Katharina von Bora: Geschichtliches Lebensbild. Albrecht Thoma

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Название Katharina von Bora: Geschichtliches Lebensbild
Автор произведения Albrecht Thoma
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066118990



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werfen und die anderen Nonnen über sich hinschreiten lassen, beim Essen mit einem Strohkränzlein vor der Priorin auf die Erde setzen; dann wurde sie bei einem neuen Versuch, sich an ihre Verwandten zu wenden, durchgestäupt und „7 Mittwoch und 7 Freitage von 10 Personen auf einmal discipliniert“, in Ketten gelegt und für immer in die Zelle gesperrt — bis sie durch Unachtsamkeit ihrer Schließerin doch entkam.

      Solches oder Aehnliches ist im Kloster Nimbschen mit den lutherisch Gesinnten nicht geschehen; vielleicht schützte sie ihre große Zahl vor solchen Gewaltmaßregeln. Es war aber wohl auch die Gesinnung der verständigen Aebtissin, welche eine solche Bestrafung verhinderte: Margarete von Haubitz ist ja nachher mit dem ganzen übrig gebliebenen Konvent zur Reformation übergetreten, obwohl sie mit den älteren Frauen im Kloster blieb und das Leben darin nach evangelischen Grundsätzen einrichtete. Keineswegs aber konnte und wollte sie als Aebtissin schon 1523 den Klosterflüchtigen Vorschub leisten in ihrem Vorhaben[79].

      Da nun die Nonnen an den Ihrigen keinen Anhalt fanden, so hatten sie gerechte Ursache, anderswo Hülf und Rat zu suchen, wie sie es haben konnten. Sie fühlten sich ja gedrungen und genötigt, ihre Gewissen und Seelen zu retten[80]. Wo anders aber sollten sie diese Hülfe suchen, als bei dem, der sie durch seine evangelischen Schriften und geistkühne Thaten auf diese Gedanken gebracht hatte? So machten sie's also wohl, wie nach ihnen noch manche andere, einzelne und ganze Haufen von Klosterjungfrauen: sie schrieben „an den hochgelehrten Dr. Martinus Luther zu Wittenberg, einen Klage-Brief und elende Schrift, gaben ihm ihr Gemüt zu erkennen und begehrten von ihm Trost, Rat und Hülfe“[81].

      Und der Ueberbringer dieses Briefes wird jedenfalls niemand anderes gewesen sein als eben Leonhard Koppe von Torgau. Luther erkannte an, daß „sie beide hier haben helfen und raten können, und darum seien sie auch schuldig, aus Pflicht christlicher Liebe die Seelen und Gewissen zu retten“[82].

      „Denn es ist eine hohe Not“, erklärte er weiter, mit Bezug auf die Nimbscher Nonnen, „daß man leider die Kinder in die Klöster gehen läßt, wo doch keine tägliche Uebung des göttlichen Wortes ist, ja selten oder nimmermehr das Evangelium einmal recht gehört wird. Diese Ursach ist allein genug, daß die Seelen herausgerissen und geraubt werden, wie man kann, ob auch tausend Eide und Gelübde geschehen wären. Weil aber Gott kein Dienst gefällt, es gehe denn willig von Herzen, so folgt, daß auch keine Gelübde weiter gelten, als sofern Lust und Lieb da ist; sonst sind im Klosterleben furchtbare Gefahren, Versuchungen und Sünden“[83].

      „Aber wenn sich nun schwache Seelen an solchem Klosterraub ärgern?“ konnte man einwenden.

      Luther erklärte: „Aergernis hin, Aergernis her! Not bricht Eisen und hat kein Aergernis. Ich werde die schwachen Gewissen schonen, sofern es ohne Gefahr meiner Seele geschehen kann; wo nicht, so werde ich meiner Seele raten, es ärgere sich dann die ganze oder halbe Welt. Nun liegt hier der Seele Gefahr in allen Stücken. Darum soll niemand von uns begehren, daß wir ihn nicht ärgern, sondern wir sollen begehren, daß sie unser Ding billigen und sich nicht ärgern. Das fordert die Liebe!“[84]

      So dachte Luther und ihm gleichgesinnt war Leonhard Koppe. An ihn stellte nun Luther das Ansinnen, die Befreiung zu übernehmen. Und Koppe war trotz seiner sechzig Jahre ein entschlossener Mann, zu einem kecken Wagnis bereit, und willigte ein; er nahm keine Rücksicht, ob es ihm im Geschäfte schaden könnte, noch weniger, ob es ihn beim Hof in Ungunst bringen oder gar ans Leben gehen könnte; denn auf Nonnenraub stand eigentlich Todesstrafe, und auch Kurfürst Friedrich, der vorsichtige Schützer Luthers mißbilligte nicht nur jede öffentliche Gewaltthat, sondern war auch geneigt, sie zu strafen. Aber trotz all dieser Bedenken war Leonhard Koppe zu der That entschlossen, und wurde darin von dem Torgauer Pfarrer D. Zwilling bestärkt; denn dieser war auch in die Sache eingeweiht[85].

      Zwischen Luther und Koppe wurde so der Plan verabredet. Das Unternehmen sollte von Torgau ausgehen, welches in der Mitte zwischen Nimbschen und Wittenberg gelegen war. Die Osterzeit wurde zur Ausführung ersehen.

      Koppe brauchte aber Gehülfen zur Ausführung seines Unternehmens. Er wählte dazu seines Bruders Sohn, einen verwegenen jungen Mann, und einen Bürger Wolfgang Tommitsch (oder Dommitsch), dessen Stieftochter, ein Fräulein von Seidewitz, kurz vorher aus dem Kloster entkommen war und bald darauf einen ausgetretenen Augustiner-Propst, Mag. Nikolaus Demuth heiratete, welcher dann Amtsschöffer in Torgau wurde. Mit den neun Klosterjungfrauen waren jedenfalls Verabredungen getroffen worden und sie machten sich fluchtbereit[86].

      In der Karwoche brachen nun die Torgauer auf einem oder mehreren mit einer Blahe bedeckten Wagen, worin sie wohl weltliche Frauenkleider verborgen hatten, von ihrer Stadt auf. Wenn die beiden Helfer nicht eigene Wagen leiteten, so waren sie zu Pferde als Bedeckung dabei. Sie kamen über Grimma am Karsamstag abends den 4. April vor Nimbschen an[87].

      Hier rüsteten sich die Nonnen in gewohnter Weise zu den Ostervigilien, welche in der Auferstehungsnacht gefeiert wurden. Die außerordentliche Zeit, wo die Regel und geordneten Beschäftigungen der Klosterfrauen aufgehoben waren, muß dem Fluchtplan günstig geschienen haben. Während die beiden Begleiter in dem nahen Gehölz gehalten haben werden, fuhr Koppe an dem Kloster vor. Er nahm, wie berichtet wird, zum Vorwand, leere Heringstonnen auf der Heimfahrt nach Torgau mitnehmen zu wollen. Beim Aufsuchen und Aufladen derselben scheint er den Thorwart Thalheim beschäftigt und die Aufmerksamkeit der übrigen Bewohner des äußern Klosterhofs, namentlich der zwei Beichtväter, abgelenkt zu haben. Aus der Klausur entkamen die neun Verschworenen, indem die Pförtnerin entweder getäuscht oder gar bei dem Plan beteiligt war (es konnte ganz gut eine von diesen neun zu dieser Zeit Thürhüterin sein). Ein alter Berichterstatter erzählt, man hätte eine Lehmwand durchbrochen; ein anderer, die Jungfrauen hätten sich im Garten versammelt und seien da über die Mauer gestiegen. Aber auch zur hinteren Thüre konnten sie entkommen sein; denn an der Bewachung dieser ließ es das Kloster fehlen. Kurzum, die Neun entflohen, wurden von den beiden Begleitern Koppes aufgenommen; dieser fuhr wohl mit seinem Wagen Heringstonnen ganz unschuldig ab und nahm dann draußen die Jungfrauen auf. Die leeren Tonnen — vorne aufgestellt — konnten ganz gut dazu dienen, den lebendigen Inhalt des Wagens vor unberufenen Augen zu verbergen[88].

      Auf diese oder ähnliche Weise, jedenfalls „mit ausnehmender Ueberlegung und Schlauheit“, aber auch mit „äußerster Keckheit“ — nicht mit Gewalt wurden die neun Jungfrauen durch Koppe aus Nimbschen befreit. Luther sah es fast wie ein Wunder an[89].

      Bei Nacht und Nebel fuhren nun die Retter und Geretteten davon, dem Ostermorgen entgegen: es war eine eigene Ostervigilie in der Luft der Freiheit durch die frühlingsjunge Gotteswelt[90]. Die Fahrt ging durch die kurfürstlichen Lande, war also nicht bedroht durch die Nachstellungen des lutherfeindlichen Herzogs Georg. Eine Verfolgung von Nimbschen aus war nicht gerade zu befürchten: es waren dort keine Männer, welche etwa einen Kampf mit den Entführern gewagt hätten. Auch hat der kluge Koppe gewiß ihre Spuren möglichst verdeckt und die Verfolger irre geführt. Die weltliche Kleidung, welche die Jungfrauen mittlerweile mit ihrer geistlichen vertauscht hatten, machte wohl die Reise unauffällig, und so kam der Zug auch ungehindert am Ostertag in Torgau an und wurde vom Magister Zwilling freudig empfangen. In Torgau wurde übernachtet, die weltliche Kleidung der Klosterjungfrauen in der Eile noch vervollständigt und am anderen Tag ging es Wittenberg zu, weil es doch nicht geraten schien, die Entflohenen so nahe bei dem Kloster und auch so nahe beim kurfürstlichen Hof zu lassen[91].

      Am Osterdienstag kam der Zug in Wittenberg an; ohne alle Ausstattung, in ihrer geborgten und eilig zusammengerafften Kleidung, mit den geschorenen Häuptern ein „arm Völklein“, aber in ihrer großen Armut und Angst ganz geduldig und fröhlich[92].

      Luther empfing sie mit wehmütiger Freude. Den kühnen aber rief er zu: „Ihr habt ein neu Werk gethan, davon Land und Leute singen und sagen werden, welches viele für großen Schaden ausschreien: aber die es mit Gott halten, werden's für großen Frommen preisen. Ihr habt die armen Seelen aus dem Gefängnis menschlicher Tyrannei geführt eben um die rechte Zeit: auf Ostern, da Christus auch der Seinen Gefängnis gefangen nahm“[93]. Als dann die Befreier heimfuhren, empfahl er sie Gott und gab ihnen Grüße mit an Koppes „liebe Audi“ und „alle Freunde in Christo“[94].

      Drei Tage darauf schrieb Luther zur Verantwortung für sich, für den „seligen Räuber“ Koppe und die