Schloss Gripsholm. Kurt Tucholsky

Читать онлайн.
Название Schloss Gripsholm
Автор произведения Kurt Tucholsky
Жанр Языкознание
Серия Klassiker bei Null Papier
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783954188116



Скачать книгу

»Ich habe schon Leu­te ge­se­hen, die viel ge­ges­sen ha­ben – und auch Leu­te, die schnell ge­ges­sen ha­ben … aber so viel und so schnell …« – »Der rei­ne Neid –«, mur­mel­te ich und fiel in die Ra­dies­chen ein. Es war kein fei­nes Abendes­sen, aber es war ein nahr­haf­tes Abendes­sen.

      Und als sie sich zum Schla­fen wen­de­te und gra­de die Rat­hau­suhr ge­klin­gelt hat­te, da sprach sie lei­se, wie zu sich selbst: »Jetzt auf See. Und dann so ein rich­tig schau­keln­des Schiff. Und dann eine Tas­se war­mes Ma­schi­nen­öl …« Und da muss­te ich auf­ste­hen und viel Sel­ters­was­ser trin­ken.

      1 Ca­pri­ce: Ei­gen­sinn, Lau­ne, wun­der­li­cher Ein­fall <<<

      Ja, Ko­pen­ha­gen.

      »Soll ich dir das Fischre­stau­rant zei­gen, in dem Lu­den­dorff im­mer zu Mit­tag ge­ges­sen hat, als er noch eine Denk­mals­fi­gur war?« – »Zeig es mir … nein, ge­hen wir lie­ber auf Lan­ge Li­nie!« – Wir sa­hen uns al­les an: den Ti­vo­li­park und das schö­ne Rat­haus und das Thor­wald­sen-Mu­se­um, in dem al­les so aus­sieht, wie wenn es aus Gips wäre. »Ly­dia!« rief ich, »Ly­dia! Bei­nah hätt ich es ver­ges­sen! Wir müs­sen uns das Po­ly­san­dri­on an­sehn!« – »Das … was?« – »Das Po­ly­san­dri­on! Das musst du sehn. Komm mit.« Es war ein lan­ger Spa­zier­gang, denn die­ses klei­ne Mu­se­um lag weit drau­ßen vor der Stadt.

      »Was ist das?« frag­te die Prin­zes­sin.

      »Du wirst ja sehn«, sag­te ich. »Da ha­ben sich zwei Bal­ten ein Haus ge­baut. Und der eine, Po­ly­san­der von Kuckers zu Tie­sen­hau­sen, ein bal­ti­scher Baron, ver­meint, ma­len zu kön­nen. Das kann er aber nicht.« – »Und des­halb gehn wir so weit?« – »Nein, des­halb nicht. Er kann also nicht ma­len, malt aber doch – und zwar malt er im­mer­zu das­sel­be, sei­ne Ju­gendträu­me: Jüng­lin­ge … und vor al­lem Schmet­ter­lin­ge.« – »Ja, darf er denn das?« frag­te die Prin­zes­sin. »Frag ihn … er wird da­sein. Wenn er sich nicht zeigt, dann er­klärt uns sein Freund die gan­ze His­to­rie. Denn er­klärt muss sie wer­den. Es ist wun­der­voll.« – »Ist es denn we­nigs­tens un­an­stän­dig?« – »Führ­te ich dich dann hin, mein schwar­zes Glück?«

      Da stand die klei­ne Vil­la – sie war nicht schön und pass­te auch gar nicht in den Nor­den; man hät­te sie viel eher im Sü­den, in Ober­ita­li­en oder dort­her­um ver­mu­tet … Wir tra­ten ein.

      Die Prin­zes­sin mach­te große Kul­ler­au­gen, und ich sah das Po­ly­san­dri­on zum zwei­ten Mal.

      Hier war ein Traum Wahr­heit ge­wor­den – Gott be­hü­te uns da­vor! Der bra­ve Po­ly­san­der hat­te etwa vier­zig Qua­drat­ki­lo­me­ter teu­rer Lein­wand voll ge­malt, und da stan­den und ruh­ten nun die Jüng­lin­ge, da schweb­ten und tanz­ten sie, und es war im­mer der­sel­be, im­mer der­sel­be. Blass­ro­sa, blau und gelb; vorn wa­ren die Jüng­lin­ge, und hin­ten war die Per­spek­ti­ve.

      »Die Schmet­ter­lin­ge!« rief Ly­dia und fass­te mei­ne Hand.

      »Ich fle­he dich an«, sag­te ich, »nicht so laut! Hin­ter uns kriecht die Auf­wär­te­rin her­um, und die er­zählt nach­her al­les dem Herrn Ma­ler. Wir wol­len ihm doch nicht weh tun.« Wirk­lich: die Schmet­ter­lin­ge. Sie gau­kel­ten in der ge­mal­ten Luft, sie hat­ten sich auf die run­den Schul­tern der Jüng­lin­ge ge­setzt, und wäh­rend wir bis­her ge­glaubt hat­ten, Schmet­ter­lin­ge ruh­ten am liebs­ten auf Blü­ten, so er­wies sich das nun als ein Irr­tum: die­se hier sa­ßen den Jüng­lin­gen mit Vor­lie­be auf dem Popo. Es war sehr ly­risch.

      »Nun bit­te ich dich …«, sag­te die Prin­zes­sin. – »Still!« sag­te ich. »Der Freund!« Es er­schi­en der Freund des Ma­lers, ein ält­li­cher, sym­pa­thisch aus­se­hen­der Mann; er war brav­bür­ger­lich an­ge­zo­gen, doch schi­en es, als ver­ach­te­te er die grau­en Klei­der uns­res grau­en Jahr­hun­derts, und der An­zug ver­galt ihm das. Er sah aus wie ein Ephe­be a. D. Mur­melnd stell­te er sich vor und be­gann zu er­klä­ren. Vor ei­nem Jüng­ling, der stramm mit Schwert und Schmet­ter­ling da­stand und die Rech­te wie zum Gruß an sein Haupt ge­legt hat­te, sprach der Freund in schöns­tem bal­ti­schem Ton­fall, sin­gend und mit al­len rol­len­den Rrrs: »Was Sie hier sehn, ist der völ­lich ver­jäi­stich­te Mi­li­tar­ris­mus!« Ich wen­de­te mich ab – vor Er­schüt­te­rung. Und wir sa­hen tan­zen­de Kna­ben, sie tru­gen Ma­tro­sen­an­zü­ge mit Klapp­kra­gen, und ih­nen zu Häup­ten hing eine klei­ne Lam­pe mit Bom­mel­fran­sen, solch eine, wie sie in den Kor­ri­do­ren hän­gen –: ein mö­blier­tes Ge­fil­de der Se­li­gen. Hier war ein Pa­ra­dies auf­ge­blüht, von dem so vie­le See­len­freun­de des Ma­lers ein Eck­chen in der See­le tru­gen; ob es nun die un­ge­rech­te Ver­fol­gung war oder was im­mer: wenn sie schwärm­ten, dann schwärm­ten sie in sanf­tem Him­mel­blau, so­zu­sa­gen blau­sa. Und ta­ten sich sehr viel dar­auf zu gute. Und an ei­ner Wand hing die Fo­to­gra­fie des Künst­lers aus sei­ner ita­lie­ni­schen Zeit; er war nur mit San­da­len und ei­nem Hoiho­to­ho-Speer be­klei­det. Man trug also Bauch in Ca­pri.

      »Da bleibt ei­nem ja die Luft weg!« sag­te die Prin­zes­sin, als wir drau­ßen wa­ren. »Die sind doch kei­nes­wegs alle so …?« – »Nein, die Gat­tung darf man das nicht ent­gel­ten las­sen. Das Haus ist ein ste­hen­ge­blie­be­nes Plüsch­so­fa aus den neun­zi­ger Jah­ren, kei­nes­wegs sind sie alle so. Der Mann hät­te sei­ne Scho­ko­la­den­bild­chen gra­de­so­gut mit klei­nen Feen und Gno­men be­völ­kern kön­nen … Aber denk dir nur mal ein gan­zes Mu­se­um mit solch rea­li­sier­ten Wunsch­träu­men – das müss­te schön sein!«

      »Und dann ist es so – blutärm­lich!« sag­te die Prin­zes­sin. »Na, je­der sein eig­ner Un­ter­leib! Und dar­auf­hin wol­len wir wohl einen Schnaps trin­ken!« Das ta­ten wir.

      Stadt und Stra­ßen … der große Tier­gar­ten, der dem Kö­nig ge­hört und in dem die wil­den zah­men Hir­sche her­um­lau­fen und sich, wenn es ih­nen gra­de passt, am Hals krau­en las­sen, und so hohe, alte Bäu­me …

      Ab­fahrt. »Wie wird das ei­gent­lich mit der Spra­che?« frag­te die Prin­zes­sin, als wir im Zug nach Hel­sin­gör sa­ßen. »Du warst doch schon mal da. Sprichst du denn nun gut schwe­disch?« – »Ich ma­che das so«, sag­te ich. »Erst spre­che ich deutsch, und wenn sie das nicht ver­stehn, eng­lisch, und wenn sie das nicht ver­stehn, platt – und wenn das al­les nichts hilft, dann hän­ge ich an die deut­schen Wör­ter die En­dung as an, und die­ses Sprech­as ver­ste­has sie ganz gut.« Das hat­te gra­de noch ge­fehlt. Es ge­fiel ihr un­ge­mein, und sie nahm es gleich in ih­ren Sprach­schatz auf. »Ja – also nun kommt Schwe­den. Ob wir et­was in Schwe­den er­le­bas? Was meinst du?« – »Ja, was soll­ten wir wohl auf ei­nem Ur­laub er­le­ben …? Ich dich, hof­fent­lich.« – »Weißt du«, sag­te die Prin­zes­sin, »ich bin noch gar nicht auf Rei­sen, ich sit­ze hier ne­ben dir im Coupé; aber in mei­nem Kopf dröhnt es noch, und … All­mäch­ti­ger Bra­ten!« – »Was ist?« – »Ich habe ver­ges­sen, an Tichau­er zu te­le­fo­nie­ren!« – »Wer ist Tichau­er?« – »Tichau­er ist der Di­rek­tor der NSW – der Nord­deut­schen Sei­fen­wer­ke. Und der Alte hat ge­sagt, ich sol­le ihm ab­te­le­fo­nie­ren, weil er doch ver­reist … und da ist die Kon­fe­renz am Diens­tag … ach du lie­bes Gott­chen, be­hü­te un­ser Lott­chen vor Hun­ger, Not und Sturm und vor dem bö­sen Ho­sen­wurm. Amen.« – »Also was wird nun?« –