Die wichtigsten historischen Romane von Henryk Sienkiewicz. Henryk Sienkiewicz

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Название Die wichtigsten historischen Romane von Henryk Sienkiewicz
Автор произведения Henryk Sienkiewicz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027211517



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Freilassung war eine weit größere Niederträchtigkeit, als wenn sie ihm sofort die Kehle abgeschnitten hätten. Sie wollten aber, daß er vor seinem Tode so viel, nein, mehr leide, als ein Mensch überhaupt zu ertragen vermag. Blind, stumm, und seiner rechten Hand beraubt! Nein, von Gottesfurcht wissen die Kreuzritter nichts! Weder die Heimat konnte er finden, noch nach dem Wege fragen, noch um Almosen bitten. Sie dachten wohl, er werde irgendwo an einem Zaun vor Hunger sterben oder in einem tiefen Gewässer ertrinken. Was haben sie ihm denn gelassen? Nichts als die Erinnerung an das, was er einst gewesen, und die Erkenntnis seines Elendes. Welch unsagbare Qualen mußte er erdulden! Vielleicht saß er einmal vor einer Kirche oder an einer Landstraße, und Zbyszko kam vorüber und erkannte ihn nicht. Vielleicht auch hörte er Zbyszkos Stimme und konnte ihn nicht rufen! Hei! Die Thränen kommen mir, wenn ich davon rede! Gott vollbrachte ein Wunder, indem er Euch mit ihm zusammenführte, und darum glaube ich, er wird noch ein größeres vollbringen, wenn schon meine unwürdigen und sündigen Lippen ihn darum bitten.«

      »Und was habt Ihr noch von Zbyszko erfahren? Wohin ist er gezogen?« fragte Macko.

      »Er sprach folgendermaßen zu mir: ›Ich weiß, daß Danusia in Szczytno gewesen ist, aber sie haben sie entweder fortgeführt oder umgebracht. Der alte Zygfryd de Löwe – sprach er weiter – hat dies gethan, und so wahr mir Gott hilft, will ich nicht ruhen noch rasten, bis ich ihn in meine Gewalt bekomme‹.«

      »Dies hat er gesagt? Dann ist er gewiß gegen die östlichen Komtureien gezogen, aber dort wird jetzt Krieg geführt.«

      »Er wußte, daß dort Krieg geführt wird, und deshalb hat er sich zu Knäs Witold begeben. Er sagte, durch diesen vermöge er eher etwas gegen die Kreuzritter auszurichten, als durch den König selbst.«

      »Zu Knäs Witold!« rief Macko emporspringend.

      Dann wendete er sich zu Jagienka: »Siehst Du nun, daß das Richtige geschieht? Habe ich nicht die gleiche Ansicht ausgesprochen? So wahr ich lebe, habe ich vorausgesagt, daß wir zu Witold gehen müßten!«

      »Zbyszko hegte die Hoffnung,« bemerkte Pater Kaleb, »daß Witold in Preußen einfallen und die dortigen Burgen erobern werde.«

      »Wenn sie ihm Zeit lassen, wird es auch dazu kommen,« antwortete Macko. »Gelobt sei Gott, nun wissen wir wenigstens, wo wir Zbyszko zu suchen haben.«

      »Wir müssen sogleich aufbrechen,« sagte Jagienka.

      »Schweig!« rief Macko aus. »Es geziemt sich nicht für einen Untergebenen, seinem Herrn Ratschläge zu geben.«

      Bei diesen Worten warf er ihr einen bedeutungsvollen Blick zu, wie wenn er ihr ins Gedächtnis zurückrufen wolle, daß sie ihm Gehorsam schulde, und sie suchte sich zu sammeln und schwieg.

      Macko besann sich eine Weile, dann sagte er: »Natürlich werden wir Zbyszko jetzt finden, denn zweifellos hält er sich bei niemand sonst als bei Knäs Witold auf, aber es ist nötig zu wissen, ob er noch einen anderen Grund gehabt hat, in die Welt hinauszuziehen, als den, sein Gelübde zu erfüllen und den Kreuzrittern die Köpfe vor die Füße zu legen.«

      »Und wie kann man dies erfahren?« fragte Pater Kaleb.

      »Wenn ich wüßte, daß jener Priester aus Szczytno schon von der Synode zurückgekehrt ist, würde ich ihn aufsuchen,« entgegnete Macko. »Ich habe Briefe von Lichtenstein bei mir und kann ohne Gefahr nach Szczytno gehen.«

      »Es war keine Synode, sondern nur ein Kongreß,« erwiderte Pater Kaleb, »und der Kaplan muß längst schon zurückgekehrt sein.«

      »Das ist gut. Ueberlaßt alles Uebrige mir. Ich werde für alle Fälle Hlawa, zwei Mannen mit Kriegsrossen mit mir nehmen und mich nach Szczytno begeben.«

      »Und dann zu Zbyszko?« fragte Jagienka.

      »Und dann zu Zbyszko, aber unterdessen bleibst Du hier und wartest, bis ich zurückkehre. Ohnedies glaube ich, daß ich nicht länger als drei oder vier Tage verweilen werde. Ich habe starke Knochen und an Mühseligkeiten bin ich gewöhnt. Doch zuvörderst bitte ich Euch, Pater Kaleb, um ein Schreiben an den Kaplan von Szczytno. Er wird mir eher Glauben schenken, wenn ich ihm einen Brief von Euch zeige, weil Priester immer das größte Vertrauen zu einander haben.«

      »Die Leute sprechen nur Gutes von jenem Priester,« antwortete Pater Kaleb, »und sofern jemand etwas Bestimmtes weiß, so ist er es.«

      Gegen Abend war der Brief bereit, und am folgenden Morgen vor Sonnenaufgang befand sich Macko schon unterwegs.

      Fünftes Kapitel.

      Inhaltsverzeichnis

      Jurand erwachte in Gegenwart des Pater Kaleb aus seinem langen Schlafe, und da ihm das Bewußtsein seiner Erlebnisse entschwunden, und er auch nicht klar darüber war, wo er sich befand, begann er sein Lager sowie die Wand zu befühlen. Doch Pater Kaleb legte die Arme um ihn, und in helle Thränen ausbrechend sagte er: »Ich bin es! Du bist in Spychow, Bruder Jurand! Gott hat Dich schwer heimgesucht, aber Du bist bei den Deinen. Gottesfürchtige Leute brachten Dich in Deine Burg zurück … Bruder Jurand! Mein Bruder!«

      Und ihn an seine Brust drückend, küßte er seine Stirne, seine leeren Augenhöhlen, küßte ihn wieder und wieder. Jurand war anfangs wie betäubt und schien nichts zu verstehen, schließlich jedoch fuhr er mit seiner Linken über Stirne und Haupt, wie wenn er das auf ihm lastende, verworrene Gefühl dumpfer Betäubung von sich abschütteln wolle.

      »Hörst Du mich und verstehst Du mich?« fragte Pater Kaleb.

      Jurand gab ein Zeichen mit dem Kopfe, daß er höre, dann streckte er die Hand nach einem silbernen Kruzifixe aus, das er einst von einem reichen deutschen Ritter erbeutet hatte, nahm es von der Wand herab, drückte es an seine Lippen, an seine Brust und überreichte es dem Pater Kaleb.

      Dieser aber sagte: »Ich verstehe Dich, Bruder. Ja, er ist Dir geblieben, und wie er Dich aus dem Lande der Gefangenschaft geführt hat, so kann er Dir auch alles zurückgeben, was Du verloren hast.«

      Jurand deutete mit der Hand nach oben, zum Zeichen, daß ihm wohl erst dort alles wiedergegeben werde, wobei seine Augenhöhlen von Thränen überflossen und unendlicher Schmerz sich aus seinem entstellten Antlitz malte.

      Als Pater Kaleb diese Bewegung und diesen Schmerz sah, glaubte er, daß Danusia nicht mehr am Leben sei, daher kniete er am Lager nieder und sagte: »O Herr, gieb ihr die ewige Glückseligkeit, und möge das ewige Licht ihr leuchten, möge sie ruhen in ewigem Frieden. Amen!«

      Da fuhr der Blinde empor und sich auf sein Lager setzend, schüttelte er sein Haupt und bewegte seine Hand hin und her, wie wenn er dem Gebet des Pater Kaleb Einhalt thun wolle. Doch konnten sie sich nicht verständigen, weil in diesem Augenblick der alte Tolima eintrat, dem die Besatzung der Burg, sowie die Bauernvögte – die angesehensten, edelsten Landleute von Spychow – nebst den Forsthütern und Fischern folgten, denn die Kunde von der Rückkehr des Gebieters hatte sich schon durch ganz Spychow verbreitet. Sie umfaßten dessen Knie, küßten seine Hand und brachen in bittere Thränen aus beim Anblick dieses verstümmelten, gebrechlichen Greises, in dem der ehemalige, gewaltige Jurand, der gefürchtete Feind der Kreuzritter, der siegreiche Streiter in jedem Kampfe, kaum mehr zu erkennen war. Doch etliche unter ihnen, namentlich diejenigen, welche ihn bei seinen Kriegszügen zu begleiten pflegten, kannten sich nicht mehr vor Schmerz und Wut, ihre Gesichter wurden bleich, eine unbeugsame Härte drückte sich darin aus. Nach einer Weile traten sie zusammen, begannen miteinander zu flüstern, indem einer den andern mit dem Ellenbogen anstieß, einer den andern vorschob, bis schließlich der zu der Besatzung gehörende Schmied von Spychow, ein gewisser Sucharz, zu Jurand herantrat, dessen Füße umfaßte und sagte: »Als sie Euch hierherbrachten, Herr, wollten wir uns sogleich gen Szczytno aufmachen, aber jener Ritter, welcher Euch brachte, hinderte uns daran. Gestattet es nun, o Herr, denn Rache müssen wir nehmen. Möge es so sein, wie es ehemals gewesen ist. Ungestraft sollen sie uns nicht beschimpft haben, ungestraft sollen sie uns nicht beschimpfen! … Unter Eurer Führung zogen wir gegen sie aus, laßt uns auch jetzt unter Tolima