Название | Gesammelte Werke von Gustave Flaubert |
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Автор произведения | Гюстав Флобер |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788027209903 |
In den Romanzen, die Emma in den Musikstunden sang, war immer die Rede von Englein mit goldenen Flügeln, von Madonnen, Lagunen und Gondolieren. Sie waren musikalisch nichts wert, aber so banal ihr Text und so reizlos ihre Melodien auch sein mochten: die Realitäten des Lebens hatten in ihnen den phantastischen Zauber der Sentimentalität. Etliche ihrer Kameradinnen schmuggelten lyrische Almanache in das Kloster ein, die sie als Neujahrsgeschenke bekommen hatten. Daß man sie heimlich halten mußte, war die Hauptsache dabei. Sie wurden im Schlafsaal gelesen. Emma nahm die schönen Atlaseinbände nur behutsam in die Hand und ließ sich von den Namen der unbekannten Autoren faszinieren, die ihre Beiträge zumeist als Grafen und Barone signiert hatten. Das Herz klopfte ihr, wenn sie das Seidenpapier von den Kupfern darin leise aufblies, bis es sich bauschte und langsam auf die andre Seite sank. Auf einem der Stiche sah man einen jungen Mann in einem Mäntelchen, wie er hinter der Brüstung eines Altans ein weiß gekleidetes junges Mädchen mit einer Tasche am Gürtel an sich drückte; auf anderen waren Bildnisse von ungenannten blondlockigen englischen Ladys, die unter runden Strohhüten mit großen hellen Augen hervorschauten. Andre sah man in flotten Wagen durch den Park fahren, wobei ein Windspiel vor den Pferden hersprang, die von zwei kleinen Grooms in weißen Hosen kutschiert wurden. Andre träumten auf dem Sofa, ein offenes Briefchen neben sich, und himmelten durch das halb offene, schwarz umhängte Fenster den Mond an. Wieder andre, Unschuldskinder, krauten kraulten, eine Träne auf der Wange, durch das Gitter eines gotischen Käfigs ein Turteltäubchen oder zerzupften, den Kopf verschämt geneigt, mit koketten Fingern, die wie Schnabelschuhspitzen nach oben gebogen waren, eine Marguerite. Alles mögliche andre zeigten die übrigen Stiche: Sultane mit langen Pfeifen, unter Lauben gelagert, Bajaderen in den Armen; Giaurs, Türkensäbel, phrygische Mützen, nicht zu vergessen die faden heroischen Landschaften, auf denen Palmen und Fichten, Tiger und Löwen friedlich beieinanderstehen, und Minaretts am Horizonte und römische Ruinen im Vordergrunde eine Gruppe lagernder Kamele überragen, während auf der einen Seite ein wohlgepflegtes Stück Urwald steht, auf der andern ein See, eine Riesensonne mit stechenden Strahlen darüber und auf seiner stahlblauen, hie und da weiß aufschäumenden Flut, in die Ferne verstreut, gleitende Schwäne….
Das matte Licht der Lampe, die zu Emmas Häupten an der Wand hing, blinzelte auf alle diese weltlichen Bilder, die eins nach dem andern an ihr vorüberzogen, in des Schlafsaales Stille, in die kein Geräusch drang, höchstens das ferne Rollen eines späten Fuhrwerks.
Als ihr die Mutter starb, weinte Emma die ersten Tage viel. Sie ließ sich eine Locke der Verstorbenen in einen Glasrahmen fassen, schrieb ihrem Vater einen Brief ganz voller wehmütiger Betrachtungen über das Leben und bat ihn, man möge sie dereinst in demselben Grabe bestatten. Der gute Mann dachte, sie sei krank, und besuchte sie. Emma empfand eine innere Befriedigung darin, daß sie mit einem Male emporgehoben worden war in die hohen Regionen einer seltenen Gefühlswelt, in die Alltagsherzen niemals gelangen. Sie verlor sich in Lamartinischen Rührseligkeiten, hörte Harfenklänge über den Weihern und Schwanengesänge, die Klagen des fallenden Laubes, die Himmelfahrten jungfräulicher Seelen und die Stimme des Ewigen, die in den Tiefen flüstert.
Eines Tages jedoch ward ihr alles das langweilig, aber ohne sichs einzugestehen, und so blieb sie dabei zunächst aus Gewohnheit, dann aus Eitelkeit, und schließlich war sie überrascht, daß sie den inneren Frieden wiedergefunden hatte und daß ihr Herz ebensowenig schwermütig war wie ihre jugendliche Stirne runzelig.
Die frommen Schwestern, die stark auf Emmas heilige Mission gehofft hatten, bemerkten zu ihrem höchsten Befremden, daß Fräulein Rouault ihrem Einfluß zu entschlüpfen drohte. Man hatte ihr allzu reichliche Gebete, Andachtslieder, Predigten und Fasten angedeihen lassen, ihr zu trefflich vorgeredet, welch große Verehrung die Heiligen und Märtyrer genössen, und ihr zu vorzügliche Ratschläge gegeben, wie man den Leib kasteie und die Seele der ewigen Seligkeit zuführe; und so ging es mit ihr wie mit einem Pferd, das man zu straff an die Kandare genommen hat: sie blieb plötzlich stehen und machte nicht mehr mit.
Bei aller Schwärmerei war sie doch eine Verstandesnatur; sie hatte die Kirche wegen ihrer Blumen, die Musik wegen der Liedertexte und die Dichterwerke wegen ihrer sinnlichen Wirkung geliebt. Ihr Geist empörte sich gegen die Mysterien des Glaubens, und noch mehr lehnte sie sich nunmehr gegen die Klosterzucht auf, die ihrem tiefsten Wesen völlig zuwider war. Als ihr Vater sie aus dem Kloster nahm, hatte man durchaus nichts dagegen; die Oberin fand sogar, Emma habe es in der letzten Zeit an Ehrfurcht vor der Schwesternschaft recht fehlen lassen.
Wieder zu Hause, gefiel sich das junge Mädchen zunächst darin, das Gesinde zu kommandieren, bald jedoch ward sie des Landlebens überdrüssig, und nun sehnte sie sich nach dem Kloster zurück. Als Karl zum ersten Male das Gut betrat, war sie just überzeugt, daß sie alle Illusionen verloren habe, daß es nichts mehr auf der Welt gäbe, was ihr Hirn oder Herz rühren könne. Dann aber waren das mit jedem neuen Zustande verbundene wirre Gefühl und die Unruhe, die sich ihrer diesem Manne gegenüber bemächtigte, stark genug, um in ihr den Glauben zu erwecken: endlich sei jene wunderbare Leidenschaft in ihr erstanden, die bisher nicht anders als wie ein Riesenvogel mit rosigem Gefieder hoch in der Herrlichkeit himmlischer Traumfernen geschwebt hatte. Doch jetzt, in ihrer Ehe, hatte sie keine Kraft zu glauben, daß die Friedsamkeit, in der sie hinlebte, das erträumte Glück sei.
Siebentes Kapitel
Zuweilen machte sie sich Gedanken, ob das wirklich die schönsten Tage ihres Lebens sein sollten: ihre Flitterwochen, wie man zu sagen pflegt. Um ihre Wonnen zu spüren, hätten sie wohl in jene Länder mit klangvollen Namen reisen müssen, wo der Morgen nach der Hochzeit in süßem Nichtstun verrinnt. Man fährt gemächlich in einer Postkutsche mit blauseidnen Vorhängen die Gebirgsstraßen hinauf und lauscht dem Lied des Postillions, das in den Bergen zusammen mit den Herdenglocken