begegnung auf der Strasse, dem Anblick der mittelalterlichen Thürme einer alten Stadt im Abendsonnenschein — entspringt ihm durch die rapideste Ideenassociation eine Geschichte, eine Verkettung von Begebenheiten, und da er so streng künstlerisch angelegt ist, nimmt diese Begebenheitsreihe stets eine rhythmische Form an. Sie hat deutliche, feste Umrisse und inneres