G. K. Chesterton: Krimis, Aufsätze, Romane und mehr. Гилберт Кит Честертон

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Название G. K. Chesterton: Krimis, Aufsätze, Romane und mehr
Автор произведения Гилберт Кит Честертон
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027207428



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ausgereckten Arm in die dunkle kochende See, und als sie ganz draußen am Ende angelangt waren, wars ihnen gerade, als wären sie zugleich am Ende ihres Dramas angelangt. Und sie wandten sich um und blickten auf die Stadt zu.

      Die Stadt war vor Aufruhr ganz verwandelt. Die hochliegende Strandpromenade, über die sie eben herabgelaufen waren, war überschwemmt von dunklen und brüllenden Gestalten, die mit wildgeschwungenen Armen und feuerroten Gesichtern durcheinandertappten und zu den vieren hinüberglotzten. Und die ganze lange dunkle Linie war punktiert mit Fackeln und Laternen. Und wo kein Licht war, leuchtete doch ein wutentflammtes Gesicht – und mochte der Betreffende noch so weit weg und die Gebärde, die er machte, noch so sehr im Schatten sein: alles, alles das war bestorganisierter Haß. Und den vieren war absolut klar, daß sie von allen Leuten verwünscht und verflucht würden; nur wußten sie nicht im mindesten – warum.

      Zwei oder drei Männer, die so klein und dreckig wie Gassenbuben aussahen, sprangen nun über die Promenade herab, so wie vorerst die vier getan hatten, und auf den Strand heraus. Gerieten dabei tief in den Sand und kreischten scheußlich dazu auf – ja wateten, verrückt genug, bis in die See hinein. Und ihr Beispiel fand Nachahmung, und die ganze schwarze Masse von Leuten wälzte sich – wie schwarzer Sirup, auf den Strand herab.

      Zuvorderst aber gewahrte Syme den Bauersmann, der sie eine Strecke auf seinem Karren gefahren hatte. Der spritzte auf seinem riesigen Karrengaul hochauf in die Brandung – und schüttelte mit seiner Axt herüber.

      »Der Bauer!« rief Syme. »Seit dem Mittelalter haben die Bauern nicht mehr rebelliert –«

      »Jetzt darf ruhig die Polizei ankommen«, sprach der Professor in einem kläglichen Ton, »gegen so ne Menge Mob kann sie nichts machen …«

      »Blödsinn!« sprach Bull verzweifelt, »ein paar Leute müssen doch noch in der Stadt geblieben sein, die menschlich fühlen.«

      »Nein«, sprach der Inspektor hoffnungslos, »alle wahren Menschen werden bald ganz vergriffen sein. Wir sind die letzten Exemplare der wahren Menschheit.«

      »Mag sein«, bemerkte der Professor geistesabwesend. Dann setzte er in träumerischem Tonfall hinzu – »Das Ende der Dunciade?

      Nicht auf offenem Platz, noch im Kämmerlein traut sich’s Licht mehr. Nicht ird’scher, nicht göttlicher Schein!

      Chaos, dein Reich ist neu erricht’t; auf dein unschöpf’risch Wort fällt tot um das Licht; ein Wink, Anarchist, und der Vorhang schwebt nieder… All-Dünkel alles begräbt…«

      »Halten Sie Ihren –« schrie Bull mit einemmal, »die Gendarmen, die Gendarmen!«

      Und in der Tat, die schwachen Lichter der Polizeistation wurden vielfach durch schnell vorüberhuschende Schatten verdunkelt … und du hörtest durch die Dunkelheit herüber das Geklirr und Gerassel disziplinierter Kavallerie.

      »Sie stürmen den Mob«, alarmierte Bull ekstatisch.

      »Nein«, sagte Syme, »Sie formieren sich längs der Promenade.«

      »Sie haben ihre Karabiner abgeschnallt«, schrie Bull und tanzte vor Vergnügen.

      »Jawohl«, sagte Ratcliffe, »und nun feuern sie auf uns.«

      Kaum gesagt, knatterte eine Gewehrsalve und die Kugeln hopsten wie Hagelschloßen vor ihnen auf den Steinen herum.

      »Also die Gendarmen auch noch…!« schrie der Professor und schlug sich vor die Stirn.

      »Und ich bin doch in der auswattierten Zelle!« behauptete Bull voll Dreistigkeit.

      Dann trat eine lange Stille ein. Und dann sprach Ratcliffe und sah auf die hochgehende See hinaus, die staubblau war –

      »Was tuts, ob einer verrückt ist oder nicht? Wir werden bald allesamt tot sein.«

      Da drehte sich Syme nach dem Sprecher um und sagte:

      »Sie haben nun also alle und jede Hoffnung aufgegeben?«

      Und da schwieg Ratcliffe erst, wie versteinert. Und dann sagte er ohne alle Aufregung:

      »Nein. Es ist wunderlich genug, daß ich noch nicht alle und jede Hoffnung – – Eine kleine – ganz blödsinnige Hoffnung will mir immer noch nicht aus dem Sinn. Die Macht dieses ganzen Planeten ist wider uns, und ich kann mir nicht helfen und ich muß mich höchlichst wundern, daß eine winzige, aber total wahnsinnige Hoffnung immer noch nicht so ganz und gar hoffnungslos sein soll.«

      »Und in wem oder was besteht diese Hoffnung?« examinierte Syme, brennend vor Begierde.

      »In einem Menschen, den ich niemals sah«, gestand der andere und sah auf die staubblaue See hinaus.

      »Ich weiß, wen Sie meinen«, sagte Syme leise, »den Mann im stockfinstern Raum. Aber den dürfte Sonntag nun auch schon abgemurkst haben.«

      »Vielleicht«, versteifte sich der andere. »Aber wenn dem ja so ist, so war das der einzige, bei dem es Sonntag schwergefallen sein mag.«

      »Ich hab gehört, was Sie da redeten«, sprach der Professor und drehte sich um. »Ich glaube ebenfalls fest an den, den ich niemals sah.«

      Da blickte sich Syme, der, bis dahin wie blind vor beschaulichen Gedanken dagestanden hatte, verzweifelt nach allen Seiten um und schrie wie einer, der jäh aus seinem Traum auffährt:

      »Wo ist der Colonel, wo ist – –? Aber ich dachte doch, der wäre hier!«

      »Der Colonel? Ach ja!« schrie Bull. »Wo in aller Welt ist der Colonel?«

      »Der ging doch – Renard sprechen«, sprach der Professor.

      »Den können wir aber doch nicht in den Händen jener Unholde lassen!« schrie Syme. »Laßt uns wie Gentlemen untergehen, wenn –«

      »Aber bedauern Sie doch den Colonel nicht also!« hohnlächelte Ratcliffe. »Dem gehts brillant! Der – –«

      »Nein! nein! nein! nein! und nochmal nein und noch zweimal nein!« tobte und raste Syme da. »Nicht der Colonel auch noch! Nicht, nicht, nicht der noch dazu! Ich glaubs nicht, ich glaubs Ihnen ni –«

      »Wollen Sie aber Ihren eigenen Augen glauben?« fragte der andere und deutete auf den Strand hinüber.

      Manche der Verfolger waren ins Wasser hineingewatet und reckten von da die Fäuste her. Aber die See ging wild, und so konnten sie nicht bis zur Mole gelangen. Zwei oder drei Gestalten indes, die standen zu Anfang des steinernen Gangsteigs und schienen von da mit aller Vorsicht anrücken zu wollen. Der Strahl einer Laterne beleuchtete die Gesichter der zwei vordersten. Des einen Gesicht trug eine schwarze Halbmaske, und der Mund darunter litt unter einem solchem Sturm der Nerven, daß der Zwickelbart sich hin und her wand wie ein ruhelos lebendig Ding. Das Gesicht des zweiten aber, das war das rote Gesicht mit dem weißen Schnauzbart des Colonel Ducroix. Die zwei zusammen waren in ernsthaftester Beratung.

      »Also der auch noch dahin«, sagte der Professor und saß auf einen Stein nieder. »Alles ist dahin. Ich bin ebenfalls dahin! Ich trau meiner eigenen Körpermaschinerie nicht mehr. Mir ist gerade, als ob meine eigene Hand auffliegen und mich selber verwalken würde.«

      »Wenn mir die meinige ausrutscht«, sagte Syme, »dann solls ganz wer anders spüren!« Und fort gings mit ihm. Auf der Mole hin. Dem Colonel zu. Das Schwert in der einen – die Laterne in der andern.

      Als ob der Colonel nur die allerletzte Hoffnung oder den mindesten Zweifel ausgemerzt wissen wollte, zückte er seinen Revolver gegen den Anstürmenden und feuerte auf ihn. Der Schuß ging fehl. Das heißt, er traf Symes Säbel und zersplitterte den knapp unterm Gefäß. Syme aber stürmte weiter drauf los, die schmiedeeiserne Laterne über dem Kopf schwingend.

      »Judas noch vorm Herodes!« schrie er – und schlug den Colonel übern Steindamm hinab. Dann drehte er sich wirbelnd nach dem Sekretär um, der fast Schaum vorm wütigen Munde hatte und hielt dem die Laterne derart hart und überrumpelnd unter die Nase, daß der arme Mann wie zu Eis gefror und nur noch Ohr sein mochte