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des Innern mein Gutachten hierüber einzuverlangen geruhen wollte, so würde ich es wie folgt formulieren: Man muß ohne Gnade und Barmherzigkeit sämtlichen Provinzdruckereien ein Ende bereiten und aus dem Druckgewerbe ebenso ein Staatsmonopol machen wie aus der Tabakfabrikation.« Jetzt erinnerte sich Rênal schaudernd seiner Antwort an den ehemaligen Freund, den damals ganz Verrières bedauerte. »Das hätte mir keiner gesagt, daß ich, der Bürgermeister, Großgrundbesitzer und Ritter, dies einmal bereuen würde!«

      In solchen Zornesanfällen, bald gegen sich selbst, bald gegen seine gesamte Umgebung, verbrachte er eine schreckliche Nacht. Auf den Gedanken aber, seine Frau zu belauern, kam er zum Glück nicht.

      »Ich bin an Luise gewöhnt. Sie ist in alle meine Angelegenheiten eingeweiht. Wenn ich morgen frei wäre und wieder heiraten wollte, fände ich keine, die sie mir ersetzte.« Nun umschmeichelte ihn der Gedanke, seine Frau sei schuldlos. Bei dieser Annahme sah er sich nicht mehr gezwungen, den Mann von Charakter zu spielen. Gab es eine einfachere Lösung? »Welche Frau hätte man nicht schon verleumdet?« fragte er sich.

      »Das hat aber auch seinen Haken!« rief er plötzlich aus und ging nervös auf und ab. »Soll ich gar dulden, wie ein obskurer armer Teufel, daß sie sich mitsamt ihrem Liebsten über mich lustig macht? Soll sich ganz Verrières über meine Trottelhaftigkeit ins Fäustchen lachen? Soll ich einen zweiten Charmier abgeben?« (Charmier war ein Mann, den seine Ehefrau tatsächlich hinterging.) »Zieht nicht ein Grinsen über aller Mienen, wenn die Rede auf ihn kommt? Er ist ein guter Advokat, aber wer rühmt seine forensischen Talente? Spricht man nicht immer bloß: Charmier, ach der! Das ist doch der mit den Hörnern!«

      Dann sagte er sich wieder: »Gott sei Dank, daß ich keine Tochter habe. Wenn ich meine Frau gehörig bestrafe, so schadet das wenigstens meinen Kindern nicht. Ich kann diesen Bauernlümmel bei meiner Frau überraschen. Sie alle beide erdolchen! In diesem Falle beseitigt die Tragik alles Lächerliche.« Die Idee gefiel ihm. Er überlegte sie sich bis in die Einzelheiten. »Das Strafgesetzbuch habe ich auf meiner Seite«, sagte er sich, »und was auch geschehen mag, die Geistlichkeit und meine Freunde unter den Geschworenen werden mir zum Freispruche verhelfen.«

      Er prüfte seinen Hirschfänger. Er war haarscharf, aber bei dem Gedanken an Blut gruselte es ihn.

      »Ich könnte diesen frechen Hauslehrer lendenlahm prügeln und aus dem Hause jagen. Aber was gäbe das für einen Skandal in Verrières und im ganzen Kreise! Nach dem Prozesse gegen die Falcozsche Zeitung, als ihr Hauptschriftleiter aus dem Gefängnis entlassen wurde, da habe ich dabei geholfen, daß er seine Stellung mit zweihundert Talern Gehalt nicht wieder bekam. Neuerdings soll sich der Schmierifax in Besançon wieder mausig gemacht haben. Er kann mich geschickt anpöbeln, und zwar so, daß es unmöglich ist, ihn gerichtlich zu fassen. Und wenn man es versucht, so fabelt der unverschämte Kerl vor den Schöffen gar vom Wahrheitsbeweis usw. Ein hochgeborener Mann, der seinen Rang wahrt wie ich, wird naturgemäß von allen Plebejern gehaßt. Ich würde durch alle Schandblätter von Paris gezerrt! Allmächtiger, welch ein Sturz von der Höhe! Der gute alte Name derer von Rênal im Schmutze der Lächerlichkeit! Wenn ich dann einmal eine Reise mache, muß ich es unter falschem Namen tun. Ich meinen Namen lassen, der mein Stolz, mein ein und alles ist! Wie bin ich unglücklich!

      Wenn ich meine Frau aber nicht töte, sondern bloß mit Schimpf und Schande von dannen jage, so hat sie in Besançon die alte Tante, die ihr ohne weiteres ihr Vermögen zur Verfügung stellt. Luise und Julian werden kreuzvergnügt in Paris wohnen. Man wird es in Verrières erfahren, und ich bin auch wieder der Geprellte …«

      Am trüben Schein seiner Lampe merkte der unglückliche Mann, daß der Morgen graute. Er ging in den Garten, um frische Luft zu schöpfen. Schon war er so gut wie entschlossen, einen Skandal zu vermeiden, denn er bedachte, daß seine guten Freunde eine Riesenfreude daran haben würden. Der Spaziergang durch den Garten machte ihn ruhiger. »Nein«, murmelte er vor sich hin, »von meiner Frau trenne ich mich auf keinen Fall. Sie ist mir viel zu nützlich.« Und voll Grauen stellte er sich vor, was aus seinem Hause ohne seine Frau werden sollte. Er hatte nur eine einzige Verwandte, die Marquise von Tourvel, eine halbblöde, alte, boshafte Person.

      Plötzlich kam ihm ein, wie ihn dünkte, grundgescheiter Gedanke. Allerdings ihn auszuführen, erforderte etwas mehr Energie, als sich der Ärmste zutraute. »Ich kenne mich«, meinte er. »Wenn ich meine Frau behalte, so werde ich ihr eines Tages, wenn mich etwas an ihr ärgert, ihren Seitensprung vorwerfen. Sie hat ihren Stolz, und so werden wir uns überwerfen, und zwar, ehe wir die Tante beerbt haben. Dann bin ich in den Augen der Leute der Dumme. Ich bekomme keinen roten Heller; höchstens einmal meine Kinder, die sie ja liebt. Mich wird alle Welt auslachen. Seht! wird es heißen. Er hat sich von seiner Frau alles gefallen lassen! Somit ist es offenbar das beste, wenn ich den Verdacht auf sich beruhen lasse und ihn gar nicht erst auf die Wahrheit hin untersuche. Allerdings binde ich mir damit die Hände. Ich darf ihr niemals einen Vorwurf machen.«

      Eine kleine Weile später regte sich seine verletzte Eitelkeit von neuem. Er suchte sich aller der Histörchen zu entsinnen, die beim Billard in der Harmonie und in der Adelsressource von losen Zungen erzählt zu werden pflegten, um sich auf Kosten irgendeines betrogenen Ehemannes zu belustigen. Solche Witze kamen ihm mit einemmal inhuman vor.

      »Warum habe ich überhaupt noch eine Frau? Sie könnte längst gestorben sein. Dann käme eine solche Blamage für mich nicht mehr in Frage, Dann wäre ich Witwer und verbrächte das halbe Jahr in Paris in der ersten Gesellschaft.« Der Gedanke an dies Witwertum stimmte ihn einen Moment glücklich. Alsbald aber geriet er in Nachgrübeln, wie er hinter die Wahrheit kommen könne. Ob er nachts, wenn alles schlief, vor Julians Zimmer eine dünne Schicht Kleie streuen solle? Dann wären frühmorgens Fußspuren zu sehen. »Unsinn! Das Mittel taugt nichts!« widersprach er sich selber. »Elise, der Racker, merkt es sicher auch, und dann wissen sämtliche Dienstboten, daß ich eifersüchtig bin.«

      Aus einer Stammtischgeschichte fiel ihm ein, daß sich ein Ehemann seiner Hahnreischaft dadurch vergewissert hatte, daß er an der Tür seiner Frau ein Haar derartig mit Wachs befestigt hatte, daß es beim öffnen zerreißen mußte. Nach so stundenlanger Unentschlossenheit dünkte Herrn von Rênal dieses Aufklärungsmittel probat. Eben beschloß er, es zu versuchen, als seine Frau, die er lieber tot gesehen hätte, hinter den Bäumen auftauchte und auf ihn zugeschritten kam.

      Sie war im Dorf gewesen. In der Kirche hatte sie die Messe gehört. Nach der legendären Überlieferung gehörte die kleine Dorfkirche von Vergy ehedem zum Schlosse des Ritters von Vergy. Als Frau von Rênal zu beten begann, fiel ihr die alte Sage ein. Und eine Vorstellung ließ sie nicht wieder aus dem Banne. Immerfort sah sie im Geiste ihren Mann, der auf der Jagd scheinbar zufällig Julian gemordet hatte und sie abends zwang, sein Herz zu essen.

      Als sie die Kirche verließ, sagte sie sich: »Mein Schicksal hängt davon ab, was er bei sich denkt, wenn er mich angehört hat. Wer weiß, ob ich nach dieser verhängnisvollen Viertelstunde je wieder Gelegenheit habe, mit ihm zu sprechen. Mein Mann ist kein bedachtsamer und überlegener Kopf. Wenn ich meinen schwachen Verstand anstrengte, wüßte ich wohl, was er sagen und tun wird. Er hat die Macht, über sein und mein ferneres Schicksal zu entscheiden. Diese Entscheidung hängt von meiner Geschicklichkeit ab. Es muß mir gelingen, diesen Hitzkopf zu leiten. Er ist in der Wut blind und sieht dann alle Dinge nur halb. Großer Gott, ich habe Gewandtheit und Kaltblütigkeit nötig. Woher soll ich die nehmen?«

      Wie durch ein Wunder fand sie Gleichmut und Ruhe, als sie den Garten betrat und von weitem ihren Mann erblickte. Seine unordentliche Kleidung und sein wirres Haar verrieten ihr, daß er nachts nicht geschlafen hatte.

      Sie reichte ihm einen erbrochenen, wieder zusammengefalteten Brief. Herr von Rênal sah seine Frau verstört an.

      »Eine wahre Schande!« erklärte Frau von Rênal. »Ein Mann, der verdächtig aussah, der dich angeblich kennt und dir Dank schuldig zu sein behauptet, hat mir diesen Brief soeben zugesteckt, als ich hinterm Garten des Notars vorüberging. Eins verlange ich von dir: daß du Herrn Sorel zu seinen Eltern zurückschickst, und zwar auf der Stelle!«

      Diese Forderung Frau von Rênals war vielleicht voreilig. Sie wollte die ihr entsetzliche Notwendigkeit, zu reden, möglichst schnell hinter sich haben. Als sie wahrnahm, daß ihre Worte in ihrem Mann Freude erweckten, war sie selig. Aus seinen starren,