Im Schatten der Schwarzen Sonne. Nicholas Goodrick-Clarke

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Название Im Schatten der Schwarzen Sonne
Автор произведения Nicholas Goodrick-Clarke
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783843801706



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anheben »mit den Moabiter-Töchtern« (4. Mose 25,1). Beides, die »Abgötterei« und die »Unzucht«, erzürnt den Herrn, und er droht, den Israeliten Plagen zu senden. Da greift beherzt ein glaubenseifriger Hohepriester namens Pinehas ein. Als er bemerkt, wie ein Israelit mit einer Moabiterfrau in einem Haus verschwindet, fasst Pinehas einen Spieß und »ging dem israelitischen Mann nach hinein in die Kammer und durchstach sie beide, den israelitischen Mann und das Weib, durch ihren Bauch. Da hörte die Plage auf von den Kindern Israel« (4. Mose 25,8). Der Herr schließt mit diesen Frieden und setzt als ihre treuen Hüter Pinehas und seine Nachkommen ein: »[Er] soll haben und sein Same nach ihm den Bund eines ewigen Priestertums« (4. Mose 25,13). Im Psalter wird der Vorgang erneut angesprochen: »Da trat Pinehas hinzu«, heißt es dort, »und schlichtete die Sache; da ward der Plage gesteuert. Das ward ihm gerechnet zur Gerechtigkeit für und für ewiglich« (Psalm 106,30-31). Hoskins behauptet nun, dass Verderbnis und Krankheit die christliche Gemeinschaft immer dann befallen, wenn Fremde hereindringen. Zum Glück aber, so Hoskins, hätten sich in der Geschichte immer wieder energische Recken gefunden, welche die Andersartigen hinauszudrängen wussten – wo nötig, auch mit Gewalt. Diese Wackeren seien nichts anderes als die Nachfahren der biblischen »Pinehas-Priester«. Zu ihnen zählt Hoskins König Artus ebenso wie Robin Hood, den Ku-Klux-Klan ebenso wie die SS.49 Die moderne »Pinehas-Priesterschaft« sollte freilich strategiehalber aus Einzelkämpfern bestehen, die ohne organisatorische Verbindung und autonom, aber entschlossen Anschläge gegen (wiederum einzelne) Schwarze, Juden, Homosexuelle, Liberale und Linke verüben – eben gegen alle, die in der Optik der Christian-Identity-Militanten Feinde der weißen Rasse sind.

      Louis Beams Gedanken waren eine wichtige Inspiration für den rechtsextremen Untergrund der 90er-Jahre. Eine neue Perspektive schien sich den Neonazis zu eröffnen, nachdem herkömmliche Kampfmethoden sie keinen Schritt weitergebracht hatten. Ungeachtet aller Propaganda blieben sie bei Wahlen regelmäßig am Rande der nummerischen Wahrnehmbarkeit, und die Bevölkerung dachte gar nicht daran, sich in bewaffneten Aufständen gegen die ZOG zu erheben. Außerdem unterwanderte die Polizei immer wieder erfolgreich die Reihen der Insurgenten und dezimierte sie durch Verhaftungen. Bedenkt man diesen Hintergrund, versteht man leicht, warum die Rechtsmilitanten das Beam’sche Konzept des »führerlosen Widerstands« derart begeistert aufgriffen. Es bot mehrere Vorteile. So erschwerte es dem Feind die Infiltration. Auch musste man sich nicht die peinliche Frage stellen (lassen), warum es der Nazi-Bewegung nicht gelinge, eine Massengefolgschaft aufzubauen. Jetzt konnte man glauben, dass List vermochte, was dem Heroismus versagt blieb. Dies bedeutete keineswegs, dass der Kampf friedlicher würde. Im Gegenteil. Zwar sagte Beam es nirgendwo explizit, aber jedem Kombattanten war klar, dass auch Beam unvermindert Gewalt befürwortete: Sabotage, Überfälle und Mordanschläge, breit gestreut zu verüben, quasi nach dem Schrotschussprinzip. Die Polizei, so Beams Theorie, suchte nun die organisierende Struktur, die das subversive Geschehen leite, fände aber nichts. Währenddessen gingen die Attacken weiter. So würde der »führerlose Widerstand« den Ordnungskräften ein »Aufklärungsdesaster« bereiten. Inzwischen praktizieren Rechtsradikale innerhalb und außerhalb der USA diese Strategie. In Amerika verfahren bestimmte supremazistisch-nationalistisch gesinnte Einzelkämpfer so, die sich den Idealen des zerschlagenen Order verpflichtet fühlen. Ähnlich »führerlos« agieren Combat 18 in England und der Vit Arikst Motstand (»Weißer Arischer Widerstand«), kurz VAM, in Schweden. Einzeln oder in Kleinstgruppen wählen sie kurzfristig ihr Ziel und schlagen zu. Das Fehlen einer formellen Organisation macht die Ermittlung schwierig und lässt den offiziellen Stellen wenig Möglichkeit zu raschen Reaktionen, zu raschen Erfolgen gar. Timothy McVeigh wusste schon, warum er sich von der Michigan Militia löste und nicht als Mitglied einer festen Gruppe, sondern als »einsamer Wolf« handelte.